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Offenes Ohr für betroffene Kinder und Jugendliche von sexualisierter Gewalt
17.02.22 - Nadine Günther von der Fachberatungsstelle HALTE.PUNKT der pro familia in Bad Hersfeld berät und begleitet betroffene Kinder und Jugendliche von sexualisierter Gewalt sowie deren Angehörige und pädagogische Fachkräfte. Sexualisierte Gewalt kann überall stattfinden. Die Betroffenen kennen den Täter oder die Täterin meistens sehr gut.
Oft sind TäterInnen Personen aus der eigenen Familie oder Bekannte und Freunde der Eltern. Auch Kindertagestätte, Schulen, Sportvereine, Kirchengemeinden und andere Einrichtungen können Tatorte sein. Meistens verhalten sich TäterInnen angepasst und freundlich. Zur Täterstrategie gehört, dass sie gezielt Kontakt zum Kind aufnehmen, eine vertrauliche Beziehung aufbauen und auch das Vertrauen der Eltern oder der KollegInnen gewinnen. Sie binden das Kind eng an sich und isolieren es gezielt von erwachsenen Vertrauenspersonen und Gleichaltrigen, indem sie dem Kind besondere Aufmerksamkeit schenken und Geschenke machen. Gleichzeitig zeigen sie sich bei den Erwachsenen als besonders engagierte TrainerInnen, BabysitterInnen oder Kinderfreunde und verwirren deren Wahrnehmung.
Kinder werden verwirrt und manipuliert
Sexualisierte Übergriffe sind meist über einen längeren Zeitraum hinweg geplant. Kinder werden gezielt in der Wahrnehmung ihrer Grenzen und Gefühle verwirrt und manipuliert. Kinder und Jugendliche werden enorm eingeschüchtert und unter Druck gesetzt, niemandem davon zu erzählen. Dies geht so weit, dass die Betroffenen Scham empfinden, sich selbst dieSchuld dafür geben und über die Taten schweigen. Wenn Kinder von sexualisierten Gewalterfahrungen berichten, lügen sie in der Regel nicht. Ein ruhiges und überlegtes Handeln ist hilfreich. Allzu heftige Reaktionen belasten betroffene Kinder und lassen sie größtenteils erneut verstummen. Betroffene Kinder unternehmen im Schnitt bis zu 7 Anläufe, bis ein Erwachsener die Signale versteht. Kinder sollten für ihren Mut sich anzuvertrauen gelobt werden. Betroffenen sollten keine detaillierten und suggestiven Fragen gestellt werden. Kinder sollen selbst entscheiden dürfen, was und wie viel sie erzählen möchten. Auch, wenn Aussagen unlogisch erscheinen, sollten diese nicht infrage gestellt werden. Die Verantwortung für einen sexualisierten Übergriff trägt niemals das betroffene Kind. Forderungen nach drastischen Strafen für TäterInnen sollten unbedingt vermieden werden, sonst können sich betroffene Kinder meist nicht weiter anvertrauen. Die Mehrzahl der Betroffenen möchte sich nicht dafür verantwortlich fühlen, dass der Täter oder die Täterin ins Gefängnis kommen. Kinder müssen vor Kontakten mit den TäterInnen geschützt werden.
HALTE.PUNKT-App ermöglicht niedrigschwellige Kontaktaufnahme
Betroffene Kinder und Jugendliche nehmen selbst nur selten Kontakt zu HALTE.PUNKT auf. Sie benötigen eine Vertrauensperson, die sie bei der Kontaktaufnahme unterstützt. HALTE.PUNKT hat sich in den letzten beiden Jahren intensiv damit beschäftigt, wie Kinder und Jugendliche in diesen besonderen Zeiten der Pandemie und auch in Zukunft besser erreicht werden können.Mit der Implementierung einer Onlineberatungs-App soll nachhaltig ein Kommunikationsweg geschaffen werden, über den ältere Kinder und Jugendliche, niedrigschwellig die Fachberatungsstelle kontaktieren können und die erste Hürde der Kontaktaufnahme erleichtern. Die HALTE.PUNKT-App ist nun in den Stores und kann über einen QR-Code unkompliziert heruntergeladen werden. Die App ermöglicht über die Chatfunktion eine Kontaktaufnahme zur Fachberatungsstelle. Das Schreiben über das Erlebte fällt Betroffenen oft leichter, als am Telefon oder im persönlichen Kontakt darüber zu sprechen. Mit der App ist eine niedrigschwellige Beratung möglich, die zu einer Video-, Telefon-, oder face-to-face Beratung übergehen kann, wenn dies gewünscht ist. Link zum App-Download: www.haltepunkt.org (pm) +++