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Schon vor dem Ortseingang weisen Schilder auf den einmaligen Früchteteppich hin

19.09.09 - SARGENZELL

Zählbar sind sie nicht, die Samen, Körner und gemahlenen Blütenblätter, die auf dem Boden der "Alten Kirche" in Hünfeld-Sargenzell auf 25 Quadratmetern liegen - es werden mehrere Millionen sein. Die wenige Millimeter großen Pflanzen- oder Fruchtteile wie Nachtkerze, Silberhirse, Akelei, Mohn, Grieß, Amarant oder Linsen bilden in ihrer Gesamtheit in beeindruckender Plastizität ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert nach. Und das geschaffene "Kunstwerk ganz aus Natur" belegt erneut die aristotelische Erkenntnis, wonach das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Detailreich, in perspektivischer Tiefe und mit Schattierungen, die Gewänder und Gesichter, Himmel oder Wasser wie gemalt erscheinen lassen, wurde das zarte Material zum Kunstwerk "Die Heilung des Gelähmten am Teich Bethesda" von Bartolomé Esteban Murillo (1618 - 1682) gestaltet. Das Gemälde des Spaniers, das in der Nationalgalerie in London hängt, ist Motiv des "22. Sargenzeller Früchteteppichs". Und bis zum 1. November werden in dem kleinen ehemaligen Gotteshaus wieder 60.000 bis 70.000 Besucher erwartet, die aus dem Staunen kaum heraus kommen und - weil der "Früchteteppich" im Lauf der Jahre nicht nur bei Kunstfreunden und Kirchenkennern Berühmtheit erlangt hat - aus ganz Hessen und anderen Bundesländern anreisen.

In über acht Wochen mühsamer Kleinarbeit haben die Initiatorin und künstlerische Leiterin Ria Noll und ein Dutzend bewährter Helfer vom "Förderverein Alte Kirche Sargenzell" den diesjährigen "Früchteteppich" gelegt - von innen nach außen, mit geklebten Konturen, zentimetergenau nach der Zeichnung auf der Grundplatte - und stundenlang auf den Knien herumrutschend und -hockend. Immer sind die Motive religiöse oder biblische Darstellung und oft berühmte Kunstwerke. Dabei waren unter anderem schon "Die Geburt Christi" von Martin Schongauer, "Abrahams Opfer" von Zampieri, die "Tempelreinigung" von Carl Bloch, "Emmaus Mahl" von Martinetti oder "Jesus im Haus von Martha und Maria" von Tintoretto.

Der Sargenzeller Früchteteppich ist an Größe und Präzision in ganz Deutschland einmalig. In den seltensten Fällen stimmen die Maße der Original-Kunstwerke mit den möglichen 20 bis 27 Quadratmetern FLäche in der Sargenzeller Kirche überein. So überlegte Ria Noll auch zunächst, ob das favorisierte Motiv einer Heilung durch Jesus von dem spanischen Maler Murillo umsetzbar war. Denn das Original, im Jahr 1668 gemalt, ist lediglich 2,37 Meter mal 2,61 Meter groß - mit rund 6,2 Quadratmetern also für den "üblichen" Teppich viel zu klein. Die "Früchte-Künstlerinnen und -künstler" nahmen sich also die künstlerische Freiheit, das Bild zu vergrößern und oben ein Selbstportrait des Malers von 1672 einzufügen. Insgesamt misst der Früchteteppich nun rund 25 Quadratmeter.

Dem Gemälde liegt die Stelle im Johannes-Evangelium zugrunde, in der berichtet wird, wie Jesus einen Kranken heilte. In der Bibel wird von einem Teich mit fünf Säulenhallen berichtet, von denen auf dem Werk zwei abgebildet sind. Das Motiv ist anspruchsvoll und zeigt zahlreiche Figuren: Jesus, die Apostel Petrus und Johannes sowie einen weiteren Apostel, den Gelähmten, weitere Kranke, einen Engel am Himmel und am Bildrand einen Hund, der als Sinnbild der Unreinheit dort platziert wurde. Zur Steigerung der räumlichen Wirkung schuf Murillo verschiedene Ebenen, dadurch erhielt das Gemälde eine große Tiefe.

Bei der feierlichen Eröffnung gestern Abend wurde das Engagement der "Teppich-Künstler" für ihre Kirche ebenso gewürdigt wie die künstlerische Kompetenz. Die Theologin vom Seelsorgeamt des Bistums Fulda, Dagmar Denker, verknüpfte die Bibel-Darstellung der Heilung des Gelähmten mit dem heutigen Alltagsleben und gab den Christen die Ermutigung zur Gestaltung des Lebens und zur Akzeptanz persönlicher Grenzen mit auf den Weg. Der Hünfelder Stadtpfarrer Alfons Gerhardt formulierte den Wunsch, dass auch 2009 viele Menschen in die Alte Kirche kämen, denen der Früchteteppich mehr vermitteln solle als bloßes "Besichtigen" einer besonderen Sehenswürdigkeit. Auch andere Ehrengäste aus der Kommunalpolitik fassten ihre persönliche Bewunderung für das Geschaffene in Worte.

Diese besondere Kunstaktion hat ihren Ursprung in den Aktvitäten zur Rettung der "Alten Kirche". Die seit 1984 nicht mehr genutzte kleine neugotische Kirche (erbaut 1857 - 1862) sollte abgerissen werden, weil die Kosten für die Restaurierung zu hoch waren. Die Bürger aber wollten das ehemalige Gotteshaus für ihre Kinder und Enkel erhalten. 1987 fand eine 1. Krippenausstellung statt, der erste Früchteteppich folgte 1988 zum Erntedankfest. Und der Wunsch wurde Wirklichkeit: der gegründete "Förderverein Alte Kirche" schaffte es, konnte schon 1993 mit den ersten Renovierungsarbeiten beginnen und diese 1999 abschließen.

Möglich war dies durch die verschiedenen Aktivitäten wie Früchteteppich, Ostermarkt oder Krippenausstellung geworden, bei denen Spenden gesammelt wurden. Seit einigen Jahren werden die Einnahmen aus Spenden oder Postkartenverkauf vom Förderverein für verschiedenste soziale Zwecke vergeben. Übrigens sind die ehrenamtlichen "Teppichleger" nicht die einzigen Helfer: damit die vielen tausend Besucher nicht mit ihren Fragen allein gelassen werden, gibt es mehr als zwei Dutzend "Teppich-Erklärer", die sich während der Öffnungszeiten abwechseln.

Der Früchteteppich 2009 kann von Samstag, 19. September bis Sonntag, 01. November 2009 täglich von 9 Uhr bis 18:00 Uhr besichtigt werden. Der Eintritt ist frei, um eine Spende zur Erhaltung der Kirche bittet der Förderverein. Aufgrund des großen Interesses müssen sich Besuchergruppen anmelden. (gw) +++


Durch die vielfältigen Aktionen des Fördervereins konnte die neugotische "Alte Kirche" in Sargenzell gerettet werden

Bei der Eröffnung des neuen Früchteteppichs hatten...


...sich gestern Abend viele Ehrengäste und beteiligte Helfer in dem ehemaligen Gotteshaus eingefunden

Mitglieder des Männergesangsvereins Hünfeld



Der 2. Vorsitzende des Fördervereins Karl Reiner Bräuning



Hermann Hambach - Sprecher der Helfer...


Initiatorin und künstlerische Leiterin: Ria Noll (Mitte), links hinter ihr die Theologin Dagmar Denker sowie der Hünfelder Stadtpfarrer Gerhard


Nach der Eröffnung gab es draußen ein geselliges Treffen...

....bei dem Elmar Zuspann "am Topf" leckere warme Suppe ausschenkte - die Gastronomen-Familie Zuspann...


....unterstützt den Förderverein schon seit Jahren

Gut verschraubt in Gläschen die "Zutaten" für den Früchteteppich, wie Mohn, Flohsamen, Leindotter, Hirse, Eichenblätter oder Basmatireis


Letzte Korrekturen vor der Eröffnung - die Umrand bilden in diesem Jahr gelb-rote Äpfel

Die Arbeit von rund 8 Wochen


Das ist die "typische Arbeitshaltung" der Früchteteppich-Künstler von Sargenzell



Wie gemalt: die Darstellung des Bildes von 1868 des Spaniers Bartolomé Esteban Murillo


...hier die Gruppe der Kranken im Hintergrund

Der Gelähmte, der auf die Heilung durch Christus hofft


Die Schattierung gibt dem Bild aus Samen, Körnern und Blüten Lebendigkeit

...der Maler hatte durch verschiedene Ebenen perspektivische Tiefe erreicht


Künstlerische Freiheit: am oberen Bildrand wurde ein Selbstportrait von Murillo eingefügt

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