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Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) - Fotos: Archiv

WIESBADEN Verfassungsschutzbericht 2020

Extremistische Gewalttaten: Deutlicher Anstieg von links und rechts

31.08.21 - Nach dem Verfassungsschutzbericht 2020 geht die größte Gefahr weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Das gab der Hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) und Verfassungsschutzpräsident Robert Schäfer am Dienstag bekannt. Die Zahl extremistischer Gewalttaten in Hessen hat sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr von 41 auf 79 fast verdoppelt. Ein signifikanter Anstieg rechtsextremistischer Gewalttaten von 31 im Jahr 2019 auf 42 im Berichtsjahr 2020 ist zu verzeichnen.

Der Anschlag in Hanau

Eine dieser 42 Taten erschütterte 2020 ganz Deutschland: Bei dem rassistisch motivierten Terroranschlag am 19. Februar 2020 in Hanau wurden acht Männer und eine Frau kaltblütig erschossen. Ein drastischer Anstieg extremistischer Gewalttaten wurde auch im Linksextremismus festgestellt: Von fünf Taten im Jahr 2019 auf 34 im letzten Jahr. 31 Taten wurden in Zusammenhang mit gewalttätigen Protestaktionen bezüglich des Ausbaus der Autobahn 49 in Mittelhessen ("Dannenröder Forst") registriert. Das extremistische Personenpotential in Hessen ist insgesamt leicht um 40 gestiegen: 13.475 Extremisten zählt das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) im Berichtsjahr.

Der Hessische Innenminister Peter Beuth erklärte: "Der feige Anschlag von Hanau hat Opfer und Hinterbliebene auf die schwerstmögliche Weise getroffen. Nach der Ermordung des unvergessenen Demokraten Dr. Walter Lübcke mussten die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erneut erfahren, wie die menschenverachtende und sinnlose Ideologie der Rechtsextremisten Tod und Trauer bei so vielen Menschen verursacht. Die Sicherheitsbehörden unseres Landes haben den Kampf gegen alle Auswüchse der rechtsextremistischen Szene mit großer Entschlossenheit weiter verschärft. Er hat weiterhin höchste Priorität. Rechtsextremistische Straftäter werden kompromisslos verfolgt und illegaler Waffenbesitz mit gezielten Durchsuchungen aufgedeckt. Hass und Hetze im Netz bekämpfen wir im engen Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft und Straftaten werden mit konzertierten Aktionen der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden geahndet."

Extremisten nutzen Pandemie für ihre Ziele

Aufgrund der notwendigen Pandemie-Beschränkungen im Berichtsjahr hatten auch Extremisten weniger Gelegenheiten, Kundgebungen und Veranstaltungen durchzuführen. Ein Phänomen, das sich 2020 Corona-bedingt neu herausbildete, sind die Kundgebungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung gewesen. Sie boten Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten, Angehörige der Reichsbürger-Szene, aber auch für Verschwörungstheoretiker, die den Staat in verfassungsschutzrelevanter Weise zu delegitimieren versuchten.

"Um Extremisten mit aller Härte zu bekämpfen, müssen immer wieder neue Wege beschritten werden. Das ist dem Inlandsnachrichtendienst zum Beispiel angesichts der offenkundig ungenießbaren, aber zunächst schwer zu fassenden Mixtur aus Rechtsextremisten, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, die sich bei Corona-Protesten in der Realität und Virtualität formierten, gelungen. Wer sich unter dem Deckmantel von Meinungs- und Demonstrationsfreiheit positioniert, um den Staat zu delegitimieren, ist ein Staatsfeind und muss als solcher auch mit allen Mitteln der wehrhaften Demokratie bekämpft werden", so der Innenminister. Daher habe der Verfassungsschutz die Voraussetzungen für die Beobachtung von verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates geschaffen, um die Demokratiefeinde unter den Corona-Leugnern aufmerksam in den Blick zu nehmen.

Rechtsextremismus: Erstarkter Missionseifer der Szene

Das Personenpotenzial gewaltorientierter Rechtsextremisten hat gegenüber dem Vorjahr auf 860 zugenommen. Das LfV schätzt mehr als die Hälfte (knapp 52 Prozent) der Rechtsextremisten als gewaltbefürwortend, gewaltunterstützend, gewaltbereit oder gewalttätig ein. "Unsere Erkenntnisse unterstreichen, dass sich Rechtsextremisten im Aufwind fühlen. Sprache und Habitus strotzen dabei teilweise von einem Selbstbewusstsein, dem der Staat und die Zivilgesellschaft, wann immer es möglich ist, unmissverständliche Stoppsignale entgegensetzen müssen", sagte LfV-Präsident Robert Schäfer.

Ein Grund sei, dass sich der Rechtsextremismus gesellschaftlich nicht mehr komplett ausgegrenzt, sondern teilweise akzeptiert fühle und gerade in sozialen Netzwerken und Onlineforen Zuspruch erhalte. Mitunter sei "ein erstarkter missionarischer Eifer" der rechtsextremistischen Szene festzustellen, berichtete Schäfer. Dieser schlage sich allgemein in intensivierten Internetaktivitäten, aber auch in klar umrissenen Projekten nieder: In einem ehemaligen Hotel im Landkreis Kassel sei im Berichtsjahr zum Beispiel mit dem Aufbau eines "Deutschen Kulturzentrums" begonnen worden, in der bereits erste Aktivitäten von Rechtsextremisten stattgefunden hätten. Auch das Projekt "Gegenuni" zeuge vom Missionseifer der rechtsextremistischen Szene, sagte der LfV-Präsident. Das Projekt ziele zunächst auf Etablierung einer "E-Learning Plattform im rechten Lager" ab. Dabei gehe es um die Vermittlung von Themen und Inhalten der sogenannten "Neuen Rechten".

"Die ,Neue Rechte‘ präsentiert hier alten Wein in neuen Schläuchen. Im Ergebnis sind es altbekannte rechtsextremistische Positionen, die neu und unauffälliger verpackt sind, so dass sich auch ein neues Publikum angesprochen fühlen könnte", sagte Schäfer. "Projekte wie die ,Gegenuni‘ sollen die Anschlussfähigkeit des Rechtsextremismus an breitere Teile der Gesellschaft befördern. Dies müssen wir mit Aufklärung und Prävention verhindern."

LfV prüft rechtsextremistische Verdachtsfälle im öffentlichen Dienst

Das SEK Frankfurt wurde nach Skandalen aufgelöst

Wenn das Landesamt für Verfassungsschutz Extremisten identifiziert, die im öffentlichen Dienst tätig sind, informiert es umgehend die personalführende Behörde, damit diese rasch disziplinarische Schritte prüfen kann. Die hessische Polizei hat dem LfV rechtsextremistische Verdachtsfälle innerhalb der Polizei zur Prüfung übermittelt. Bei zwölf Bediensteten kam das LfV zur Bewertung, dass hinreichend Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Person als Extremisten zu bewerten. Keiner dieser zwölf Bediensteten versieht derzeit Dienst. Einer der zwölf Bediensteten ist zwischenzeitlich kein hessischer Polizist mehr, die restlichen Personen wurden von der Polizei suspendiert (vorläufige Dienstenthebung) bzw. mit dem Verbot des Führens der Dienstgeschäfte belegt. Die Prüfungen des LfV und des Hessischen Landeskriminalamtes ergaben zugleich, dass weiterhin keine Anhaltspunkte für ein extremistisches Netzwerk innerhalb des öffentliches Diensts in Hessen festgestellt werden konnten. Beuth sagt dazu: "Extremisten haben im öffentlichen Dienst nichts verloren."

Linksextremismus: Gefahr von Angriffen nach Outing-Aktionen

Bei Protesten am Dannenröder Forst

LfV-Präsident Robert Schäfer hob die teils gewalttätigen Proteste gegen den Ausbau der A49 hervor. Deutlich geworden sei, dass auch im Zusammenhang mit legitimen Umweltschutzprotesten gewaltorientierte Extremisten in Erscheinung treten und Straf- und Gewalttaten begehen könnten. Viele Aktivisten im Dannenröder Wald hätten sich mit Rasierklingen die Fingerkuppen eingeritzt oder diese verklebt, um die Feststellung ihrer Identität zu verhindern und sich so der Strafverfolgung zu entziehen, sagte Robert Schäfer. Vor diesem Hintergrund hatte sich Innenminister Peter Beuth in der Innenministerkonferenz dafür eingesetzt, die Manipulation von Identitätsmerkmalen in das Ordnungswidrigkeitengesetz aufzunehmen. Nach dem positiven Votum der Innenminister zur hessischen Initiative wird sich die Justizministerkonferenz des Themas annehmen.

Islamismus: Steigende Gewaltaffinität beim "harten Kern" der Salafisten-Szene

Den Islamismus bezeichnete LfV-Präsident Robert Schäfer als weiterhin "sehr ernste Bedrohung für die öffentliche Sicherheit". Die Gefahr eines jihadistischen Terrorangriffs sei unvermindert hoch. Das hätten im Berichtsjahr die Anschläge im In- und Ausland deutlich gemacht, das zeigten aber auch die Entwicklungen innerhalb des internationalen islamistischen Terrorismus. "Der sogenannte Islamische Staat hat sich, obwohl territorial weitestgehend besiegt, im Untergrund konsolidiert und wieder eine gewisse Wirkungsmacht erlangt", sagte Schäfer. Dem IS, aber auch anderen Terrororganisationen gelinge es auch immer wieder, Anhänger und Sympathisanten über das Internet mit jihadistischer Propaganda zu versorgen. Angehörige der Islamistenszene in Hessen hätten sich mit in Syrien inhaftierten Kindern und deren Frauen solidarisiert, indem sie zum Beispiel Spendenprojekte unterstützten.

Eine vom LfV Hessen vorgenommene Analyse zu ausgereisten und zurückgekehrten Frauen habe ergeben, dass sich diese nach ihrer Rückkehr aus dem Mittleren Osten hierzulande nur geringfügig in die salafistische Szene eingliederten, sagte Schäfer. Der LfV-Präsident berichtete, dass die Anziehungskraft der Salafisten-Szene infolge der Niederlagen des IS insbesondere im Hinblick auf jüngere Menschen tendenziell nachlasse. Parallel dazu zeige sich jedoch eine steigende Gewaltaffinität beim "harten Kern" der Szene. (mp/pm) +++


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