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Bergkarabach-Konflikt aufgeflammt: "Kriegserinnerungen werden wach"
14.10.20 - Der Bergkarabach-Konflikt reißt nicht ab. Der Status quo zwischen den zwei Nachbarländern Armenien und Aserbaidschan ist nach wie vor Krieg – inzwischen mit brüchiger Waffenruhe. "Schon seit 30 Jahren herrschen in diesem Gebiet Unruhen – es ist immer wieder dasselbe", erklären die armenischen Schwestern Knarik Khodaverdian (37) und Araksi Oganian (36) in ihren vertrauten vier Wänden in Hünfeld (Landkreis Fulda). Sich sicher zu fühlen, ist keine Selbstverständlichkeit für sie - denn die aktuelle Situation erinnert sie an ihre Kindheit. Alles mussten sie hinter sich lassen und flüchten. "Bei den Bildern kommen die ganzen Kriegserinnerungen wieder hoch."
Soldaten und Zivilisten sterben bei heftigen Gefechten
Ende September sind die Kämpfe erneut aufgeflammt - viele Soldaten und auch Zivilisten sterben bei den Angriffen. Bergkarabach hatte während des Zerfalls der Sowjetunion einseitig seine Unabhängigkeit erklärt. In den 90er Jahren folgte schließlich ein Krieg mit über 30.000 Toten. Bis heute wird die selbsternannte Republik international nicht anerkannt und gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Das Territorium wird jedoch größtenteils von Armeniern bewohnt. Seit Samstag wurde eine durch Russland verhandelte Waffenruhe verordnet, die bereits bröckelt. "1994 war alles schon komplett zerstört, wurde jahrelang aufgebaut und blühte wieder auf. Nun ist es wieder so. Dieses Mal werden vor allem die alten Kirchen bombardiert", berichtet Araksi im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS.Mit der Familie geflüchtet
Seit 24 Jahren leben die Geschwister mit ihrer Familie in Deutschland. Sie fühlen sich gut integriert. Trotzdem verspüren sie aufgrund der Schlagzeilen in ihrem Heimatland innere Unruhe: Sie teilen schließlich das gleiche Schicksal wie so viele andere Menschen in dem Krisengebiet. Damals habe ihr Vater die Familie in Sicherheit gebracht. Knarik war gerade zwölf, ihre Schwester elf. "Wir hatten ja alles gehabt und konnten nicht verstehen, wieso wir gehen mussten. Oma und Opa sind geblieben."
Von Alltag war damals dann keine Rede mehr. "Wir durften nicht mehr zur Schule, es war viel zu gefährlich. Dadurch haben wir das Lesen und Schreiben vernachlässigt." Was den zwei Schwestern geblieben ist, sind die Erinnerungen an ihre einst vertrautes Zuhause. Zeit zum Packen blieb nicht, nicht einmal Fotos nahmen sie mit. "Unsere beiden jüngeren Geschwister haben Glück, dass sie die Kriegseindrücke nicht miterleben mussten. Wir haben schreckliche Bilder mitbekommen - auch Bombenangriffe. Das können wir einfach nicht vergessen."
Trotz der langen Abwesenheit spüren die Schwestern eine starke Verbundenheit zu Armenien. Lediglich Araksi reiste vor zwei Jahren in ihre Heimat. "Es ist so ein schönes und facettenreiches Land. Ich bin total begeistert. Umso trauriger machen uns die aktuellen Ereignisse."
In Konrad-Zuse-Stadt: "Wir sind dankbar hier zu sein"
Hünfeld ist für die Familie genauso ein Stück Heimat geworden wie Armenien. "Wir sind sehr dankbar, hier liebevoll aufgenommen worden zu sein." Es sei nicht immer einfach gewesen: "Es bedeutet natürlich auch zu kämpfen: Anfangs hatten wir keine Ausbildung, keinen Führerschein." Heutzutage gestalte sich das Ganze unkomplizierter. "Wir haben in Hünfeld festen Fuß gefasst und fühlen uns hier wohl. Wir haben ein geregeltes Einkommen, gehen zur Arbeit und tauschen uns gerne mit den Hünfeldern aus", erklärt Araksi."Beide Völker sollen endlich in Frieden leben"
Die Armenier stehen hinter Bergkarabach. "So wie die Mutter ihr Kind beschützt, beschützt Armenien sein Land", erklären die beiden. Aber: "Die Völker sollen endlich friedlich leben - sie sind doch Nachbarn. Wir beten, dass es schnellstmöglich eine Lösung für die Menschen gibt und sie nicht wie wir flüchten müssen." Aus ihrer Sicht werde dem Ganzen ein Ende gesetzt, wenn Bergkarabach offiziell anerkannt werde.Spendenaktion für die Krisenregion
Knarik Khodaverdian und Araksi Oganian zeigen Engagement und sammeln Spenden für die Hilfsbedürftigen im Kriegsgebiet. "Uns ist aufgefallen, dass sich Deutschland leider wenig an den Hilfsprogrammen beteiligt." Ein Flugzeug stehe nicht zur Verfügung. "Hier würden wir uns mehr Einsatz wünschen." Über den Umweg Frankreich werden nun Pakete mit Medikamenten und Verbandszeug ins Krisengebiet geschickt. "An dieser Stelle gilt unser Dank den aufmerksamen Menschen in unserer Umgebung, die von sich aus Unterstützung angeboten haben." (Maria Franco) +++