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Ausbleibende Touristen wegen "Sonderwelt" der Diakonie? - Flugblatt polarisiert
04.05.22 - Bleiben Touristen der Stadt Tann fern, weil es dort zu viele Menschen mit Behinderung gibt? Diese knapp zusammengefasste Botschaft des oben abgebildeten Flugblatts sorgt derzeit für heftige Empörung und Aufregung auch außerhalb der Stadt Tann. Andrea Willing, Klaus Dänner und Brunhilde Fischer, alle drei im Tanner Stadtparlament vertreten, betonen zwar, dass sie ihre Kritik nicht als parteipolitische Initiative, sondern sozusagen als private Meinungsäußerung verstanden wissen wollen, doch bei zwei Stadträten (Fischer und Dänner) und einer Fraktionsvorsitzenden (Wlling) ist der kommunalpolitische Kontext schwer zu ignorieren.
Und dieses "Übergewicht" halte Touristen davon ab, ihren Urlaub in Tann zu verbringen, behaupten die Verfasser. "Das mit dem Krankheitsbild der Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen einhergehende Verhalten, wie z. B. mangelnde Distanz, können und möchten viele Touristen nicht aushalten", heißt es da.
Auf O|N-Nachfrage bei Andrea Willing nach Belegen für diese Behauptung bleibt sie die Antwort schuldig und kann uns keinen einzigen Namen irgendeiner Person nennen, die ihren Besuch in Tann wegen der angeblichen "Übermacht" von Menschen mit Handicap abgesagt hätte. Allerdings habe das Flugblatt bei vielen Tannern eine positive Resonanz ausgelöst, sagt sie. "Endlich spricht es mal jemand aus", sei ihr gesagt worden. Willing unterstreicht, sie habe nichts gegen Menschen mit Behinderung, sondern setze sich selbst auch mit ihrer Walking-Gruppe für Inklusion ein. Doch sie plädiert ausdrücklich dafür, dass die Diakonie Wohngruppen außerhalb der Kernstadt in den Stadtteilen, aber auch in Hilders oder Gersfeld einrichtet, um ein "ausgewogeneres Verhältnis der Bevölkerungsgruppen" zu erreichen. Die Häufung in der Kernstadt "führt zum Verlust unwiederbringlicher Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Kommune in Richtung des Tourismus und Einzelhandels", heißt es wörtlich.
Bürgermeister, Magistrat und FDP-Fraktion distanzieren sich deutlich
"Weder Inhalt des Schreibens noch viele der dargestellten Fakten entsprechen der Realität" betont der Tanner Bürgermeister Mario Dänner (parteilos) als Sprecher des Magistrates. "Seit Jahrzehnten schon gehört die Tanner Diakonie mit ihren Klienten zu Tann. Es besteht ein sehr gutes Miteinander und die Stadt Tann (Rhön) ist stolz darauf, eine Einrichtung wie die Diakonie in Tann vorhalten zu können." Das Dorferneuerungsprogramm IKEK unterstütze private und gewerbliche Hauseigentümer und biete ihnen die Chance auf gute Fördermöglichkeiten, keineswegs nur der Tanner Diakonie.
"In dem Flugblatt wird suggeriert, dass die Tanner Diakonie als gemeinnützige GmbH keine finanzielle Wertschöpfung für die Stadt erwirtschafte. Auch dies ist schlichtweg falsch. Zwar unterliegt die Tanner Diakonie durch ihre Gemeinnützigkeit nicht der Gewerbesteuer. Aber die Klienten haben ihren Wohnsitz in Tann. Alleine dadurch erhält die Stadt Schlüsselzuweisungen und Steuerumlagen vom Land Hessen von mehreren zehntausend Euro pro Jahr. Hinzu kommen Grundsteuerabgaben sowie Wasser- und Abwassergebühren in beachtlichem Ausmaß. "Wir lassen uns von dem begonnenen Weg zur Weiterentwicklung unserer Stadt nicht abbringen und werden zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger, sowie aller Geschäftsleute und Firmen weiter engagiert sein", resümiert Bürgermeister Dänner.
Auch der Tanner Stadtverordnetenvorsteher Jörg Witzel (FDP) distanziert sich klar vom Vorstoß der drei Flugblattverfasser. "Das heiße ich nicht gut, da mache ich nicht mit!" (Carla Ihle-Becker)+++