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Von Klassikern, antiken Schätzen und brüllenden Bestien auf Rädern
22.08.22 - Der MSC Schotten rief nach mehr als drei Jahren Zwangspause wieder zum Classic Grand Prix auf den städtischen Rundkurs, und die Rufe wurden erhört: hunderte Besitzer, Fahrer und Staff, aber vor allem tausende Motorsportfans verwandelten Schotten an diesem Wochenende zum 32. mal wieder ins osthessische Motorrad-Motorsport-Mekka.
Die weitergehende Berichterstattung könnte höchst unterschiedliche Varianten zum vorübergehenden Ausnahmezustand beschreiben: "Zwei Tage maßloser Lärm, Auspuffabgase und gesperrte Straßen" versus "Die tollkühnen Männer / Frauen auf ihren (fast) fliegenden Kisten".
Zu Variante 1: Ja, die Bikes sind laut, nicht selten sogar seeeehr laut, und aus den Auspuffendrohren kommt bekanntermaßen kein Sauerstoff. Auch Straßen, die für einige Tage vom Aufbau bis zum Abbau gesperrt sind und für das normale Leben Umwege erforderlich machen, sind für die Betroffenen alles andere als ein Grund zur Freude. Und dennoch - und damit sei die Brücke geschlagen zu Variante 2: Motorsport dürfte in kaum einer anderen osthessischen Kommune derart in der DNA verankert sein, wie es in Schotten seit Generationen absolut selbstverständlich der Fall ist. Die Stadt und ihre Menschen freuen sich auf die Events des Motorsportclubs (MSC), der sich dem Leitspruch verpflichtet sieht: "Tradition bewahren - Zukunft gestalten - seit 1925".
Besucher, die auch nur zu einem Minimum motorsportaffin sind, werden es nach einem Besuch in Schotten bezeugen: die Befürworter von Variante 1 haben selbstverständlich das Recht, ihre Sichtweise zu bekunden - während der Schottener Rennsporttage gilt aber im Allgemeinen Variante 2.
Es ist schwer zu sagen, was eigentlich den größeren Reiz ausmacht: die antiken Schätzchen, die zum Teil deutlich über 100 Jahre alt sind und nicht nur aussehen, als wären sie optisch und technisch unsterblich. Nehmen wir beispielsweise die NSU Baujahr 1910 - drei fahrbereite Exemplare gibt es davon noch, darunter eins im Museum. Eine eigentlich unbezahlbare Perle. Da wir beim Classic Grand Prix aber nicht in einem Open-Air-Museum, sondern bei einer Rennveranstaltung sind, dreht auch diese NSU wie ein Uhrwerk ihre Runden - ausgelegt nicht auf maximalen Speed, sondern im Rahmen einer Gleichmäßigkeitswertung der gefahrenen Runden. Erhaben, stolz und souverän spulen auch die Piloten der antiken Maschinen ihr Pensum ab - es ist einfach ein Träumchen, sie dabei zu sehen oder ihnen allein schon im Fahrerlager "Auge-in-Auge" gegenüberzutreten.
Im Kontrast zu den tatsächlich historischen Maschinen stehen die sogenannten Youngtimer, "junge Alte", die von der Optik, dem Sound und der Gesamtperformance locker in die aktuelle Rennsportszenerie passen würden. Auch sie gibt es im Fahrerlager zum Anfassen bei reichlich Benzingesprächen. Adrenalin und Herzschlag geraten aber dann auch beim Publikum so richtig in Wallung, wenn diese Motorräder und Gespanne beweisen, dass sie wie selbstverständlich noch zu Höchstleistungen im Stande sind. Dieses Faszinosum kannst du mitunter als infernales Motorengebrüll hören, die Vibrationen fühlen, den Treibstoff und das Abgas-Parfum riechen und natürlich mit eigenen, staunenden, aber ungläubigen Augen sehen, was hier abgeht. Da werden wie bei den Profis auch schonmal die Reifen vorgeheizt. Der in seiner Klasse A / GP meisterschaftsführende Boris Paulus aus Eppstein, im Saisonverlauf Platz 6 in der DM-Wertung, erklärt: "Die Reifen brauchen vor dem Rennen unbedingt ihre Temperatur, sonst hast du ein komplett anderes Kurvenverhalten!" Er steuert eine Aprilia AF1 Futura, Baujahr 1991, Startnummer 11A.
Tolle Stunt-Showeinlage auf 1, 2 und 4 Rädern ... Wenn dann noch als Showeinlage Kenneth, der Pkw-Drifter aus der Europameisterschaftsserie, sein vierrädriges Gefährt aus dem Käfig lässt und Dennis mit seinem Motorrad wahlweise auf dem Vorder- oder Hinterrad die Gesetze der Physik über Bord wirft, dann schreit die innere Stimme tausender johlender Zuschauer: "Thank God It’s Raceday in The Birds Mountains!"
Wen wundert es, dass sich ein höchst zufriedener 1. MSC-Vorsitzender Wolfgang Wagner-Sachs im Samstags-Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS im Start-/Zielbereich äußert: "Es läuft alles sehr gut, ich bin unendlich dankbar für die auch schon im Vorfeld geleistete Arbeit der vielen, vielen Helfer, ohne die so eine Veranstaltung unmöglich wäre! Auf und neben der Strecke sowie in den Fahrerlagern herrscht einfach eine super Stimmung!"
Es läuft bei den osthessischen Piloten aus Fulda und Alsfeld
Die prima Stimmung bestätigen sowohl alle befragten Teams als auch die Besucher. Stellvertretend hat O|N mit zwei osthessischen Piloten und einem Publikums-Paar aus NRW gesprochen.
Wenn der Vater mit dem Sohne ...
Aus Fulda ist das Team Kiefer Classic Racing angereist, das sind Fahrer Thorsten und der schraubende Vater Michael Kiefer. Sie sind mit ihrer Yamaha RD250 bisher sehr zufrieden und haben einen Sieg im letzten Rennen im Schleizer Dreieck im Gepäck. Ergebnis am Samstag in Schotten in der Klasse U14: Platz 2.Thorsten erklärt im O|N-Gespräch seine Taktik für die Gleichmäßigkeitswertungen: "Wenn du mit mittlerer Geschwindigkeit fährst, wirst du immer zu ungleichmäßig sein. Man muss bis knapp ans Limit gehen, dann sind die Chancen definitiv am größten. Daher erlebt man hier tollen Motorsport auf hohem Niveau und keine gemütlichen Ausfahrten!"
Wenn der Vater mit der Tochter... Vater Erwin Mahl hat seine Tochter Ronja nicht nur im Team, sondern knieend im Beiwagen - nein, kein Schreibfehler. Die beiden jagen eine 16 Zoll Kneeler, Baujahr 1970, über den Asphalt. "Ich hab sie selbst restauriert und seit 2014 ist Ronja meine Kopilotin. Die Maschine besitzt ein 2 Zylinder / 4-Takt-BMW R69S-Triebwerk mit 600 ccm. Das Alsfelder Dreamteam ist superfroh, dass endlich wieder das "Heimspiel" Schotten auf dem Programm stand. Samstag früh gabs ein kleines technisches Problem. "Das konnte schnell gelöst werden. Da geht noch was!", freuen sie sich auf die weiteren Rennen.
Die Motorsportfans Nadja und Eric sind, wie bei jedem Schottenring GP, wieder eigens aus Neuss / NRW angereist und haben "natürlich" auch wieder an den Gespann-"Taxifahrten" teilgenommen, unter anderem im Beiwagen von Erwins "Kneeler"-Rakete. An Erwins Stand treffen wir die beiden kurz nach der "Taxifahrt" - das breite Lachen ist noch nicht gewichen. "Es ist immer wieder ein ganz tolles Erlebnis, hier zu sein, und wir freuen uns auf der Heimfahrt immer schon auf das nächste Jahr!" (goa) +++