Archiv
Akademiedirektor Gunter Geiger dankte Sophie von Bechtolsheim für ihre bewegende Beschreibung von Lebensschicksalen in der NS-Zeit. Rechts im Bild: hr-Moderator Werner Schlierike, der durch den Abend führte. - Fotos: Michael Schwab

FULDA In Katholischer Akademie des Bistums

Bewegender Abend mit Stauffenberg-Enkelin Sophie von Bechtolsheim

13.10.22 - Zwei Bücher stammen aus der Feder von Sophie von Bechtolsheim. "Stauffenberg – mein Großvater war kein Attentäter" und "Stauffenberg. Folgen: Zwölf Begegnungen mit der Geschichte." Während sich die Historikerin und Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg im ersten Band "subjektiv ihrem Großvater genähert hat", wie Akademie-Direktor Gunter Geiger zum Auftakt einer Lesung im Bonifatiushaus beschreibt, und damit ein Stück eigene Familiengeschichte aufarbeitet, kommen in ihrer jüngsten Veröffentlichung als Folge ihres Erstlingswerks jene zu Wort, deren "Geschichten und unterschiedlichen Schicksale" kaum bekannt sind.

Besseres Verständnis

So erinnert Dorothea Johst im Gespräch mit Sophie von Bechtolsheim an ihren Vater und Hitler-Stenographen Heinrich Berger, dessen Tod sie mit einem "Staubkorn der Geschichte" vergleicht. Im Bonifatiushaus, der Katholischen Akademie des Bistums Fulda, sprach die Autorin mit hr-Moderator Werner Schlierike über ihr jüngstes im Herder Verlag erschienenes Buch. Insbesondere aber über diejenigen, wie ihren Schwiegervater Christoph von Bechtolsheim oder Realschuldirektor und Nachhilfelehrer Bert Heinrich, deren unterschiedliche Schicksalswege einen wesentlichen Teil zum besseren Verständnis deutscher Geschichte während der NS-Zeit darstellen.

Zwar trägt die Historikerin heute nicht mehr den geschichtsträchtigen Namen ihres Großvaters. Dennoch bleibt die Frage nach dessen Bedeutung für ihr Leben. Er sei für sie "keine Last", sagt Sophie von Bechtolsheim. "Stolz" in Verbindung mit dem Namen Stauffenberg bewege sie aber auch nicht. "Eher Dankbarkeit", präzisiert sie: "Das trifft es am meisten." Dennoch sind es gerade diese Bezüge, vor allem aber die Reaktionen nach dem ersten Buch, die die Schriftstellerin veranlasst haben, als "Folge" einen weiteren Band zu veröffentlichen. "Ich habe viele Zuschriften von Menschen bekommen, die von der eigenen Annäherung an die Geschichte ihrer Familie im Nationalsozialismus erzählen wollten."

Der frühere Generalvikar des Bistums Fulda, Prof. Gerhard Stanke, im Gespräch mit ...

Rucksack der Geschichte

In diesem Zusammenhang greift Sophie von Bechtolsheim gerne das Bild des Rucksacks auf, "um den wir nicht gebeten haben, der aber vor der Tür steht." Diese Metapher stehe stellvertretend "für die Geschichte, die wir erben." Und eben jene besteht nicht nur aus der ihres eigenen Großvaters, sondern auch aus der des Schwiegervaters. Lange sei sie verborgen geblieben, bis das persönliche Archiv der Familie in einem historischen Biedermeierschrank ein Päckchen mit Briefen Christoph von Bechtolsheims zutage gefördert habe. Als junger Mann war er unmittelbar nach dem Attentat auf Adolf Hitler ins Fadenkreuz der Ermittler des Reichssicherheitshauptamtes geraten. Ein Versetzungsgesuch war der Auslöser gewesen. Weil die NS-Schergen in Christoph von Bechtolsheim einen "Mitwisser oder Beteiligten" am Umsturzversuch vermutet hatten, wurde er verhaftet und in Berlin inhaftiert. Nur mühsam sei es ihm schließlich gelungen, die Ermittler davon zu überzeugen, ahnungslos von den Attentatsplänen gewesen zu sein.

Strafe und Gefängnis gerade noch entronnen, wurde der unschuldige Soldat kurzerhand an die Ostfront geschickt. Während des deutschen Rückzugs erlebte von Bechtolsheim, wie seine Schwiegertochter weiter ausführte, die verheerenden Ereignisse im Kurlandkessel sowie in der Ardennenschlacht, bevor er im August 1945 wieder nach Hause zurückkehren konnte. War Christoph von Bechtolsheims Geschichte nun die "eines Glücklichen oder die eines Glücklosen?" Wie er es selbst empfunden hat, wird niemand mehr erfahren. "Ich habe gemerkt, dass er nicht über diese Zeit sprechen wollte", erinnert sich die Buchautorin. "Er hat abgeblockt. Das muss man akzeptieren."

Lebensgefühl

Ganz anders das Verhalten des Nachhilfelehrers der Kinder von Sophie von Bechtolsheim. Gespräche mit Bert Heinrich, Jahrgang 1926, hätten ihr "die Mentalitäten der Nazi-Zeit nahe gebracht." Heinrich habe in jungen Jahren die "Männer des 20. Juli als Verräter abgetan." Für ihn sei der Nationalsozialismus zum "Lebensgefühl geworden, das allumfassende Antworten gegeben hat." 1944 kam der gebürtige Schwabe zur Flakabteilung der Waffen-SS Division "Das Reich". "Ich war so stolz gewesen und wollte mich mit Leib und Seele für Führer, Volk und Vaterland einsetzen", berichtete er Jahrzehnte später der Mutter seiner Nachhilfeschüler. Nur eine Freundin sei damals von seiner Entscheidung regelrecht entsetzt gewesen und habe gefragt: "Weiß du denn, was du tust?"

Erst in der Gefangenschaft habe Heinrich von den Gräueltaten erfahren, die seine Division während ihrer Kriegseinsätze angerichtet hatte, wie das grauenvolle Massaker im französischen Oradur. Ihm sei klar geworden: Er hatte einer verbrecherischen Organisation angehört. "Je mehr er erfuhr, desto mehr lasteten Gefühle der Scham und Schuld auf ihm", berichtet Sophie von Bechtolsheim. Flashbacks seines Traumas würden Bert Heinrich noch heute immer wieder übermannen. Das Buch jedoch habe ihn als Zeitzeugen animiert, "sich mit Herz und Verstand mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen."

"Ein ganz spezieller Rucksack"

Dorothea Johst, so schildert Buchautorin von Bechtolsheim, schultere einen "ganz speziellen Rucksack": den Tod ihres Vaters als einziges ziviles Opfer des Attentats auf Hitler. "Abgeklärt und gelassen angesichts ihres Wissens" habe die alte Dame während ihres Besuchs in der Wohnung in einem Erfurter Hochhaus auf sie gewirkt. Heinrich Berger war zum ersten Mal als Stenograph Hitlers in der Wolfsschanze im Einsatz gewesen, als ihn das Schicksal an jenem 20. Juli 1944 ereilte. Berger galt als einer der Besten seines Fachs im Land und war von Adolf Hitler persönlich vereidigt worden. Und das, obwohl der promovierte Jurist weder in der Partei gewesen war noch einen militärischen Rang bekleidete. Im Gegenteil: Berger war der akademische Titel sogar aberkannt worden, weil er in seiner Promotion über das "Ehrenwort" zu viele alttestamentarische Bezüge geknüpft hatte. Trotz des tragischen Todes ihres Vaters habe laut Johst in der Familie die Ansicht vorgeherrscht, dass das Attentat "notwendig gewesen war." Denn der Krieg habe so viel Leid gebracht.

Einen bewegenden und berührenden Akademieabend ließ Moderator Schlierike mit der entscheidenden Frage ausklingen: "Wie geht man um mit der Last der Geschichte?" "Man muss die Last mittragen", steht für Sophie von Bechtolsheim fest. Man könne zwar so tun, "als hätte man den Rucksack der Geschichte nicht. Aber man hat ihn. Zur Verantwortung gehört es, sich ihr zu stellen und Geschichte aufzuarbeiten." (pm) +++


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum
Cookie-Einstellungen anpassen

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Whatsapp
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön