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Zwischenstopp: Die von vier Terroristen gekaperte Lufthansa-Boeing "Landshut" steht im Oktober 1977 auf dem Rollfeld des Flugplatzes in Dubai. Nach ergebnislosen Verhandlungen wurde die Maschine am 18.10.1977 von der deutschen Anti-Terror-Einheit GSG 9 in Mogadischu gestürmt. - Foto: picture-alliance / dpa | Nordisk

HESSISCH LICHTENAU / MOGADISCHU 70 Jahre BGS/Bundespolizei

Stürmt die "Landshut"! - Jörg Probstmeier war 1977 beim GSG 9-Einsatz dabei

ZUR PERSONJörg Probstmeier ist 64 Jahre alt, lebt in Hessisch Lichtenau, ist verheiratet und hat zwei Töchter. In seiner beruflichen Laufbahn beim BGS und bei der Bundespolizei - von der Grundausbildung 1973 bis zur Pensionierung 2017 - hat er die unterschiedlichsten Stationen durchlaufen. Unter anderem war er von 1990 bis 1993 BGS-Gruppenführer im osthessischen Bad Hersfeld. „Am positivsten sind mir der Dienstort und die lebenswerte Stadt in Erinnerung geblieben“, sagt er über diese Zeit. „Der Dienst im Verband während der Grundausbildung in Eschwege und der Verwendung in Bad Hersfeld waren nicht meine dienstlichen Sternstunden, da mir der Formalismus fremd war und ich lieber den Einzeldienst geleistet habe. Bei der GSG 9 hatte ich meine erfolgreichste und längste Dienstzeit, nach der Wende an der deutsch-polnischen Grenze bei Görlitz viel Herzblut für die Bekämpfung illegaler Migration vergossen, im Flughafen Frankfurt/Main einen vielseitigen, lehrreichen und anstrengenden Dienst versehen und in der Bundespolizeiinspektion Kassel das soziale Miteinander und das vorzügliche Betriebsklima kennen und schätzen gelernt.“

17.03.21 - Im sogenannten "Deutschen Herbst 1977" entführten linksextreme Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer und palästinensische Sympathisanten die Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu im afrikanischen Somalia, um die RAF-Spitze freizupressen, die im Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim einsaß.

Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe brachten sich nach der erfolgreichen Stürmung der "Landshut" durch die Anti-Terroreinheit des Bundesgrenzschutzes, der GSG 9, um und Schleyer wurde von seinen Entführern erschossen. Diese Episode der deutschen Geschichte wurde medial vielfach aufbereitet – meist aus der Sicht der Bonner Regierung, der RAF oder der entführten "Landshut"-Passagiere, die allesamt überlebten. Aber kaum aus der Sicht der GSG 9. Einer, der bei der Erstürmung dabei war, war der damals 21-jährige Jörg Probstmeier. Im Interview mit OSTHESSEN|NEWS erinnert sich der heute 64-Jährige.

O|N: Herr Probstmeier, wie fing der Einsatz damals an?

Jörg Probstmeier als Pensionär Fotos (7): Privat

Jörg Probstmeier: Am 17. Oktober gegen 17:30 Uhr MEZ landeten die Einsatzkräfte der GSG 9 mit der Lufthansa-Maschine "Stuttgart" in Mogadischu, ca. 2.000 Meter von der "Landshut" entfernt. Die Starts und Landungen somalischer Militärflugzeuge lenkten die Terroristen von unserer Landung ab. Danach kamen Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski und der GSG 9-Kommandeur Ulrich Wegener zur "Stuttgart". Wischnewski erklärte, dass Bundeskanzler Helmut Schmidt angesichts der unnachgiebigen Haltung der Terroristen und weil der Staat sich nicht erpressen lässt, entschieden hatte, dass die GSG 9 die "Landshut" stürmen soll, um die 86 Geiseln zu befreien.

Waren Sie sich der politischen Tragweite des Einsatzes bewusst?

Schmidt hatte sein politisches Schicksal vom Ausgang des Einsatzes abhängig gemacht. Der sogenannte "Deutsche Herbst" mit der Entführung von Schleyer und der "Landshut" war damals die größte innenpolitische Herausforderung für die Bundesrepublik. Uns war bewusst, welchen entscheidenden Anteil unser Einsatz haben sollte. Zur Gründung und zum Aufbau der GSG 9 war es ja bereits nach der Geiselnahme der israelischen Sportler durch palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München gekommen, die mit dem blutigen Debakel bei der missglückten Geiselbefreiung in Fürstenfeldbruck endete. Insofern war unsere Erwartung und Motivation, bei der Bewältigung dieser aktuellen Lage erfolgreicher zu sein.

Die Route der "Landshut" Infografik: picture-alliance / dpa

Von wo aus ging der Flug nach Mogadischu?

Am Abend des 16. Oktober flog die 1. Einheit, der auch ich angehörte, vom Militärflugplatz Porz-Wahn zur NATO-Militärbasis nach Kreta, um dort auf die 3. Einheit zu treffen. Nachdem der "Landshut"-Pilot Jürgen Schumann in Aden (Jemen) erschossen worden war, wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass die GSG 9 eingesetzt wird. Wir bekamen den Befehl, der "Landshut" mit unbestimmtem Ziel zu folgen. So ging der Flug von Kreta in Richtung Afrika und letztendlich nach Mogadischu. Vorgesehen war der Sturm auf die "Landshut" um ca. 00:01 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Wir nutzten die verbliebene Zeit, um an der "Stuttgart" das Annähern und das anschließende Eindringen in die Maschine zu üben.

Jörg Probstmeier bei einem GSG 9-Übungseinsatz

Frühes Ausweisfoto

Schießausbildung

Wie war die Stimmung in der Truppe? Wie viele Beamte waren insgesamt im Einsatz?

Wir waren hochkonzentriert, aber auch entspannt, gelöst und zuversichtlich, der blutigen Geiselentführung ein schnelles Ende bereiten zu können. Etwa 60 Einsatzkräfte waren vor Ort, davon zwei Einheiten sowie Techniker, Fernmeldetechniker und Sanitäter.

Hatten Sie keine Angst, dass das schiefgehen könnte?

Wir hatten oft genug das Eindringen in Flugzeuge geübt, um darauf sehr gut vorbereitet zu sein. Jeder Einsatzteilnehmer konnte sich auf seine Kameraden verlassen. Und das Überraschungsmoment verschaffte uns einen entscheidenden Vorteil. Allerdings gehört zu einem erfolgreichen Einsatz auch ein wenig Glück, das uns in Mogadischu vergönnt war.

Was hatten Sie bei diesem Einsatz für einen Auftrag?

Mein Auftrag war, mit sieben Kameraden und dem stellvertretenden Kommandeur der GSG 9 als Observations- und Präzisionsschützenkommando vor dem Sturm auf die "Landshut" ca. 200 Meter entfernt Stellung zu beziehen, um alle bedeutsamen Ereignisse und Bewegungen zu melden und die Annäherung der Sturmtrupps an die "Landshut" zu sichern. Als einer der Jüngsten im Einsatz mit gerade 21 Jahren hätte ich aber viel lieber am Sturm auf die "Landshut" teilgenommen.

Zur Stürmung der "Landshut": Wie lief das damals im Detail ab?

Gegen 23:15 Uhr begannen die sechs Sturmtrupps sowie Techniker und Sanitäter mit der behutsamen und langsamen Annäherung von hinten an die "Landshut". Um 23:52 Uhr bezogen sie unter dem Rumpf der Maschine Stellung. Nachdem unser Observations- und Präzisionsschützenkommando über Funk gemeldet hatte, dass sich die beiden männlichen Geiselnehmer und der Co-Pilot im Cockpit befinden (Hier verfällt Jörg Probstmeier instinktiv ins Präsens), nähern sich die Sturmtrupps ihren zugewiesenen Flugzeugtüren, legen die gummibeschichteten Aluleitern an und warten auf den Befehl zum Eindringen.

Widmung von GSG 9-Kommandeur Ulrich Wegener und Bundesinnenminister Werner Maihofer ...

Gegen 00:05 Uhr erteilt der GSG 9-Kommandeur den Befehl "Feuerzauber", zwei Spezialisten des britischen Special Air Service werfen neuartige Blendgranaten zur Ablenkung der Geiselnehmer, die Sturmtrupps reißen die Flugzeugtüren auf und dringen ein. Es entwickelt sich ein etwa zweiminütiger Feuerwechsel, bei dem der Anführer der Geiselnehmer im Cockpit tödlich getroffen wird, der junge männliche Geiselnehmer sowie die dicke weibliche Geiselnehmerin im Gang der ersten Klasse schwer verwundet werden. Der junge männliche Geiselnehmer kann noch im Sterben eine Handgranate zünden, bei der die Stewardess Gabriele Dillmann an den Beinen verletzt wird. Die andere junge weibliche Geiselnehmerin wird nach kurzer Nachsuche tödlich getroffen, nachdem sie aus der Bug-Toilette heraus das Feuer auf die Einsatzkräfte eröffnet hatte.

Schon während des Feuerwechsels wurde mit der Evakuierung der Geiseln durch die Hecktüren begonnen. Sieben Minuten nach dem Befehl zum Eindringen in die "Landshut" meldete der GSG 9-Kommandeur, dass vier Geiselnehmer ausgeschaltet, drei Geiseln und ein GSG 9-Beamter leicht verletzt wurden.

Wie ging‘s dann weiter?

Die Geiseln waren unmittelbar nach ihrer erfolgreichen Befreiung sowohl müde als auch dankbar, erleichtert und glücklich. Nach unserer Rückkehr am Nachmittag des 18. Oktober 1977 gab es auf dem Flughafen Köln-Bonn eine Parade durch Bundesinnenminister Maihofer und GSG 9-Kommandeur Wegener unter den feierlichen Klängen eines BGS-Musikkorps. Am übernächsten Tag wurden wir im Bundeskanzleramt vom Bundesinnenminister und dem Bundeskanzler mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes geehrt.

Blick vom Tower in Mogadischu auf die "Landshut"

Erleichert über die geglückte Geiselbefreiung von Mogadischu brachten Passanten ...Foto: picture-alliance / dpa | DB Popp

War gern beim BGS: Jörg Probstmeier

Fühlt man sich da wie ein Held?

Wir fühlten uns nicht als Helden, sondern als Beamte, die sich mit voller Hingabe ihren dienstlichen Pflichten gewidmet und das gezeigt haben, wofür wir viele Jahre lang geübt hatten. Man übt sich in Bescheidenheit und Demut, wenn man weiß, dass da draußen viele namenlose Heldinnen und Helden sind, die sich täglich selbstlos für die Rettung von Menschenleben einsetzen. Das war auch ein Grund dafür, dass ich mich ehrenamtlich seit dem Absolvieren meines dienstlichen DLRG-Lehrscheins im Jahr 1981 für den Wasserrettungsdienst und die Schwimm- und Rettungsschwimmausbildung bei der DLRG eingesetzt habe. Ebenso wie seit 17 Jahren als ehrenamtlicher Mitarbeiter des "Weißen Rings" für den Schutz von Kriminalitätsopfern.

Insgesamt hat der Einsatz mein Selbstbewusstsein gestärkt, mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, dass mein Leben nicht nur dem Selbstzweck dient und jedes Individuum nur ein Teil des großen Ganzen ist. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sehr viele gute und ruhmreiche Zeiten erlebt und nur wenige schlechte und unrühmliche. Ein bescheidener Anteil daran, einen Hauch rühmliche Geschichte geschrieben zu haben, hat mein Leben positiv geprägt und war wie ein Leitbild für mich, ein rechtschaffenes Leben zu führen und Menschen zu helfen.

Haben Sie noch Kontakt zu den Kameraden von damals?

Bei einer Gedenkveranstaltung an die Opfer der Roten Armee Fraktion im Deutschen Historischen Museum in Berlin im Jahr 2007 habe ich noch ca. zehn GSG 9-Kameraden sowie ein knappes Dutzend Crew-Angehörige und Geiseln der "Landshut" getroffen. Bei einem Veteranentreffen bei der GSG 9 im September 2018 habe ich auch noch ein paar ehemalige Einsatzteilnehmer gesehen. Mogadischu war aber nur noch ein Randthema. Im März 2019 traf ich dann noch den ehemaligen Co-Piloten, eine Stewardess und zwei Passagiere bei einer Tagung des VdK zum Thema Posttraumatische Belastungsstörungen. Seitdem verbindet uns eine Freundschaft.

Das Interview wurde geführt von OSTHESSEN|NEWS-Redakteur Matthias Witzel. +++


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