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Mediziner warnen vor gesundheitlichen Risiken für die vielen Amateursportler - Symbolbild: pixabay

REGION Risiken durch zu intensiven Re-Start

Wenn der Kopf zu viel möchte

23.05.21 - Seit Monaten ruht der Spielbetrieb im Amateurfußball, Breitensport findet kaum statt. Eine so lange Pause für die Sportler gab es noch nie. Der Wiedereinstieg könnte gravierende und irreparable Folgen haben. Mediziner warnen vor einer unentdeckten Krankheit in Kombination mit einer nicht mehr gewohnten körperlichen Belastung. torgranate.de hat sich umgehört  

Irgendwann – in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft – wird der Tag kommen, an dem die Rückkehr auf den Sportplatz wieder nahezu uneingeschränkt erlaubt ist. Die Freude über die Ausübung des so sehr vermissten Hobbys könnte aber an der ein oder anderen Stelle in einen Trauerfall münden. Denn es sind zwei außerordentliche und in jenem Ausmaß besonders gefährliche Komponenten, die mitspielen, wenn es wieder auf den Platz geht.

88.000 Sportvereine gibt es in Deutschland. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 24 Millionen Mitglieder gezählt. Mehr als 7 Millionen Mitglieder gehören alleine dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) an, mehr als eine halbe Million dem Hessischen Fußball-Verband (HFV). Rechnet man die verschwindend geringe Anzahl der Profimannschaften heraus, die im Spielbetrieb geblieben sind, so bleiben noch genügend Amateurvereine unter den vom DFB im vergangenen Jahr mehr als 145.000 gezählten Mannschaften, auf die neben der wirtschaftlichen und strukturellen Herausforderung noch größere Probleme warten, die in der öffentlichen Debatte von Politik und Verbänden bei all den Forderungen nach Öffnungen deutlich zu kurz kommen.

Ein halbes Jahr wurde der Fußball komplett aus Training und Spielbetrieb gerissen. Ein Umstand, den man seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr vorfand. Noch nie gab es eine dermaßen große Anzahl an sportartspezifisch-untrainierten Fußballern. Doch nicht nur die fehlende Fitness allein ist problematisch, gerade der Grund für die Zwangspause wird mitspielen, wenn wieder trainiert wird. 

Folgeschäden sind tückisch

Und dabei geht es dann für den einen oder anderen um deutlich mehr als "nur" eine muskuläre Verletzung aufgrund ungewohnter Belastung. Die Folgeschäden einer Covid-19-Erkrankung können gerade bei jüngeren Menschen und Sportlern tückisch sein, warnt Professor Martin Halle, Direktor der Präventiven Sportmedizin und Sportkardiologie der TU München, im Interview mit Spiegel Online: "Bei der Lunge merken Sie, wenn etwas nicht stimmt. Sie husten oder haben Atemnot. Das Herz spüren Sie nicht. Gerade bei Jüngeren, auch bei Sportlern, ist das eine große Gefahr. Sie spüren nicht, dass das Herz ein Problem hat und trainieren einfach weiter."

Die Myokarditis, die Herzmuskelentzündung, zählt zu den führenden Ursachen des plötzlichen Herztods bei Sportlern unter 35 Jahren. Die Hauptursache stellt hierbei ein Virusinfekt dar, der die oberen Luftwege und den Verdauungstrakt betrifft. "Im Rahmen einer Covid-Erkrankung werden bei schweren Verläufen fulminante Myokarditiden beschrieben", schreibt das "German Journal of Sports Medicine" in einem Positionspapier führender Sportmediziner, zu denen Professor Tim Meyer zählt, bei der DFL Leiter der "Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb". Die Ambulanz für präventive Sportmedizin und Sportkardiologie im Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München hat seit Beginn der Pandemie viele Athleten begleitet, die an Sars-CoV-2 erkrankt waren. Die Mediziner mahnen zur außerordentlichen Vorsicht: "Eine sogenannte Sporttauglichkeitsuntersuchung inklusive Ruhe-EKG empfehlen wir selbst bei einem symptomfreien Verlauf, denn Covid-19 führt zu einer Entzündung der Blutgefäße. Sportler sollten Covid-19 nicht unterschätzen, selbst wenn sie keine Symptome hatten", sagt Professor Halle. Denn wer asymptomatisch an Covid-19 erkrankt und intensiv trainiert, riskiert unter anderem eine Herzmuskelentzündung.

Ein falscher Ehrgeiz oder ein generell sorgloser Umgang nach einer derart langen Sportpause kann grundsätzlich für jeden äußerst gefährlich sein. Problematisch wird es obendrein, wenn Covid-19-Erkrankungen überhaupt nicht erkannt oder nachuntersucht wurden. "Wir müssen aufpassen, dass bei jungen Sportlern das Herz wieder gut funktioniert und sich keine Herzmuskelentzündung festgesetzt hat. Das kriegt man über ein EKG oder eine Blutentnahme heraus", empfiehlt der Schweriner Internist und Infektiologe Dr. Karsten Wursthorn in einem NDR-Beitrag, der sich ausführlich über Corona-Langzeitfolgen bei Sportlern beschäftigt.

Checkup ist ratsam

Professor Tobias Welte, der die Long-Covid-Ambulanz an der Medizinischen Hochschule Hannover leitet, teilt die Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen in zwei Gruppen ein. Zum einen gäbe es die strukturellen Organschäden an Lunge und Herz, zum anderen die generelle Erschöpfung, Belastungsmangel, Müdigkeit, bleibende Riech- und Geschmacksstörungen. Wilke schätzt, dass etwa ein Prozent der Infizierten unter Corona-Langzeitfolgen leiden. Das wären in Deutschland 35.000 Menschen.

Die Forschung steht bei den Ursachen der Beschwerden von Long-Covid noch am Anfang. Die Tatsache, dass vor allem zunächst leicht erkrankte, jüngere Menschen von Long-Covid betroffen sind, deutet daraufhin, dass ein besseres Immunsystem zu derartigen Störungen führt. "Sars-CoV-2 veranlasst das Immunsystem teilweise zu einer Überreaktion, das könnte eben bei Jüngeren häufiger und intensiver der Fall sein", so Welte. Geimpfte erholen sich davon laut erster Studien besser.

Experten vermuten durch die Pandemie einen erheblichen Anstieg von unerkannten Fällen an Herzmuskelentzündungen. Eine professionelle medizinische "Rund-um-die-Uhr-Betreuung", wie sie Profisportler haben, ist im Bereich der Hobby- und Amateursportler jedoch eine absolute Ausnahme. Gerade für die Amateursportler empfiehlt sich ein langsamer Aufbau mit der Herzfrequenz als Kontrollparameter. Welte erklärt: "Die größte Gefahr beim Long-Covid-Syndrom ist gerade bei sportlich aktiven Menschen, dass viele nach der Erkrankung versuchen, ihre Leistung wieder zu schnell zu steigern. Und dies ist unter mangelnder Kontrolle gefährlich. Denn der Hobbysportler sieht nicht, wenn der Leistungsaufbau nicht stimmt. Die schwersten Rückfälle gab es bei denen, die sich zu früh überfordert haben." Der Weg zum Arzt samt Checkup ist mehr als nur ratsam, ehe es wieder richtig auf dem Platz losgehen soll. Denn zumindest indirekt betroffen von Covid-19 sind durch die Zwangspause letztlich alle Amateursportler.

Covid-Folgen

Prominente Beispiele gibt es bei Leistungssportlern wie Fußball-Nationalspieler Ilkay Gündogan, Weltmeister-Ringer Frank Stäbler oder Eishockey-Profi Janik Möser. Gerade das Beispiel des 25-jährigen Möser schreckt auf: Der Wolfsburger Eishockeyspieler hatte einen sehr milden Corona-Verlauf erlebt. Nur durch einen Zufall bemerkte sein Mannschaftsarzt Axel Gänsslen beim Belastungs-EKG einen ungewöhnlichen Wert.

Er schickte den Spieler zur weiteren Untersuchung in die Charité nach Berlin, wo man eine Herzmuskelentzündung diagnostizierte. "Wir waren maximal überrascht. Es war ein absoluter Weckruf für uns, weil er sich topfit gefühlt hat. Und trotzdem kann etwas Gefährliches vorliegen, das wir ohne Untersuchung nicht erkannt hätten", berichtet Gänsslen. (tg)+++

Mediennetzwerk Hessen



Dieser Artikel ist zuerst auf torgranate.de erschienen.


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