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Die Passion der Steffi Meylich als Statistin der Bad Hersfelder Festspiele
27.07.22 - Viele Jahre wirkte Steffi Meylich, die bald ihren 91. Geburtstag feiern kann, als Statistin bei den Bad Hersfelder Festspielen mit. Sie hat viele Erinnerung an die zahlreichen Sommer, die sie in und um die Stiftsruine verbracht hat. Und an die zahlreichen Begegnungen mit Bühnenstars, Regisseuren und Intendanten.
"Jahre kommen, Jahre gehen" singt Steffi Meylich zur Eröffnung des Treffens mit OSTHESSEN|NEWS im Bad Hersfelder Stiftspark. Das Singen macht ihr auch im hohen Alter noch Spaß, auch wenn ihr die aktive Teilnahme auf der Festspielbühne im Rollstuhl nicht mehr möglich ist. Das Lied stammt aus dem Musical "Anatevka", bei dem Meylich 1985, 1986 und 1987 auf der Bühne stand. "Bei ,Anatevka' hat es so richtig angefangen", sagt Meylich. Doch auch davor war die heute rüstige Rentnerin bereits immer mal wieder dabei.
Mit dem Chorverein, in dem sie seit 40 Jahren singt (O|N berichtete), hatte sie die Möglichkeit, regelmäßig in der Statisterie der Bad Hersfelder Festspiele mitzumachen. "In meinem ersten Stück habe ich einen Pagen gespielt", erinnert sich die 90-Jährige. Welches Stück das war, weiß sie aber nicht mehr. "Wir hatten immer so schöne Kostüme", sagt sie. Vor allem die prachtvollen Kleider gefielen ihr sehr.
Und immer wieder kommt Steffi Meylich auf "Anatevka" zurück. Nicht die Inszenierung aus dem Jahr 2012 mit Michael Schanze, sondern auf die, die ihr noch tief im Gedächtnis ist. "Wolfgang Reichmann als Tevje war ein ganz toller Mann", schwärmt sie noch heute. "Das war damals ein richtig tolles Team." Und seit 1985 stand sie jeden Sommer in mindestens einer Inszenierung auf der Bühne, in manchen Jahren sogar in drei Stücken. Zeitweise war auch ihr Mann Wolfgang dabei, der 2017 verstarb. Seitdem lebt sie im Altenzentrum Hospital, das in direkter Nachbarschaft zur Stiftsruine liegt. "Ich singe immer, wenn ich um die Stiftsruine fahre", so die alte Dame.
Urlaub ging erst nach den Festspielen
"Wir konnten immer erst danach in den Urlaub fahren", erinnert sich Tochter Beate. "Als Kinder waren wir nicht so begeistert, dass die Mama im Sommer kaum zuhause war", sagt sie. "Später fanden wir es dann nicht mehr so schlimm." Sie selbst hat sich einige Festspielstücke angeschaut, wollte aber nie mit auf der Bühne stehen. "Als Statisten haben wir ein bisschen Geld verdient. Das war nicht schlecht für den Urlaub", fügt ihre Mutter hinzu.Dass das Theaterspielen eine Passion von Steffi Meylich war, steht außer Frage. "Ich wollte immer dabei sein", so Meylich. Nach abendlichen Proben oder Aufführungen sei sie im Dunkeln mit dem Rad nach Hause gefahren. "Ich hatte keine Angst", erzählt sie. Diesen Mut bewies die "kleene Meylich", wie sie aufgrund ihrer Körpergröße oft genannt wurde, auch auf der Bühne, denn um Abend für Abend vor rund 1.400 Menschen aufzutreten, braucht es einen gewissen Mut - selbst wenn mal als StatistIn meist nicht in der ersten Reihe steht.
Mindestens 13 IntendantInnen
In den Musicals durfte der Chorverein bis vor einigen Jahren die Chorpartien übernehmen. "Heute machen das nur noch die Profis", sagt Steffi Meylich ohne Groll. Ihr ist es wichtig, damals dabei gewesen zu sein, mitgemacht und dadurch ihre "tollen Erinnerungen" zu haben. Grob gerechnet könnte sie zwölf Intendanten und eine Intendantin miterlebt oder zumindest kennengelernt haben. Angefangen bei William Dieterle ("Der Amerikaner war ein toller Mann!") über Ulrich Erfurth, Günther Fleckenstein, Hans-Gerd Kübel (Kommissarischer Leiter), Karl Vibach, Jochen Schmidt (Oberspielleiter), Dr. Peter Lotschak, Volker Lechtenbrink, Dr. Ingo Waszerka, Elke Hesse, Holk Freytag und Dr. Dieter Wedel bis zu Joern Hinkel. Bei dessen "Sommernachts-Träumereien" im Totenhof an der Ruine spielte Meylich zum letzten Mal in einer Festspielproduktion mit.Grundsätzlich schwärmt sie von allen Begegnungen, die sie während der Festspiel-Jahrzehnte hatte. "Dr. Peter Lotschak hat immer gesagt: ,Der Steffi brauche ich nur zu sagen, was ich will. Die setzt das sofort um'", erinnert sie sich. Auch Dieter Wedel ("Der war immer sehr nett zu mir") und auch den aktuellen Intendanten Joern Hinkel nennt sie "ganz tolle Männer". Steffi Meylich ist eine geborene Wessely, was sie an die Schauspielerin Paula Wessely erinnert, die im Jahr 1952 in "Jedermann" auf der Festspielbühne stand. "Ich habe ihr damals erzählt, dass ich auch Wessely heiße. Das hat sie aber anscheinend nicht sehr beeindruckt", meint Steffi Meylich heute.
Auch Tango tanzen gehörte dazu
In den vielen Jahrzehnten lernte sie viele bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler aus der Nähe kennen. "Wir haben aber nicht oft mit denen zusammengesessen", sagt sie. Neben ihrer Arbeit bei der Bäckerei Gerlach fand sie immer die Zeit, bei den Festspielen mitzumachen. "Ich bin stolz darauf, dass ich so lange auf der Bühne stehen konnte. Wir hatten auch viel Spaß in der Maske und für ein Stück mussten wir sogar Tango tanzen lernen. Das war eine Sache", lacht sie. Aber am Ende habe es dann doch "ganz gut geklappt".Sie erinnert sich auch an die lange Faust-Nacht im Jahr 2006. Damals wurden Faust I und Faust II von Johann Wolfgang von Goethe nacheinander gespielt. "Das ging bis vier Uhr morgens", erzählt die alte Dame. "Die Festspiele waren mir immer wichtiger als alles andere." Geburtstagsfeiern oder andere Feste habe es für sie in den Sommermonaten nicht gegeben. "Wir mussten immer sehr viel lernen", erinnert sich Meylich, denn den Aufführungen gingen oft mehrere Wochen voller Proben voraus. Das zeitaufwändige Unterfangen wurde aber immer durch die Begegnungen mit Bühnengrößen und vor allem dem Applaus wettgemacht. "Beim Schlussapplaus von ,Anatevka' hat immer die Ruine gebebt", erinnert sich die 90-Jährige. "Vor allem die Musicals waren immer toll."
Dank der Bad Hersfelder Festspiele konnte sie in diesem Jahr gemeinsam mit OSTHESSEN|NEWS eine Aufführung von "Der Club der toten Dichter" besuchen. "In der ersten Reihe zu sitzen, hat ihr viel bedeutet", sagt Tochter Beate. "Davon wird sie noch lange Kraft tanken". Und die Inszenierung hat Steffi Meylich gut gefallen.
Heute kann sie nicht mehr aktiv mitspielen, aber: "Im Altenzentrum werde ich oft gebeten, zu singen, wenn Feierlichkeiten anstehen", sagt sie stolz. Oft sind es Lieder aus "Anatevka", dem Musical, das sie am meisten beeindruckt hat. Und manchmal fließen kleine Tränen, wenn sie an die alten Zeiten zurückdenkt und an die vielen Weggefährten, die heute nicht mehr am Leben sind.
"Jahre kommen. Jahre gehen. Wie die Tage fliehn. Blumen die heut noch für mich leuchten, morgen schon müssen sie verblühn. Jahre kommen. Jahre gehen. Schnell rennt all die Zeit. Stunden und Tage sind vergeben, mit ihnen Liebe, Lust und Leid" heißt es in dem Lied aus "Anatevka". Und so sind viele mit Theaterspielen erfüllte Jahre an Steffi Meylich vorbeigegangen, von deren Erlebnissen und Erinnerungen sie heute noch zehrt. (Christopher Göbel) +++