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1958: der erste Obstlaster - Fotos: privat

REGION Regionaler Vollsortimenter

75 Jahre Tegut: "Bio allein reicht nicht mehr aus, um Kunden zu überzeugen"

11.06.22 - Mit selbstgemachten Taschen aus Wehrmachtsbeständen und gebrauchten Nägeln startete Theo Gutberlet 1947 das Unternehmen "Thegu". 75 Jahre später ist das Handelsunternehmen Tegut Vollsortimenter mit 299 Lebensmittelmärkten und rund 8.000 Mitarbeitern. Bio reicht heute nicht mehr aus, um Kunden zu überzeugen, meint Geschäftsführer Thomas Gutberlet, Enkel des Unternehmensgründers.

Thomas Gutberlet Foto: Marius Auth

Gründer Theo Gutberlet

Ein Ladengeschäft in der Alsfelder Obergasse im Jahr 1960

30,5 Prozent des Tegut-Sortiments sind inzwischen Bioprodukte - "der Bundesschnitt in Supermärkten liegt bei sieben Prozent", freut sich Gutberlet, der in der Firmenzentrale beim hauseigenen Smoothie versucht zu erklären, was die Tegut-DNA ausmacht. "Mein Großvater ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg angetreten mit dem Anspruch, im Interesse der Mitmenschen und der Umwelt zu agieren. Daran hat sich nichts verändert - aber daran, was das konkret bedeutet. Zuerst ging es um die Versorgung mit Lebensmitteln, die Bedürfnisse waren einfacher. Mit meinem Vater, Wolfgang Gutberlet, der auch von der 68er-Bewegung beeinflusst wurde, kam Anfang der 1970er-Jahre die Frage hinzu, wie wir als Gesellschaft mit unseren Ressourcen umgehen."

Bio-Pionier

Seit Beginn der 1980er-Jahre hat Tegut Bioprodukte im Sortiment, für einen Supermarkt damals ein Novum. Die Motivation für deren Konsum habe sich allerdings verändert: "Die älteren 68er waren die erste Zielgruppe, die haben die Konsumwelle getragen. Körper und Umwelt standen im Fokus - heute sind es Klima und Nachhaltigkeit. Früher war vegan, wer ein Herz für Tiere hatte und diesen kein Leid zufügen wollte. Heute ist das Bewusstsein bei den Konsumenten für gesundheitliche Vorteile der veganen Ernährung im Zusammenhang mit ökologischen Energie- und Stoffkreisläufe etabliert. Das verlangt von allen Beteiligten jedoch noch weitere Vertiefung, damit gute Entscheidungen getroffen werden können."

Nachhaltigkeitsideale und wirtschaftliche Prosperität abzuwägen sei trotz Bewusstseinswandel in der Bevölkerung notwendig: "Die Kostenverursachung in der Lebensmittelproduktion ist nicht immer gut zugeordnet. Die Gemeinden müssen das Trinkwasser von Gülle und Chemiedünger befreien - auf Kosten des Steuerzahlers, der sich übers billige Schnitzel freut, das unter solchen Bedingungen entstanden ist. An anderer Stelle zahlt man also drauf für billig. Die Landwirtschaft hat große Auswirkungen aufs Klima - gesamtvolkswirtschaftlich wäre Nachhaltigkeit besser für unsere Gesellschaft: Saisonales Obst und Gemüse, vielleicht aus einer Parzelle im Saisongarten, wenig Fleisch - das würde den ökologischen Fußabdruck der eigenen Ernährung deutlich verringern und weniger Krankheitskosten verursachen. Rohstoffe für unsere Ernährung müssen gut für den Menschen sein. Zusatzstoffe beispielsweise haben neben ihrer 
technologisch gewollten Wirkung auch Auswirkungen auf den Menschen, der das Lebensmittel verzehrt – besser, sie werden wenig bis gar nicht eingesetzt."

Online größte Herausforderung

tegut-Produkte auf amazon.de

In den nächsten zehn Jahren werden laut Studien rund 10 Prozent der Lebensmittel online bestellt werden - momentan sind es noch 1,5 Prozent. Eine Herausforderung, der Tegut unter anderem durch die Kooperation mit dem Onlineriesen Amazon begegnet. In München, Berlin und Hamburg können Lebensmittel über den Abolieferdienst "Amazon Fresh" direkt nach Hause bestellt werden. Nach den Großräumen Darmstadt, Frankfurt, Kassel, Würzburg, Marburg, Gießen, Mainz und Wiesbaden wurde jetzt auch Fulda zum Liefergebiet hinzugefügt. Rund 10.000 Artikel befinden sich im Online-Sortiment, bei Bestellung bis 20 Uhr wird eine Lieferung noch am selben Tag versprochen.

Ein Ladengeschäft im Jahr 1965 in der Fuldaer Dr.-Dietz-Straße

"Selbst bei nur fünf Prozent Onlinebestellung von Lebensmitteln heißt das, dass in Deutschland 3.000 Läden zu viel sind - vor allem im ländlichen Raum. 10 Prozent reichen aus für Strukturverschiebungen, die man im Textilbereich in der Innenstadt von Fulda bereits seit Jahren erlebt. Da braucht man als Händler Ideen - manche ähneln unseren Ursprüngen: Mein Großvater ist noch mit dem Wagen zu den Kunden gekommen - unsere kleinen 'teo'-Stores können flexibel vor Ort aufgestellt werden und wenn die Resonanz nicht stimmt, auch woanders aufgebaut werden. Ein großer Markt dagegen stellt eine Investition von 30 bis 40 Jahren dar - das ist zu unflexibel bei den heutigen Unwägbarkeiten. Diese Anpassung an Marktentwicklungen hat Tegut auch über die Jahrzehnte ausgezeichnet: Mein Großvater hat gemerkt, dass die Zeit der Tante-Emma-Läden zu Ende geht und einen modernen Supermarkt entwickelt. Mein Vater hat unsere Discounter-Marke 'okay!' eingestellt, weil die auf Dauer nicht zu unserer Firmenphilosophie gepasst hat. Und heute sind wir auf der Suche nach Vertriebskanälen, die der Vielfalt der Kundenansprüche gerecht werden." Die Resonanz auf die kleinen "teo"-Stores sei bisher gut, demnächst wird in Aschaffenburg der erste "Indoor-Teo" im Bahnhof eröffnet.

Kontinuität im Wandel

Von links: Geschäftsführer Thomas Gutberlet mit Vater Wolfgang Gutberlet ...

Die Übernahme durchs Schweizer Einzelhandelsunternehmen Genossenschaft Migros Zürich im Jahr 2013 sieht Gutberlet nicht als Zäsur, sondern als Weiterführung im Sinne der Firmenphilosophie: "Die Migros-Supermärkte wurden ursprünglich für die Schweizer Hausfrau mit schmalen Budget ins Leben gerufen. Was die Werteausrichtung betrifft, sind wir sehr nah aneinander. Wir konnten unsere Vorstellungen sauber herausstellen, Kompromisse waren bisher nicht nötig." In Zeiten des Fachkräftemangels sei die Mitarbeiterorientierierung eine wesentlich größere Herausforderung: "Diversität und deren Berücksichtigung im Arbeitsalltag wird immer wichtiger. Vor 75 Jahren konnte man davon ausgehen, dass jemand aus dem Raum Fulda ein katholisches Weltbild hatte - ein Kreuz im Aufenthaltsraum war kein Problem. Wir stellen heute beispielsweise 300 Lernende jedes Jahr ein - das verändert ein Unternehmen. Schon mein Vater hat Wert gelegt auf eine weniger patriarchalische Führung, mehr auf Gemeinschaft orientiert. Flache Hierarchien, Wertschätzung und ganzheitliche Entwicklung des Mitarbeiters und seiner Potenziale sind heute unerlässlich."

Heute verfügt Tegut über 139 Supermärkte, 119 Nahversorger, 27 Lädchen, 3 Quartier-Märkte sowie 11 teo-Filialen. Jährlich sind bis zu zehn Neueröffnungen klassischer Märkte geplant, außerdem mehr als 20 Neueröffnungen von teos, größtenteils im Rhein-Main-Gebiet, allein im Jahr 2022. 2021 betrug der Gesamtumsatz 1,25 Mrd. Euro. (mau) +++


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