Archiv
Yesterday when I was young: (Berauschende) Erinnerungen an das Jahr 1971
12.10.22 - Lesung, Kabarett, Musik-Comedy – all' das gibt es bei den ersten drei Kulturabenden der Stadt Hünfeld in dieser Saison. Den Auftakt machte der bekannte Schauspieler und Autor Helmut Zierl am Dienstagabend im Rathaussaal. Der 68-Jährige las aus seinem autobiografischen Roman "Follow the Sun - Der Sommer meines Lebens". Der Titel ist einem Beatles-Song entlehnt und verweist auf die Epoche, in der das Buch spielt. Die frühen 1970-er Jahre nämlich, genauer 1971.
Wichtiges Utensil bei der Lesung ist ein Cassettenrecorder aus den 1980-er Jahren, mit dessen Hilfe Helmut Zierl die Zuhörerschaft mitnimmt und an seinen mitunter rauschhaften Erinnerungen teilhaben lässt. Gleichsam eine musikalische Zeitmaschine, die einen dank (angespielter) Songs von den Beatles, Simon & Garfunkel oder Janis Joplin zurückbringt in den Sommer 1971. Das Jahr, in dem der Schauspieler und Autor einst wegen Haschischhandels von der Schule in der norddeutschen Provinz geschmissen und von seinem Vater - einem Polizisten - kompromisslos vor die Tür gesetzt worden war. Zierls Erinnerungen sind ein Roadmovie at it's best, gekennzeichnet von schillernden und weniger schillernden Erinnerungen.
Zehn Jahre hat das Schreiben dieser autobiografischen Episoden gedauert. Immer wieder hatte der heute 68-Jährige das Manuskript beiseitelegen müssen, weil ihn die Erinnerungen emotional so mitnahmen, wie Zierl nach der Begrüßung durch Stadträtin Martina Sauerbier sagt. "Dann aber musste die Geschichte raus, die ich schließlich 40 Jahre mit mir herumgeschleppt habe" - eine lustige und zugleich tragische Erinnerung an eine emotionale Achterbahnfahrt.
Denn nach dem durchaus unterhaltsamen Auftakt des Losgelöst-Seins in Brüssel, wo dder langhaarige Hippie (!) in einer höchst schrägen WG wohnt, zieht es ihn nach Amsterdam. Einer der Gründe: Die brasilianische Schönheit Tirshata, in die sich Zierl Hals über Kopf verliebte und die er in der holländischen Metropole wiederfand, wenngleich sie mittlerweile den Drogen verfallen war. Apropos Drogen: Zierl schildert eindrücklich, wie er im letzten Moment dem Heroin entkommt, er Amsterdam in jenem Sommer nie nüchtern erlebte ("Ich war immer bekifft") und wie er schließlich in einer Fixer-WG landete. Das Verfassen des Buches habe therapeutischen Charakter gehabt und die 380 Seiten hätten letztendlich dazu beigetragen, "dass ich habe loslassen können"
Seine Erinnerungen hat der in seinen Rollen auf den "Saubermann" und "Sonny Boy" festgelegte Schauspieler, dem sein Image immer egal gewesen sei, den "Zerbrochenen, Gestrandeten und Gestrauchelten" gewidmet. Die es - im Gegensatz zu ihm - nicht geschafft hatten, der Drogenhölle zu entkommen.
Das Publikum im gut besetzten Rathaussaal zeigte sich sehr angetan von den intensiven Lebenserinnerungen des sympathischen und sich sehr nahbar gebenden Darstellers und geizte nach den insgesamt 100 Minuten nicht mit Applaus. Zumal Helmut Zierl am Ende mit einem typischen Cliffhanger aufwartete, da er offenließ, wie die Geschichte mit seinen Eltern weiterging. Es sei denn, man kauft sich das Buch. (Bertram Lenz) +++