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Klangwelten erschaffen, die das Publikum verzaubern
24.08.22 - Joerg Grünsfelder steht während der Bad Hersfelder Festspielsaison eigentlich ständig unter Strom. Grünsfelder ist der Leiter der Tontechnik. Dass dazu viel mehr gehört, als Schieberegler zu bewegen, erzählt er im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS.
Als Tonmeister und Sounddesigner kam Grünsfelder im Jahr 2015 zu den Bad Hersfelder Festspielen. "Der Anspruch an den Ton wächst von Jahr zu Jahr", sagt er. Auch die Anforderungen an die Regisseure würden höher. "Die Stiftsruine allein klingt eigentlich gar nicht so gut", sagt der Tonmeister. Zwar seien die Festspiele - zumindest das Sprechtheater - viele Jahre ohne Verstärkung ausgekommen, aber mit Tontechnik gebe es ganz andere Möglichkeiten der Inszenierung. "Es gibt auch Stücke, bei denen die Schauspieler leise miteinander reden oder gar flüstern. Das geht nicht ohne Technik, wenn auch in der letzten Sitzreihe noch jemand etwas vom gesprochenen Text mitbekommen soll. Denn dann müssten die Schauspieler unfassbar laut miteinander reden", so Grünsfelder. Seit den Inszenierungen im Jahr 2015 werden die Schauspieler mit Mikrofonen, also Mikroports, ausgestattet.
Grünsfelder ist seit fast 25 Jahren als Tontechniker für Theaterproduktionen tätig. Inzwischen hat er gemeinsam mit Intendant Joern Hinkel das Sounddesign der Bad Hersfelder Festspiele auf ein Niveau gebracht, das bundesweit beinahe einzigartig ist. "Nehmen wir als Beispiel das 3D-Audio in Notre-Dame. Wir können einen Hall erzeugen, dass die Zuschauer nicht nur sehen, dass sie in einer Kathedrale sind, sondern dass sie es auch hören." Das Publikum sei durch ein ausgefeiltes Sounddesign "mitten drin im Geschehen". Die Klangqualität sei inzwischen bis in die letzte Reihe sehr gut.
"Die Festspiele sind ein Ganzjahresjob"
Damit das so ist, hat Joerg Grünsfelder schon lange vor dem Probenbeginn viel in der Stiftsruine zu tun. Jeder einzelne Platz wird eingemessen, damit jeder Zuschauer bestmöglich hören kann. Wenn der Spielplan für das kommende Jahr feststeht, werden bereits erste Gespräche mit den Regisseuren geführt, was diese sich vorstellen und was möglich ist. "In der Ruine können akustische Löcher entstehen, wenn die Lautsprecher falsch ausgerichtet sind. "Alles wird austariert", so der Ton-Chef.Die Boxen im Ruinenraum sind laut Grünsfelder "großartig". Bei der Planung eines Stückes müsse alles bedacht werden. "Wenn der Regisseur von rechts hinter der Bühne eine Glocke läuten lassen möchte, muss genau dort natürlich auch eine Box aufgebaut werden", so Grünsfelder. Und zwar eine ebenso gute, wie sie im Zuschauerraum angebracht sind. Mit der Ausstattung ist es möglich, einen 3D-Effekt zu erschaffen, der dem Zuschauer das Gefühl gibt, einen Klang beispielsweise von hinten links nach vorne rechts quer durch die Ruine zu hören. "Das ist in etwa wie der Surroundsound im Kino", erläutert der Tonmeister.
Mit gemieteter Technik immer aktuelles Equipment
In der Tonkabine, die sich hoch oben und hinter der Zuschauertribüne befindet, ist das Herzstück der Anlage untergebracht: Ein Mischpult, das von den Festspielen gemietet wird, und das weit mehr kann, als die Tonmischung. Lichteffekte und das Mapping kann das Gerät ebenfalls mitsteuern. "Die Technik entwickelt sich so rasant, dass man durch das Mieten schneller auf die neuesten Geräte zurückgreifen kann", sagt Grünsfelder. Doch auch hier gilt wie bei aller Technik, dass diese zwar eine große Unterstützung ist, aber nur das umsetzen kann, was ein Mensch zuvor programmiert hat. "Mit der Programmierung beginne ich bereits nach den ersten Gesprächen mit den Regisseuren", so Grünsfelder. Zunächst plant er dabei so, dass es für alle vorgesehenen Stücke passen wird. Dabei kann er auf die Erfahrungen zurückgreifen, die er in und mit der Stiftsruine gesammelt hat.200 Mikrofone haben die Festspiele im Einsatz, davon 40 Mikroports, die die Schauspieler stets dabeihaben und den Rest, der im Orchestergraben und rund um die Bühne gebraucht wird. "Man glaubt nicht, was ein Millimeter Unterschied beim Anbringen an den Kopf der Darsteller für Auswirkungen hat", so der Experte. Im programmierten Pult ist jeder Darsteller eingespeichert. Mit sogenannten Cues ist eine komplette Aufführung vorgeplant, die dann auch fast automatisch ablaufen kann. Dazu gehört nicht nur, dass das richtige Mikrofon zur richtigen Zeit angeschaltet ist, sondern auch Klang- und Musikeinspieler sowie die Beleuchtung und das Mapping in "Notre-Dame". Ton- und Lichteffekte müssen bei einer Aufführung meist genau zusammenpassen, weshalb laut Grünsfelder eine gemeinsame Steuerung unabdingbar ist.
Ausfallquote beim Mischpult ist äußerst gering
Das Mischpult bei den Festspielen ist ein Modell, das kann, was die meisten anderen nicht können: Durch zwei getrennte Systeme, sogenannte Engines, ist es nahezu unmöglich, dass es während einer Aufführung einen Ausfall gibt. Sogar die Verkabelung ist getrennt, sodass die Wahrscheinlichkeit, wegen Ausfalls eine Aufführung absagen zu müssen, bei geschätzten 0,1 Prozent liegt. Wenn ein System ausfallen sollte, springt das zweite umgehend ein. Das Pult erkennt auch, wenn ein Schauspieler an einem Tag etwas leiser redet. "Dann kann ich dem Pult befehlen, dass es denjenigen ,beobachtet' und im Zweifel automatisch einschreitet." "Wir nutzen Glasfaser", so Grünsfelder. "In der Stiftsruine haben wir soviel Glasfaser verlegt, wie derzeit in ganz Bad Hersfeld nicht", vermutet der Ton-Chef. Die moderne Tontechnik sei ein Segen für das Theater und gebe den Schauspielern Sicherheit, mache aber auch Fehler im Ensemble offenbarer. "Wenn zum Beispiel jemand im Orchester falsch spielt, dann hört man das nun deutlicher."Sprechtheater und Musical sind zwei ganz unterschiedliche Genres, die auch an die Tontechnik andere Anforderungen stellen. "Beim Musical ist durch die Musik alles relativ genau getaktet. Bei den Sprechstücken ist es laut Grünsfelder anders, da das Timing dort nicht so genau vorgegeben und vorhersehbar ist. "Mit Michael Rotschopf war ,Der Club der toten Dichter' beispielsweise bis zu acht Minuten kürzer als mit Götz Schubert", erzählt der Tonmeister. Wichtig ist auf jeden Fall, dass jeden Abend ein Tonmeister am Pult sitzt, um trotz aller Programmierung alles unter Kontrolle zu behalten und auf Unvorhergesehenes reagieren zu können. "Wenn zwei Vorstellungen an einem Tag gespielt werden, weiß man dann schon, was man geleistet hat", so Grünsfelder. Denn absolute Konzentration während jeder Aufführung ist für den Tonmeister und sein sechsköpfiges Team ein Muss.
Vom Pianisten zum Tonmeister
Eigentlich wollte Jörg Grünsfelder Musiker werden. Als Sohn eines Musikers lernte er seit seinem sechsten Lebensjahr Klavier und hatte eigentlich vor, Pianist zu werden. "Ich war auch ganz gut", schmunzelt er. Doch bei einem Vorspielen habe er sich gedacht, dass es auch noch anders gehen könnte. "Ich habe mich seit meinem 15. Lebensjahr mit Tontechnik beschäftigt", erzählt er. Bei einem Stipendium im New Yorker "Hit Factory" habe er durch einen Zufall die Möglichkeit bekommen, mit Bryan Adams ein Album abzumischen. "Ich habe mir da einfach selbst getraut und es einfach gemacht", erinnert er sich. Später hat er unter anderem für Produktionen am Broadway gearbeitet. Das habe ihn in "die Szene" gebracht und auch zurück in Deutschland habe er einen Namen als Tontechniker gehabt. Neben dem Theater macht er auch Sounddesign für Film- und Fernsehproduktionen.Wichtig ist Grünsfelder, dass er mit seiner Arbeit dazu beiträgt, die Bad Hersfelder Festspiele "in der Bundesliga" zu halten - "mit Ambitionen auf die Champions League". "Der Ton ist der Hauptbestandteil aller Produktionen." Die Hörgewohnheiten der Menschen seien heute sehr anspruchsvoll geworden, und dem müsse man auch im Theater durch die richtige Technik und das Knowhow der Bediener Rechnung tragen.
Jede Aufführung ist eine neue Herausforderung
"Meine Aufgabe ist es, Klangwelten zu schaffen, bei denen sich der Zuschauer mittendrin fühlt. Bei Musik und Ton entstehen Bilder im Kopf - selbst in kompletter Dunkelheit." Für ihn ist eine Aufführung dann perfekt, wenn er selbst Gänsehaut bekommt. Jede Aufführung sei eine neue Herausforderung - und bei den Bad Hersfelder Festspielen sowohl zeitlich als auch inhaltlich ein "Ton-Marathon". Zeit zum Entspannen sei selten. Aber Joerg Grünsfelder hat seine beiden Hunde mit in der Festspielstadt und auch seine Kinder kommen ihn hier besuchen. So kann er seine rare Freizeit zur Erholung nutzen.Mit dem Ton schafft Grünsfelder Klangräume, die das Publikum nur unterschwellig mitbekommt. "Die Menschen sollen verzaubert aus dem Theater gehen. Das, und nur das, ist mein Anspruch", sagt der Mann, der Abend für Abend im wahrsten Sinne des Wortes den Ton bei den Bad Hersfelder Festspielen angibt. (Christopher Göbel) +++