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Professor Stegmann transplantierte nicht nur das erste Herz in Hessen, auch geht der erste "deutsch-deutsche"- Eingriff auf sein Konto - Bilder: Privat

FULDA Erste Herztransplantation in Hessen

Vor genau 35 Jahren schrieb ein Petersberger Arzt Medizingeschichte in Fulda

20.05.22 - Auf den Tag genau ist es 35 Jahre her, als die Domstadt in die Medizingeschichte einging: Am 19. Mai 1987 gelang es dem international bekannten Herzspezialisten Professor Dr. Thomas Stegmann im Fuldaer Klinikum die erste erfolgreiche Herztransplantation in ganz Hessen durchzuführen.  
 
Anlässlich des Jubiläums hat OSTHESSEN|NEWS mit dem Mediziner ein Interview geführt, der die Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie in den 80er Jahren quasi aus dem Nichts aufbaute.

Renommierter Herzspezialist: Professor Thomas Stegmann aus Petersberg

O|N: Sie waren der erste Arzt in Hessen, dem eine Herztransplantation gelang. Wann genau war das?

Professor Stegmann: Die erste Herztransplantation (gerne als "HTx" abgekürzt) in Hessen und Fulda war am 19. Mai 1987 (also vor genau 35 Jahren); die erste Lungentransplantation (LTx) in Hessen und Fulda war am 05. Februar 1995. Im Jahr 1990 haben wir die erste "deutsch-deutsche" HTx nach der Wiedervereinigung in Fulda durchgeführt (der Patient wurde aus Jena nach Fulda eingeflogen).

O|N: Wie kam es dazu, dass eine derart große Operation ausgerechnet in Fulda (und nicht etwa in einer größeren Klinik, beispielsweise in Frankfurt) durchgeführt wurde?
 
Professor Stegmann: Das lag daran, dass ich, Ende 1984 von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nach Fulda kommend, bereits Erfahrungen mit der HTx (Herztransplantation)hatte, wir in Fulda gut darauf vorbereitet waren und es weder in der Uni-Klinik Frankfurt/Main noch in Marburg zu diesem Zeitpunkt Erfahrungen mit der Herztransplantation gab (Marburg hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal eine eigene Herzchirurgie).

O|N: Bedurfte es einer langen Vorbereitungszeit?

Professor Stegmann: Nein, ich war erfahren genug, Herztransplantationen durchzuführen – sowohl hinsichtlich der OP-Technik als auch bezüglich der Nachsorge (z.B. Abstoßungstherapie) – ich hatte simultan eine Herz-Transplantations-Ambulanz in der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie etabliert; auch hatte ich mein Team entsprechend vorbereitet.

O|N: Wie lief die Operation ab?

Professor Stegmann: Da es, wie gesagt, die erste Herztransplantation in Fulda war, habe ich auch das "Explantations-Team" geleitet, das das Spender-Organ von einer anderen Klinik nach Fulda brachte; später dann, nach vielen Transplantationen, hatten wir immer zwei Teams: ein Explantations-Team und ein Team, dass simultan zur (häufig auswärtigen) Explantation den Empfänger operativ im OP in Fulda vorbereitete.

Gesundes Herz vor Transplantation/Implantation

Professor Stegmann bei der Arbeit

Nachdem ich mit dem Spenderherzen im OP in Fulda angekommen war (der Thorax des Empfängers war schon eröffnet), habe ich die Transplantation ohne besondere Vorkommnisse in einer ca. 3-stündigen OP durchgeführt (wie häufig bei Transplantationen: in der Nacht!). Am nächsten Morgen begrüßte mich der Patient, wach und freundlich winkend, aus seinem Krankenbett.

O|N: Können Sie sich an den Patienten erinnern? Was ist aus ihm geworden?

Professor Stegmann: Ja, es war ein 43-jähriger Mann aus dem Landkreis Fulda, der an einer schwersten Herzinsuffizienz (= Herzschwäche) litt. Er hat danach ca. zehn Jahre beschwerdefrei gelebt, bis es zu einem chronischen, medikamentös nicht beherrschbaren Transplantat-Versagen kam, so dass wir eine Re-Transplantation mit einem neuen Herzen durchführen mussten; leider hat er diesen Eingriff nicht sehr lange überlebt.

O|N: Waren Sie vor dem Eingriff aufgeregt?

Professor Stegmann: Nein, nicht aufgeregt – aber natürlich etwas angespannt, da ich wusste, dass eine derartige OP in Fulda etwas Besonderes war und sicher auch ein gewisses Medien-Echo hervorrufen würde.

O|N: Welche Gedanken gehen einem Arzt in einem solchen Moment durch den Kopf?

Antwort Stegmann: Nicht allzu viele – außer, dass ich mich auf mich und meine operativen Fähigkeiten verlassen konnte, ein gutes Team an meiner Seite wusste – und auch wusste: Es dürfen keine Fehler passieren. Und an meine Verantwortung dachte ich: Ich konnte dem Patienten die Chance auf ein "neues Leben" mit einem neuen Herzen geben.

Nebenbei: Es ist immer ein besonderer Moment, wenn man als Chirurg nach der Entfernung des kranken Herzens in den "leeren Brustkorb" schaut – und genau weiß, es kommt jetzt darauf an, dass das neue Herz korrekt implantiert wird und seine Tätigkeit sofort aufnimmt; das Leben des Patienten hängt davon ab!

O|N: Können Sie mir sagen, wie viele Transplantationen Sie während Ihrer Arbeit am Klinikum durchgeführt haben?

Professor Stegmann: Ja, ca. 140 bis 150 Herztransplantationen (ab 100 habe ich nicht mehr genau gezählt) und ca. acht Lungentransplantationen habe ich während meiner Zeit am Klinikum Fulda (1984 – 2006) durchgeführt, die meisten persönlich, aber mit zunehmender Erfahrung meiner Oberärzte haben auch sie später Herz-Transplantationen erfolgreich durchgeführt.

O|N: In Bezug auf Herztransplantationen: Hat sich die Medizin seit 1987 viel verändert?

Professor Stegmann: Nein, nicht besonders viel; wie vor 1987 auch, werden alle potenziellen Organempfänger über Eurotransplant gemeldet und die Organvergabe über Eurotransplant organisiert; auch hinsichtlich der Nachbehandlung nach Herz- oder Lungentransplantation hat sich die immunsuppressive Therapie (die eine Abstoßung des transplantierten Organs verhindern soll) nicht wesentlich, bis auf graduelle Verbesserungen, geändert. Auch die Technik der Herztransplantation ist seit Jahren standardisiert.

Bezüglich der ja anlässlich der Schweinherz-Transplantation im Januar 2022 in Baltimore (USA) kürzlich wieder in den Medien diskutierten "Xenotransplantation" (= Transplantation eines Organes einer anderen Spezies auf den Menschen) teile ich nicht die Euphorie mancher Kollegen: neben der noch immer nicht befriedigend gelösten, dauerhaften Abstoßungsverhinderung von spezies-fremden Organen stellt die Übertragung von art-fremden Viren mit dem transplantierten Schweineherzen auf den Menschen eine große, nicht befriedigend gelöste Barriere dar – trotz Ausschaltung einiger Gene des tierischen Spenders. So ist der Schweineherz-Empfänger in Baltimore ja auch nachweislich mit schwein-spezifischen Viren infiziert gewesen und am 08. März 2022, mithin knapp 2 Monate nach der Xenotransplantation, gestorben.

O|N: Wie hoch waren die Chancen eines Patienten zu überleben damals, wie hoch heute?

Professor Stegmann: Weltweit beträgt die mittlere Überlebenszeit nach Herztransplantation nach einem Jahr 86 Prozent, nach fünf Jahren 75 Prozent, nach zehn Jahren 58 Prozent. In Deutschland sind die Zahlen etwas ungünstiger, was u.a. auch mit den Vergabe-Kriterien zusammenhängt: 1-Jahres-Überleben: 76 Prozent, 5-Jahres-Überleben: 67 Prozent, 10-Jahres-Überleben: 60 Prozent.

Mir sind zumindest zwei im Klinikum Fulda transplantierte Patienten bekannt, die heute 25, bzw. 30 Jahre nach Herztransplantation noch leben.

Die Ergebnisse nach Lungentransplantation sind generell etwas ungünstiger: 1-Jahres-Überlebensrate: 85 Prozent, 5-Jahres-Überlebensrate: 59 Prozent.

O|N: Sie waren an diesem Erfolg maßgeblich beteiligt: Vor einigen Jahren galt das Herzzentrum des Fuldaer Klinikums als eine der Top-Adressen in Deutschland. Was hat sich in den letzten Jahren diesbezüglich geändert (und warum)?

Professor Stegmann: Nun ja, 1) werden seit meinem Weggang vom Klinikum im März 2006 keine Herz- und Lungentransplantationen mehr im Klinikum durchgeführt, 2) ist die ehemalige (meine) "Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie" in zwei Kliniken geteilt worden ("Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie" und "Klinik für Gefäßchirurgie"), was durchaus auch Nachteile bietet, da zuvor auch die Chirurgie des gesamten Gefäßsystems in einer Hand lag, was z.B. bei Eingriffen an den großen Gefäßen, die den Einsatz der Herz-Lungenmaschine erfordern, von Vorteil war, und 3) hat offensichtlich grundsätzlich der bürokratische und verwaltungstechnische Aufwand in der klinischen Medizin extreme Formen angenommen, der die zügige und persönliche Behandlung von Patienten im Krankenhaus eher erschwert.

O|N: Verfolgen Sie die Entwicklungen in der Medizin weiterhin?

Professor Stegmann: Ja, selbstverständlich. Das liegt in meinem ureigenen Interesse, man bleibt immer "Herzchirurg". Außerdem bin ich für verschiedene wissenschaftliche Publikationen als "Reviewer" und auch als Berater der Regierung des Stadt-Staates Singapur in Sachen "Optimierung des Gesundheitssystems in Singapur" tätig.

O|N: Gibt es ein (Patienten-)Erlebnis aus Ihrer Zeit am Klinikum, an das Sie sich auch heute noch besonders erinnern?

Professor Stegmann: Ja, eines ist mir in besonderer Erinnerung: Wir hatten ein Spenderherz aus der Uni-Klinik Wien geholt, flogen mit Lear-Jet und Hubschrauber mit dem Organ nach Fulda zurück und hatten zur Kühlung des Spender-Organs am Airport Frankfurt am Main die Eis-Vorräte aufgefüllt – dabei aber nicht registriert, dass man uns in Frankfurt "Industrie-Eis" gab, das deutlich höhere Kälte-Temperaturen bewirkt als "normales Eis"! Dann konnte der Hubschrauber wegen Nebels nicht am Klinikum landen, wir mussten zurück nach Lauterbach, wo mein Team und ich mit dem Spenderorgan in ein Polizei-Auto umsteigen mussten und mit Blaulicht zum Klinikum gefahren wurden. Im OP entpackte ich das Spenderherz – und musste erschrocken feststellen, dass es kurz vor der Kristallbildung stand (Kristalle würden das Gewebe des Spenderherzens zerstören.)! Gott-sei-Dank war es aber noch intakt, die Transplantation verlief routiniert und erfolgreich – und danach habe ich mich immer besonders gefreut, wenn ich den transplantierten Patienten auf dem Krankenhaus-Flur wiedergesehen habe!

Auch wenn das Fuldaer Klinikum heute von der Landkarte der Herz- und Lungen- Transplantationszentren (nur noch in Gießen und Bad Nauheim werden in Hessen Herzen transplantiert) verschwunden ist, appelliert Professor Stegmann an alle Menschen, Organspender zu werden. "Am 31.12.2020 warteten in Deutschland 700 Personen auf ein Herz und 279 Personen auf eine Lunge, ca. 1.000 Patienten kommen jährlich neu auf die Wartelisten." Nicht einmal der Hälfte davon konnte geholfen werden. "In anderen Ländern muss man explizit widersprechen, wenn man kein Organspender werden möchte. Weil das hierzulande nicht so ist, fehlen schlicht und ergreifend Organe. Nur ca. 280 bis 340 Patienten erhalten so in Deutschland pro Jahr ein neues Herz und ca. 280 bis 300 Patienten eine neue Lunge."

Das Interview führte O|N- Redakteurin Miriam Rommel. +++

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 


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