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Etwa 100 Studenten der Hochschule Fulda kamen mit ihren zuständigen Professoren nach Geisa und auf Point Alpha zur Erstsemestereinführung - Fotos: Stadt Geisa

GEISA Erstsemestereinführung der Hochschule Fulda

Aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen

27.10.21 - Mit spannenden Zeitzeugenberichten, einer Vorstellung des neuen Forschungsinstitutes Point Alpha, intensiven Diskussionen und einer Führung durch die Gedenkstätte Point Alpha starteten die Erstsemester der Studiengänge Sozialwissenschaften, Sozialrecht, Intercultural Communication and European Studies (ICEUS) und Human Rights in Law, Politics and Society (MAHRS) der Hochschule Fulda in diesem Jahr in ihr Studium.

Dekan Prof. Hans-Joachim Reinhard begrüßte im Kulturhaus in Geisa.

Im Kulturhaus in Geisa wurden etwa 100 Studenten und ihre verantwortlichen Professoren von Dekan Prof. Hans-Joachim Reinhard begrüßt. "Point Alpha hat eine besondere Geschichte, die nicht nur für den Kalten Krieg, sondern auch für die Teilung Deutschlands, Europas und der gesamten Welt steht", so der Dekan. Er dankte besonders Studiendekanin Prof. Anne Schäfer für die Idee, die Studienanfänger an diesen historischen Ort zu bringen und Geschichte und deren Auswirkungen in die Gegenwart "hautnah" zu erleben.

"Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf", mit diesen Worten hieß Geisas Bürgermeisterin Manuela Henkel die Teilnehmer im Kulturhaus der einst westlichst gelegensten Stadt des Warschauer Paktes willkommen. Die Stadt hatte vor kurzem gemeinsam mit der Hochschule Fulda, der Point Alpha Stiftung sowie mit Wissenschaftlern der Universität Erfurt das Forschungsinstitut Point Alpha e.V. gegründet, das länder- und disziplinübergreifende Forschung am historischen Standort an der einst innerdeutschen Grenze betreiben will. "Die Menschen im Geisaer Land haben von 1933 bis 1989 gleich zwei Diktaturen erlebt: die der Nazis und die der Kommunisten", so die Bürgermeisterin. Die Räume des Veranstaltungsortes hatten dabei mehrfach Geschichte geschrieben: das Kulturhaus war einst Kommandozentrale von Stasi und DDR-Spezialeinheiten bei der mit Gewalt einhergehenden Umsetzung der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in Geisaer Land. Im Herbst 1989 trafen sich hier die Menschen zu den Montagsdemonstrationen.

"Point Alpha erinnert und mahnt wie kaum ein anderer Ort an die Zeit der deutschen Teilung und die vielen Schicksale, die mit ihr verbunden sind", betonte der Geschäftsführer der Point Alpha Stiftung, Sebastian Leitsch. "Das Fulda Gap war im Ost-West-Konflikt geostrategisch von größter Bedeutung." Im anschließenden Zeitzeugen-gespräch unter der Moderation von Prof. Anne Schäfer gab es spannende Einblicke in das Leben an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Bruno Leister wurde 1953 in Kranlucken geboren und kann sich noch gut an die Zwangsevakuierung der Familie Fink erinnern. "Es waren angesehene Bauern in unserem Ort, die Haus und Hof verloren, weil das DDR-Regime ein Exempel statuieren und Angst verbreiten wollte", so der Heimatforscher und Buchautor. 

Im Zeitzeugengespräch diskutierten (v.l.n.r.) Sabine Etzel, Thomas Wehner, Bruno ...

Hintergrund war der Austritt der Kranluckener Bauern aus der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Solche Zwangsevakuierungsmaßnahmen zogen sich durch das gesamte Geisaer Land. Über ihr alltägliches Leben im 5-Kilometer-Sperrgebiet mit Passkontrollen, Einreiserlaubnis, den Schwierigkeiten als junger Mensch selbstbestimmend einen Beruf zu ergreifen und dem Leben in zwei Welten berichtete Sabine Etzel: "Es gab zum einen den geschützten Raum der Familie und zum anderen die Öffentlichkeit, in der man auf jedes Wort achten musste", berichtete die 56-jährige Krankenschwester. "Unsere Eltern haben uns immer wieder gesagt: Seid still." Die direkte Grenzlage im Sperrgebiet prägte die Menschen im Geisaer Land. "Es war aber auch Heimat, an der ich hing und die ich nicht verlassen wollte", so Sabine Etzel.

Die Entscheidung, die Heimat zu verlassen, traf Berthold Dücker mit 16 Jahren. "Ich wollte immer Journalist werden", berichtete der spätere Chefredakteur der Südthüringer Zeitung. "Als mir bewusst wurde, dass dieser Beruf in der ehemaligen DDR mit Regimetreue und letztlich mit Lügen verbunden war, wusste ich: Das ist nicht mein Land!" Eines Tages entschließt er sich beim Hüten der Kühe direkt an der Grenze zur Flucht. Mit der Zange in der Hand, dem Kopf auf dem anderen Arm robbt er bäuchlings durch das Minenfeld, in dem Bewusstsein, dass es jeden Moment mit ihm zu Ende sein könne. "Daran hat sich bis heute nichts geändert", stellt er fest. "Auch heute sind meist junge Menschen auf der Flucht und wenn sie irgendwo in Afrika in ein Boot steigen, dann immer in dem Bewusstsein, dass sie ihr Leben riskieren."

Die Grenze von der "anderen Seite" erlebte Thomas Wehner als Beamter des Bundesgrenzschutzes. Er berichtete über seine Kontrollgänge und über Versuche mit den DDR-Grenzern Kontakt aufzunehmen. Am Standort der ehemaligen BGS-Abteilung in Fulda befinden sich heute die Gebäude der Hochschule Fulda. Für Thomas Wehner ist die friedliche Revolution bis heute ein Wunder. "Ich habe größten Respekt für den Mut der Menschen in der ehemaligen DDR", betonte er.

Prof. Claudia Wiesner stellte das Forschungsinstitut Point Alpha vor.

Prof. Claudia Wiesner spannte im Anschluss den Bogen aus der Geschichte in die Gegenwart und stellte als Direktoriumsmitglied die Ziele des neu gegründeten Forschungsinstituts Point Alpha vor: "Point Alpha ist ein Knotenpunkt der Geschichte der Welt, Europas und Deutschlands. Es ist ein Ort an dem ganz große und ganz kleine Linien der jüngeren Geschichte verlaufen und auch baulich sichtbar und erlebbar werden, die Vergangenheit, Gegenwart und auch die Zukunft prägen." Bis heute gebe es in der Welt solche Trennlinien, geographisch, auf Grenzen bezogen, und auf Systemkonkurrenz. "Die Folgen der Systemkonkurrenz zwischen der liberalen Demokratie des Westens und dem real existierenden Sozialismus in Osteuropa schreiben sich ihrer Meinung nach bis heute fort. "Nach dem Brexit ist der mögliche Polexit inzwischen nicht mehr nur ein Hirngespinst", ist die Politikwissenschaftlerin überzeugt. "Gespeist wird diese Ablehnung der EU unter anderem aus einer lange währenden Tradition der Ost-West-Konkurrenz und aus dem Gefühl, dass der Westen den Osten seit jeher unterdrückt." Auch in Deutschland sei die einstige Teilung heute noch spürbar, wie die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl gerade in Thüringen eindrücklich belegten. Ebenso habe die Grenze lokal bei den Menschen ihre Spuren hinterlassen. "Ziel des gegründeten Forschungsinstituts ist es, all dies zu erforschen, und zwar direkt dort, wo diese Linien zusammenlaufen", so Wiesner. Forschungsthemen sind der Kalte Krieg in Geschichte und Gegenwart, Grenzerfahrungen und Demokratie in der Globalen Ordnung.

Im Anschluss nutzten die Studenten die Möglichkeit zu Austausch und Gesprächen, bevor es mit Bussen zur Gedenkstätte ging. Dort konnten sie bei Führungen im Haus auf der Grenze und im US-Camp deutsch-deutsche und letztlich auch internationale Geschichte hautnah vor Ort erleben. (pm) +++


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