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Der Bundestagsabgeordnete Michael Roth hat derzeit einen schweren politischen "Rucksack" zu tragen - Foto: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

BERLIN "Ich spüre sehr viel Unsicherheit"

Michael Roth (SPD) in der Ukraine: "Diese Angst hat sich festgefressen"

16.04.22 - Die schrecklichen Bilder aus der Ukraine machen fassungslos und wütend. Der Krieg beschäftigt viele Menschen. Die führenden Nationen diskutieren, ob und wie sie der Ukraine weiter helfen können. Soll Deutschland schwere Waffen in die Ukraine entsenden?

Die politischen Diskussionen werden von entsprechenden Anfragen aus der Ukraine geprägt. Der heimische Bundestagsabgeordnete Michael Roth (SPD) war vor wenigen Tagen mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) in Lwiw zu Gesprächen mit Vertretern der Ukraine.

Im OSTHESSEN|NEWS-Interview äußert sich Michael Roth zu seinen Eindrücken aus der Ukraine und seiner Haltung, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern solle.

OSTHESSEN|NEWS: Herr Roth, wie waren Ihre Eindrücke in der Ukraine?

Michael Roth: "Ich stehe noch immer unter dem Eindruck der Bilder meines Besuchs in der Ukraine. Meine Kollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, mein Kollege Anton Hofreiter und ich sind von unseren ukrainischen Gastgeberinnen und Gastgebern in Lwiw mit offenen Armen empfangen worden. Gerade in diesen Zeiten kann kein Telefonat, keine Videokonferenz die persönliche Begegnung ersetzen. Durch meine Reise habe ich nun eine konkretere Vorstellung davon, was Krieg für die Menschen in der Ukraine wirklich bedeutet: tagtäglich Angst zu haben um das eigene Leben und das Leben der Liebsten, nicht mehr zu wissen, wie es weitergeht. Diese Angst hat sich verständlicherweise in den Köpfen der Ukrainerinnen und Ukrainer festgefressen. Was ich nie vergessen werde, ist der Besuch in einem Militärkrankenhaus: Dort musste ich einem jungen ukrainischen Soldaten in die Augen blicken, der erst vor kurzem ein Bein verloren hat. Seine Mutter saß neben ihm am Krankenbett. Beide sind fürs Leben gezeichnet. So etwas lässt einen nicht kalt."

OSTHESSEN|NEWS: In einem Interview im heute journal haben Sie betont, dass Sie Ihre Meinung zur Unterstützung geändert haben. Sie plädieren nun für die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Welche Hoffnung verbinden Sie damit?

Michael Roth: "Die Ukrainerinnen und Ukrainer machen sich derzeit große Sorgen vor der nächsten russischen Militäroffensive im Osten des Landes. Und sie wissen: Sie werden nur dann eine Chance haben, Menschenleben zu retten, wenn sie sich schützen und verteidigen können. Durch die weitere Verschärfung der eh schon dramatischen Lage benötigen sie nun auch schwere Waffen, um Putin aus einer Position der Wehrhaftigkeit und der Stärke an den Verhandlungstisch bringen und diesen fürchterlichen Krieg beenden zu können. Ob die Ukraine Stand halten kann, ist nicht nur maßgeblich für die Zukunft dieses wunderbaren Landes selbst, sondern wird auch darüber entscheiden, ob wir zukünftige militärische Konflikte beispielsweise in Moldau, Georgien oder auf dem westlichen Balkan verhindern können."

OSTHESSEN|NEWS: Wird Bundeskanzler Olaf Scholz ebenfalls seine Meinung ändern oder zumindest nach Kiew reisen?

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und der heimische Bundestagsabgeordnete Michael ...Archivbild: O|N/Hans-Hubertus Braune

Michael Roth: "Der Bundeskanzler entscheidet ja selbst über seine Reisepläne. Aber ich werde ihm gerne von meinen Eindrücken berichten, wenn er mich danach fragt. Vor allem hätte ich mich sehr darüber gefreut, wenn unser Bundespräsident in der Ukraine willkommen gewesen wäre. Ich bin darüber sehr enttäuscht, gerade auch, weil Deutschland schon viel leistet in der Ukraine. Denken Sie an die große wirtschaftliche und finanzielle Hilfe, an die Aufnahme von bisher über 335.000 geflüchteten Menschen in Deutschland oder auch an die bisherigen Waffenlieferungen. Wenn man die nachvollziehbare Hoffnung hegt, dass Deutschland noch mehr tun muss, dann sollte man das miteinander besprechen. Nichts ist so wichtig wie der direkte Austausch. Dann spüren wir nämlich auf beiden Seiten, dass wir eigentlich ziemlich nah beieinander liegen."

OSTHESSEN|NEWS: Die schrecklichen Bilder aus der Ukraine machen wütend und fassungslos. Sie bereiten vielen Menschen aber auch ganz persönliche Zukunftsängste, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Gibt es irgendetwas, was Ihnen trotzdem Hoffnung und Mut gibt für bessere Zeiten gibt?

Michael Roth: "Ich spüre im Moment sehr viel Unsicherheit in unserer Gesellschaft. Einerseits erlebe ich ganz viel Solidarität von Menschen, die jetzt sagen, dass wir noch weitergehen und mehr tun sollten. Aber natürlich gibt es auch viele Menschen, die sich große Sorgen machen. Sie haben Angst vor einem dritten Weltkrieg, aber auch davor, ihre Tank- oder Heizkosten nicht mehr bezahlen zu können. Als Politikerinnen und Politiker müssen wir diesen Menschen Orientierung bieten, auch wenn diese Situation für uns alle ungewiss ist. Wir müssen die Menschen mitnehmen und soziale und wirtschaftliche Verwerfungen als Gemeinschaft abfedern. Deshalb sind die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung in verschiedenen Bereichen eine wichtige Unterstützung in diesen unsteten Zeiten. Mut macht mir, dass sich die EU in den vergangenen Wochen nicht hat spalten lassen. EU und NATO stehen geschlossen und entschlossen an der Seite der Ukraine und haben weitreichende Sanktionen gegen Russland beschlossen. Das ist nicht selbstverständlich. Und das, was die Menschen vor Ort in Deutschland gerade vor allem ehrenamtlich leisten, um den Menschen aus und in der Ukraine zu helfen, ist einfach großartig. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn die Ukraine frei und souverän bleibt, dann ist das alle Mühen wert. Denn dann können auch wir weiterhin frei, souverän und in Frieden in Europa weiterleben." (hhb) +++


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