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Marcus Höckendorf verbrachte das Weihnachtfest im Jahr seiner Ankunft in Fulda vor zwei Jahren auf der Straße. - Fotos: Carina Jirsch

FULDA Kalte Nächte im Freien

"Wir sind nicht allein" - Marcus Höckendorf über Weihnachten auf der Straße

24.12.21 - Eisige Temperaturen, nur ein kleiner Rucksack mit dem Nötigsten und kein Dach über dem Kopf - all das war für Marcus Höckendorf über eineinhalb Jahre Realität. Selbst das Weihnachtsfest verbrachte der 37-jährige Brandenburger einst in den Straßen der Barockstadt. Seit einigen Monaten hat er im Haus Jakobsbrunnen, einer Einrichtung der Caritas, ein Zuhause gefunden. Von einem traditionellen Weihnachtsfest mit seiner Familie kann er im Moment nur träumen. OSTHESSEN|NEWS-Reporterin Lea Hohmann hat in Fulda das Gespräch mit dem gelernten Landwirt gesucht.

Es ist ein kalter Nachmittag, als ich Marcus Höckendorf im Hof der Einrichtung Jakobsbrunnen unterhalb des Doms treffe - er ist ein ruhiger, aber aufgeschlossener Mensch, der seine Erlebnisse mit mir teilen möchte. "Ich gehe damit sehr offen um. Viele Menschen verurteilen Obdachlose schnell, man wird über einen Kamm geschert. Jeder kann auf der Straße landen, dafür gibt es so viele Gründe", erzählt mir Marcus. Dass Obdachlosigkeit heute keine Seltenheit mehr ist, weiß auch Torsten Hammer, Bereichsleiter im Haus Jakobsbrunnen: "Viele Menschen, die auf der Straße leben, haben mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen, beispielsweise dem Verlust eines geliebten Menschen, des Jobs oder einer schwierigen familiären Situation".

O|N-Reporterin Lea im Gespräch mit Marcus Höckendorf und Torsten Hammer. ...

Torsten Hammer, Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe im Haus Jakobsbrunnen ...

"Nur mit einem Rucksack bepackt, bin ich in Fulda gelandet"

Auch Höckendorf erlebte mit seiner Familie im Laufe der Jahre Differenzen. Seine beiden Brüder sitzen derzeit im Gefängnis, der Vater lebt mit Demenz im Pflegeheim und der Aufenthaltsort der Mutter ist unbekannt. "Wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Doch dann ist familiär einiges passiert. Irgendwann habe ich einfach meine Sachen gepackt und mich in den Zug gesetzt. Nur mit einem Rucksack bepackt, bin ich dann in Fulda bei der Bahnhofmission gelandet. Ich habe draußen übernachtet, auf Bänken oder manchmal auch in der Tiefgarage", erzählt Höckendorf, der sich immer wieder an die Zeit in seiner Heimat zurückerinnert. "Wir hatten zu Hause einen eigenen Hof, nach meinem Realschulabschluss habe ich den Beruf des Landwirts gelernt. Die Arbeit hat mir immer jede Menge Freude bereitet. Seit einiger Zeit helfe ich jetzt in Fulda auf dem Antonius Hof", freut sich der Brandenburger, der betont: "Ich glaube ich habe noch keinen einzigen Fehltag. Die Arbeit macht mir unglaublich Spaß". Jeden Morgen fährt der 37-Jährige mit dem Rad zu seiner Arbeitsstelle in der Haimbacher Straße. 

Zu Weihnachten erfahren die Obdachlosen eine Welle der Hilfsbereitschaft: "Die Menschen sind großzügiger, einige geben eine kleine Geldspende. Soziale Einrichtungen unterstützen uns mit Essen und Kleidung", so Höckendorf, der das Weihnachtsfest 2019 auf der Straße verbrachte. Auch die Caritas bietet an Heiligabend für Menschen, die sich keine warme Mahlzeit leisten können, einen sogenannten "Hot Truck" an. Im Innenhof des Caritas Gebäudes können sie bei weihnachtlicher Stimmung ins Gespräch kommen und das Essensangebot des Verbandes nutzen. "Auch in diesem Jahr werden wir Bedürftigen - aufgrund von Corona in der "To-Go"-Version - eine warme Mahlzeit anbieten", so Hammer, der bereits seit über 20 Jahren in der Sozialarbeit tätig ist. "Weihnachten ist für viele etwas Besonderes, jedoch auch mit einer gewissen Traurigkeit verbunden", betont der Bereichsleiter.

Träume von einem festen Job und eigener Wohnung

Ein bisschen "Feiern" steht für Höckendorf aber in diesem Jahr trotzdem auf dem Programm. "Es gibt ja so viele Obdachlose. Wir sind nicht allein. In diesem Jahr wollen wir gemeinsam bei einem Freund von mir Heiligabend feiern und sogar gemeinsam kochen. Das ist für mich schon etwas Besonderes. Ich habe hier wirklich gute Freunde gefunden", freut sich der 37-Jährige. Das letzte Weihnachten im Kreise der Familie ist über fünf Jahre her. "Auch damals hat immer einer gefehlt, aber man war noch als Familie zusammen. Einige meiner Familienmitglieder sind auch schon verstorben", erzählt Höckendorf, der sich noch heute gerne an die gemeinsamen Abende mit seiner Familie erinnert. 

Auch wenn an seiner Heimat in Brandenburg noch viele Erinnerungen hängen, kann sich der 37-Jährige vorstellen, dass Fulda eines Tages sein neues Zuhause wird. "Bisher läuft alles ganz gut. Ich fühle mich wohl hier und die Arbeit bei Antonius macht mir großen Spaß. Vielleicht kann ich dort ja auch auf Dauer arbeiten", hofft er.

Das Weihnachtsfest eines Tages wieder mit seiner Familie feiern zu können, ist für Höckendorf nicht ausgeschlossen: "Vielleicht kehre ich im nächsten oder übernächsten Jahr wieder einmal in meine Heimat zurück oder feiere eines Tages sogar mit meiner eigenen Familie mit Frau und Kind". An Mut zum Neuanfang scheitert es dem gelernten Landwirt auf jeden Fall nicht: "Ich träume von einer eigenen Wohnung und einem festen Job. Vielleicht verbringe ich Weihnachten nächstes Jahr schon in den eigenen vier Wänden", blickt der 37-Jährige optimistisch in die Zukunft. (Lea Hohmann) +++

Jeden Tag fährt der gelernte Landwirt mit dem Fahrrad zum Antoniushof.


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