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Grundlage des Buchs sind die von Schneider selbst geschriebenen Erinnerungen, in denen er über Erfolge, Misserfolge, seine Lehr- und Berufsjahre, seine musikalischen Erfolge, den Militärdienst, zwei Kriege und natürlich Fuldaer Begebenheiten berichtet. - Fotos: Carina Jirsch

FULDA Visionär mit allzu großem Zettelkasten

Neuauflage der Ferdinand Schneider-Biografie im Vonderau-Museum

07.01.22 - "Als Ferdinand Schneider mit 89 Jahren in seiner Heimatstadt starb, wussten nur noch Fachleute, was er zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Elektrotechnik bahnbrechendes geleistet hat." So kann man es im Vorwort der Neuauflage der Ferdinand-Schneider-Biographie lesen, die am Dreikönigstag im Vonderau-Museum vorgestellt wurde.   

Entdeckung im Stadtarchiv 

Grundlage des Buchs sind die von Schneider selbst geschriebenen Erinnerungen, in denen er über Erfolge, Misserfolge, seine Lehr- und Berufsjahre, seine musikalischen Erfolge, den Militärdienst, zwei Kriege und natürlich Fuldaer Begebenheiten berichtet. Lang blieb Schneiders Schrift unbeachtet. Als Thomas Mollenhauer, der Vater des Autors, für eine Firmenchronik im Stadtarchiv recherchierte, machte ihn Dr. Rita Wehner, die damalige Leiterin, darauf aufmerksam, dass dort dieser Text seines Vorfahren läge. Und so kam der Stein ins Rollen. Von der ersten zur zweiten Auflage gibt es keine wesentlichen Veränderungen, einige Fehler wurden korrigiert, weitere Personen dank digitaler Möglichkeiten korrekt identifiziert – der Text selbst blieb unverändert.  

Was für ein Mensch war dieser Ferdinand Schneider eigentlich? 

Schade finde ich, dass die Neuauflage nicht dazu genutzt wurde, in einem begleitenden Essay auch den privaten Ferdinand Schneider zu zeigen. Seine Schrift und somit auch das Buch fokussiert sich ganz auf seinen beruflichen Werdegang und seine Erfindungen, über sich und seine Familie schweigt er. An einer Stelle ist von einer Verlobung mit Margarethe Bohn die Rede. Dass sie Schneiders erste Ehefrau war, muss man den Fußnoten entnehmen. Sie starb bereits mit 39 Jahren – woran? Über sie hätte ich gern mehr gewusst, auch über Anna Harms, seine zweite Ehefrau, die nicht einmal erwähnt wird, und über seine Kinder. 

Mindestens eins muss er gehabt haben, denn Autor Stephan Mollenhauer erwähnte eine in Frankreich lebende Enkeltochter Schneiders. Wie war wohl das Verhältnis der Familie zu Ferdinand Schneider und seiner Erfindungswut? Wie ging es ihnen mit einem Ehemann und Vater, der vermutlich wenig Zeit für seine Familie hatte? Interessierte seine Familie sich für das, was er machte? Wie ging sie mit den Erfolgen und Rückschlägen um?  

Immerhin wissen wir, dass Ferdinand Schneider ein begnadeter Vortragsredner war, der große Säle mit bis zu 500 Menschen problemlos füllte und komplizierte technische Vorgänge exzellent erklären konnte. So gut, dass auch Damen dem Vortrag beiwohnen können, so der Almanach "1896" des Geschichtsvereins (Eintrag vom 09. März 1896). Ich hätte als Leserin gern mehr über die private Seite dieses faszinierenden Mannes gewusst – der reine Abdruck der Schneider’schen Schrift lässt einen doch etwas unbefriedigt zurück. 

Der Erfinder Ferdinand Schneider (1866-1955) - ein Wegbereiter des Kommunikationszeitalters ...

Pulver, Uhren und die Liebe zur Elektrotechnik 

Schneider lebte in einer Zeit, in der so bahnbrechende technische Erfindungen gemacht wurden, dass wir noch heute davon profitieren. Vieles, was uns heute selbstverständlich scheint, muss für seine Zeitgenossen irgendwo zwischen Wunderwerk und Teufelszeug angesiedelt gewesen sein. In die Wiege gelegt wurden Ferdinand Schneider seine Erfindungen nicht. Der Vater war Zahntechniker und Amtswundarzt, die Mutter entstammte der Instrumentenmacher-Familie Mollenhauer, beide Eltern waren sehr musikalisch. 

Schon während der Schulzeit experimentierte der Junge und entdeckte bald seine Liebe zur Elektrotechnik. Eine elektrotechnische Ausbildung konnte man damals noch nicht machen, denn die steckte noch in den Kinderschuhen. So wählte Schneider die Ausbildung zum Uhrmacher, weil er so das meiste über Feinmechanik lernen konnte. Lehrzeit und erste Stellen führen ihn nach Bad Salzuflen, Wedel und Hamburg. Schneider erfindet für seinen Chef die erste elektrische Schaufensterbeleuchtung. Hauptsächlich befasste er sich in jenen Jahren aber mit der Entwicklung einer elektrischen Uhr, 1887 meldete er sie zum Patent an. Irgendwann muss er zum Militärdienst, den er sich mit seinem musikalischen Talent recht erträglich gestaltet (er war ein exzellenter Querflötenspieler und spielte eine sog. Böhm-Flöte). Und danach kehrte er nach Fulda zurück. 

Ein Tausendsassa 

Liest man in diesem Buch, reibt man sich verwundert die Augen. Gibt es irgendetwas, das Schneider beruflich nicht getan oder nicht erfunden hätte? Gefühlt – nein. Er lernte Uhrmacher. Er gründete ein Geschäft für Uhren, Feinmechanik, Optik und Elektrotechnik in Fulda. Er errichtete Fernsprechanlagen, Blitzableiter, elektrische Klingelanlagen und elektrische Lichtanlagen. Er wurde Eichmeister. Er wurde Feuerwehrhauptmann. Er wurde Stadtverordneter und lag in Dauerfehde mit Oberbürgermeister Antoni. Er war in der Bau-, Elektrizitäts-, Schlachthaus- und der Gaskommission. Er erfindet 1895 die drahtlose Telegraphie – im gleichen Jahr wie Marconi. 

Er gewann Strom aus Wind – ein Fuldaer Grüner zu Beginn des 20. Jahrhunderts! Er organisierte 1904 gegen heftige Widerstände die erste Fuldaer Gewerbeausstellung – sie wird mit 700 Ausstellern ein Riesenerfolg und ist der Vorläufer der Osthessenschau, die von 1972 bis 2012 unter der Regie Dieter Udolphs stattfand. Schneider entwickelte ‚Fuldit‘ und ‚Schneidit‘, drahtloses Sprengpulver. Er erfand die Funkuhr. Er erfand Magnetzünder für Minen und Wasserbomben. Er baute das erste Windkraftwerk (auf dem Kreuzberg). Eher nebenbei entwickelte er unter anderem Entfernungsmesser, Mikrofone, Projektoren, Motoren, Sprechmaschinen und Sicherheitsmanometer. Schneider wurden 117 deutsche und 64 ausländische Patente erteilt. 

Pech und Schulden 

Bei allem Erfindergeist gingen Schneider jedoch das kaufmännische Geschick und Kontakte zu wichtigen Geldgebern ab, er hatte offenbar auch niemanden in seinem Umfeld, der diese Aufgaben hätte übernehmen können. Es scheint auch niemanden gegeben zu haben, der ihn ab und zu bremste und mit ihm gemeinsam erfinderische Prioritäten setzte. Es war ganz offensichtlich zu viel, und so kam es, wie es kommen musste: "Durch große Ausgaben zur Anmeldung von neun Patenten, fünf in Deutschland, vier in den USA, war ich in Rückstand mit den Hypothekenzinsen geraten", liest man – Schneiders Haus, die Werkstatt und der Sendeturm wurden in den 1940ern zwangsverkauft. Seine Werkzeuge veräußert er unter Wert, alle Modelle, Uhren und Patenturkunden stellte er im Vonderau-Museum aus. 1944 wird er ausgebombt, nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmen die Amerikaner all seine Patente. Damit verliert Schneider die Möglichkeit, finanziellen Gewinn aus seinen Erfindungen zu schlagen.  


Fritterempfänger

"Schneider hat eigentlich alles verloren, was er an Ehre oder Geld hätte haben können", so Stephan Mollenhauer, der überzeugt davon ist, dass es seinem Großonkel "Ferdinando Patento", wie er in der Familie halb anerkennend, halb abschätzig genannt wurde, v.a. am nötigen Geld fehlte, um seine Patente auch wirtschaftlich zu nutzen. "In der Familie hatte man recht wenig Verständnis dafür, dass Ferdinand alles Geld sofort wieder in Erfindungen und Patente steckte", erzählt Stephan Mollenhauer. Nicht einmal die ihm angetragenen Ehrendoktorwürden der Universitäten von Jena und Zürich konnte Schneider annehmen, ihm fehlte das Geld dazu. 

Detektorenempfänger

Späte Anerkennung 

Die Stadt Fulda gewährte Schneider ab 1941 einen jährlichen Ehrensold von zunächst 1.200, dann 1.800 Reichsmark (nach der Währungsreform wurde das auf 150 bzw. 200 DM monatlich umgestellt). Und sie machte ihn 1944 zum 1250-jährigen Stadtjubiläum zum ersten Träger des Fuldaer Kulturpreises.  

Seit dem Jahr 2014 hängt eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus in der Kanalstraße. Seit Oktober 2019 befindet sich an der ehemaligen Gaststätte Harmonie in der Petersgasse eine Gedenktafel für Schneider – also dem Ort, an dem er erstmal die drahtlose Telegraphie vorgeführt hatte. Dem Vonderau-Museum widmet Schneider einen kleinen Bereich in der kulturgeschichtlichen Dauerausstellung. Im Gewerbepark Kohlhäuser Feld ist eine Straße nach ihm benannt.  

Wer weiß, vielleicht entdecken ARD und ZDF Schneider und sein Leben ja bald als Stoff für eine Fernsehserie, mit Berliner Institutionen dürfte man inzwischen ja durch sein. Verdient hätte er es allemal. (Jutta Hamberger) +++


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