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Wischiwaschi-Wahlwerbung: Als ging’s bei der Bundestagswahl um nix
19.08.21 - Morgenstund‘ hat Gold im Mund, heißt es. Weil eben der frühe Vogel den Wurm fängt. Obwohl: So richtig nett ist’s nur im Bett. Und morgen ist bekanntlich auch noch ein Tag. Alles leere Worthülsen, meinen Sie? Und da haben Sie natürlich vollkommen Recht. Aber werfen Sie doch einmal einen Blick auf die Wahlwerbungen der Parteien. Da wimmelt es nur so davon.
Wenn man für jedes inhaltsleere Gesülze auf den Plakaten, die seit einiger Zeit die Straßen in Osthessen pflastern, auch nur einen Euro ins Phrasen-Schwein werfen würde, wären die Staatsfinanzen vermutlich über Jahrzehnte gesichert. Nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl will offensichtlich keine Partei aus der Deckung kommen und dem Volk mal reinen Wein einschenken, wofür sie überhaupt eintritt. Da reichte eine kurze Spritztour durch die Fuldaer Innenstadt, um schöne Beispiele dafür zu finden.
Beispiel Armin Laschet: Der CDU-Chef und Kanzlerkandidat wirkt weniger staatsmännisch, als vielmehr wie der liebe Onkel auf dem Kindergeburtstag seiner Nichte. Der Slogan: "Weil es um die Menschen geht, wenn es um Deutschland geht." Diese rumpelige Sprache würde jeder Redakteur erstmal seinem Volontär um die Ohren hauen. Viel wichtiger aber ist: Um wen soll’s denn sonst gehen als um die Menschen hierzulande? Einmal abgesehen davon, dass diesen Nonsens-Spruch im Grunde genommen jede andere Partei auch für sich beanspruchen könnte.
Beispiel Birgit Kömpel, die für die SPD in den Bundestag einziehen möchte: "Machen statt reden", steht dort geschrieben. Ja, aber was denn MACHEN? REDEN Sie doch, liebe Frau Kömpel, mit uns darüber, was wir potenziellen Wähler aus dem Tal der Ahnungslosen darunter verstehen können.
Michael Brand verzichtet gleich ganz auf Inhalte und setzt komplett auf die eigene Person: "Mensch. Brand. – Verlässlich. Gerade. Echt." Mmh, was will uns der CDU-MdB damit sagen? "Der Slogan stammt weder von einer Werbeagentur noch von mir selbst – es waren schlicht Freunde, die mich lange kennen, zusammengesessen und überlegt haben, was ‚zum Brand‘ passt", erklärt er auf O|N-Anfrage. "So ist ‚Mensch. Brand.‘ entstanden und hat offensichtlich auch einen Nerv getroffen – ich bin schon im letzten Wahlkampf viel darauf angesprochen worden, bei Terminen so begrüßt worden und da lag es nahe, dabei zu bleiben. ,Mensch, Michael, darum müsst Ihr Euch mal kümmern!‘ oder ,Mensch, Herr Brand, da brauchen wir mal Ihre Hilfe!‘ – das sind Sätze, die ich oft und gerne höre bei Anliegen in der Region. ,Verlässlich. Gerade. Echt.‘ ist ebenso entstanden und hat den Weg auf das Plakat gefunden. Wenn das viele so sehen, freue ich mich natürlich." – Aha!
Pierre Lamely von der AfD meint: "Freiheit hat Vorfahrt." Freiheit auch für Menschen mit Migrationshintergrund? Daran darf gezweifelt werden. Auffallend bei all den bisher gezeigten Beispielen ist, dass alle Kandidaten so aussehen, als hätte man ihnen ein Perlweiß-Lächeln direkt ins Gesicht implantiert – als gäbe es in Deutschland nicht einen Berg von Problemen, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten abgearbeitet werden muss. Rühmliche Ausnahme: FDP-Chef Christian Lindner. Der blickt in Schwarzweiß-Aufnahmen ein wenig gequält in die Ferne oder sitzt gebeugt am Schreibtisch, als würde die Sorge ums Land auf ihm lasten. Vielleicht hat der Mann aber auch nur Rückenschmerzen. Politiker sollen ja auch nur Menschen sein. (Matthias Witzel) +++