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Musik, die zu Herzen ging, und der Zuschauerpreis für Michael Rotschopf
29.08.22 - "Damit sind die 71. Bad Hersfelder Festspiele beendet", sagte Intendant Joern Hinkel am Ende der Abschlussgala in der Stiftsruine, ehe die Festspielfanfare zum letzten Mal in diesem Jahr über die Dächer der Festspielstadt schallte. Die Gala war erfüllt von Musik, die nachdenklich machte - in Zeiten, in denen auf europäischem Boden wieder ein Krieg tobt, durchaus nachvollziehbar.
Dennoch gab es fröhliche Momente, beispielsweise die Verleihung des Zuschauerpreises an Michael Rotschopf, der zehnmal den Lehrer John Keating in "Der Club der toten Dichter" gespielt hatte.
Die Komponisten Leonard Bernstein, Werner Richard Heymann, Kurt Weill, Dmitri Schostakowitsch, Ernest Gold, Friedrich Hollaender, Georg Kreisler, Modest Mussorgsky und Mischa Spolianski eint Eines: Sie schrieben ihre Musik unter Lebensbedingungen, die von Flucht, Angst und Exil geprägt waren. Werke dieser Musiker hatten die Verantwortlichen für die Gala ausgesucht. Es sangen Sona MacDonald, Iréna Flury, Philipp Büttner und Ilja Richter, der auch die Moderation des Abends übernommen hatte. Den instrumenatlen Part hatte das großartige Orchester der Bad Hersfelder Festspiele unter der Leitung von Christoph Wohlleben übernommen und Regie des Abends führte Till Kleine-Möller.
Großartiger Orchesterklang
"Optimismus in schweren Zeiten" hatte Richter in der Anmoderation angekündigt - und er sollte Recht behalten: Ob schmissige Bigband-Sounds aus Bernsteins "On the Town", Schostakowitschs rhythmisch anspruchsvolles "Ball at the Castle" oder Golds melodiöses "Exodus" - das großartige Orchester stellte seine symphonischen Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis. Einer der instrumentalen Höhepunkte war "Das große Tor von Kiew" aus den "Bildern einer Ausstellung" von Mussorgsky.
Mit "Irgendwo auf der Welt", einem Lied aus den 1930er Jahren, das die "Comedian Harmonists" bekannt machten, stellten Iréna Flury, Sona MacDonald und Philipp Büttner Flüchtende dar, die davon träumen, irgendwo auf der Welt ein kleines bisschen Glück zu finden. "Dieses Konzert ist Menschen auf der ganzen Welt gewidmet, die auf der Flucht sind, die keine Heimat mehr haben, die gerade keine Konzerte besuchen können, weil die Konzerthallen und Opernhäuser zerbombt wurden", hatte Hinkel zuvor gesagt. Umso mehr gewann der Traum von Seligkeit für heimatlos gewordene Menschen an diesem Abend Brisanz.
Aus der "West Side Story" erklangen "There's a Place for us" und "Tonight" mit Iréna Flury und Philipp Büttner. Sie nutzen dabei die Kulisse des "Goethe!"-Musicals, um das Liebespaar darzustellen, das nicht zusammenkommen kann. Sona MacDonald sang von den "Ruins of Berlin" von Hollaender und "I'm a Stranger here myself" von Weill - beides Lieder mit ernstem Hintergrund. In seinen Moderationen gab Richter immer wieder Informationen zu Entstehung und Umfeld der Songs oder der Komponisten. Er selbst brachte ein bisschen Komik, aber auch offene Putin-Kritik, in seine Darstellung von "Der zweitälteste Frauenberuf" von Kreisler, unterstützt von MacDonald und Hinkel.
Den Zuschauerpreis erhielt an diesem Abend Michael Rotschopf, der leider nicht mit auf der Festspielbühne stehen konnte, sondern per Livechat aus Dänemark zugeschaltet war. "Ich danke für den wichtigsten Preis von allen, denn er kommt von denen, für die wir das jeden Abend machen: dem Publikum", so Rotschopf. Die zehn Vorstellungen als John Keating in "Der Club der toten Dichter" hätten ihm "einen einzigartigen Sommer" beschert. Er dankte auch seinen "wunderbaren Kollegen". Der Preis ist ein von Birgit Kress gestalteter und von Juwelier Matthias Laufer-Klitsch gestifteter Ring.