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Kreativ neue Wege gehen – Jetzt geht’s zum Lernen in die Wälder
24.01.22 - Wo macht eigentlich das Eichhörnchen Winterruhe? Wie nennt man die Mitte eines Kreises? Und wie war das nochmal mit den verschiedenen Lauten? Begleitet man die Kinder der Löwen- und Fledermausklasse wird schnell klar: Schule geht auch anders. Stephanie Manns, Johanna Hübl und Franziska Hainer gehen mit dem Konzept der "Draußenschule" neue Wege. Die Unterrichtsform, die in Skandinavien schon lange bekannt ist, wird gerade in Pandemiezeiten verstärkt propagiert.
Es ist ein kalter Morgen, an dem ich mich auf den Weg zum Schulhof der Fliedetalschule mache. Für die Erstklässler steht heute ein besonderes Highlight auf dem Programm - einmal in der Woche wird hier das Klassenzimmer gegen den Wald getauscht. Und das heißt nicht einfach nur Stühle und Tische raus und Unterricht unter freiem Himmel: Die Schüler lernen und erkunden dabei die Natur. An diesem Tag stehen Mathe, Deutsch, Sachunterricht und Sport auf dem Stundenplan. "Von welchem Tier stammen die Spuren im Schnee?", fragt die kleine Mia gespannt. "Und was ist das Weiße da am Baum?", überlegt der 7-jährige Jonas und schaut neugierig zur Rinde einer Fichte.
Die Jungen haben nach wenigen Minuten an der frischen Luft schon ein anderes Highlight gefunden - der Bach, der unterhalb des Waldes entlangfließt, hat es den Schülern angetan. Hier gibt es jede Menge zu entdecken. "Die Bäume hier im Wald sind wichtig, weil sie für den Sauerstoff sorgen", weiß der 6-jährige Linus. Die Natur hält für die Kids jede Menge bereit. Gemeinsam mit den Lehrkräften machen wir an einer Station im Wald Halt. Johanna Hübl zückt einige Motivkarten. "Weiß jemand, was man hier sehen kann?", fragt sie in die Runde. Direkt schnellen einige Hände in die Höhe. An Motivation mangelt es hier nicht.
Fächerübergreifende Lerninhalte in der freien Natur Neben interessanten Entdeckungen, können die Kinder in der Natur viel Wissenswertes mitnehmen: Die Lerninhalte sind dabei nicht wie gewohnt im 45-Minutentakt aufbereitet, sondern orientieren sich fächerübergreifend an übergeordneten Themen. "Die Kinder merken meist gar nicht, dass sie lernen. Es ist wirklich schön zu sehen, wie gut es den Kids tut, einmal in der Woche raus zu kommen. In Zeiten der Maskenpflicht ist es eine willkommene Abwechslung, den Mundschutz draußen für ein paar Stunden ablegen zu können. Außerdem verbringen die Kinder heutzutage deutlich mehr Zeit vor dem Bildschirm. Draußen im Wald können sie aktiv werden. Hier braucht es nicht einmal Zettel und Stift", so Hübl. Trotzdem wird draußen das Rechnen geübt, die Kinder lernen spielerisch Gedichte auswendig oder begeben sich im Wald auf Buchstabensuche.
Da aufgrund der Pandemie im letzten Jahr keine Weihnachtsfeier stattfinden konnte, entschieden sich die Lehrkräfte im Dezember spontan für eine "Waldweihnacht". Gemeinsam mit einigen Eltern stimmten sich die Kinder im heimischen Wald auf das Weihnachtsfest ein. "Wir haben einen Weihnachtsbaum für die Tiere geschmückt und zusammen gesungen. Die Kinder hatten Möhren, Äpfel und andere Leckereien für die Tiere dabei, die dann festlich an einem Baum angebracht wurden. Das war wirklich eine tolle Aktion", erinnert sich die Lehrkraft. Sowohl bei den Kindern, als auch bei den Eltern wird das Unterrichtskonzept super angenommen. "Die Kinder sind am Ende des Tages ausgelastet, sitzen nicht den ganzen Tag im Klassenzimmer. Und wir Lehrkräfte fahren nach Feierabend glücklich nach Hause", freut sich die 38-Jährige.
"Hier gibt es nie Ärger oder Frust" Dem Konzept der Draußenschule liegt die Idee einer ganzheitlichen Bildung zugrunde, die darauf abzielt, den Kindern offene und produktive Räume des eigenverantwortlichen Ausprobierens bereitzustellen. In Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit machen die Kinder Entdeckungen und freuen sich an den Wundern der Natur. "Meistens findet sich während der Draußenschule auch ein besonderes Fundstück, zum Beispiel ein gekringelter Fichtenzapfen. Hier gibt es eigentlich nie Ärger oder Frust und die Kinder nehmen das Lernen gar nicht bewusst wahr", so die 38-Jährige, die betont: "Wir wollen, dass die Kinder die Natur kennen- und schätzen lernen. Denn im Hinblick auf den Klimawandel, können sie nur das als Erwachsene schützen, was sie in jungen Jahren schätzen gelernt haben".
An den anderen Schultagen arbeiten die Lehrerinnen nach dem Unterrichtskonzept "Individuelles Lernen mit System" in ihren Klassen. Jedes Kind kann sich dabei in seinem Tempo weiterbilden. In der Draußenschule hingegen arbeiten alle an einem Thema, um das Gruppengefühl gezielt zu stärken. "Durch diese beiden Unterrichtskonzepte möchten wir die Freude am Lernen erhalten" so Manns, die mit ihren Kolleginnen das Konzept der Draußenschule weiter nach vorne bringen möchte. Egal ob im Sommer oder Winter - lernen lässt es sich zu jeder Jahreszeit. Und bei jeder Draußenschule gibt es wieder unendlich viel Neues zu entdecken. (Lea Hohmann) +++