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Michael Sammet vom Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda empfindet die aktuelle Situation im Gesundheitswesen als äußerst kritisch - Fotos: Marius Auth

FULDA "Einfach zu viele Baustellen"

HJK-Chef Michael Sammet: "Ich fürchte um unsere Gesundheitsversorgung!"

04.11.22 - "Im Gesundheitswesen können wir uns eben nicht leisten, was Bahn, Fluggesellschaften oder Post uns gerade vormachen: nämlich einfach Züge, Flüge oder Zustellungen zu streichen, weil es an Personal fehlt", sagt der Geschäftsführer des Fuldaer Herz-Jesu-Krankenhauses, Michael Sammet im O|N-Gespräch.

Dabei sind die Personal-Krankenstände in den Krankenhäusern derzeit wegen Corona und sonstigen Erkrankungen wie Atemwegsinfekten mindestens genauso hoch wie in anderen Branchen - beziehungsweise durch die massive Dauerbelastung der letzten Jahre und erhöhten Ansteckungsgefahr noch verstärkt.

Ein Dilemma

Und die "Hauptsaison" der vermehrten Infektionskrankheiten plus Corona starte gerade erst. Viele der Beschäftigten im Gesundheitsweisen sind seit zweieinhalb Jahren bedingt durch die Corona-Pandemie hohem Stress ausgesetzt und vielfach erschöpft, sodass die Krankenstände in den Kliniken teilweise sehr hoch sind. "Wegen der dünnen Personaldecke bleibt den Kliniken bei hohem Krankenstand dann nichts anderes übrig, als Betten zu sperren, die Notaufnahmen laufen über und die Gesundheitsversorgung leidet temporär", beschreibt Sammet das Dilemma, vor dem zur Zeit kein Krankenhaus gefeit ist.

Sammet im O|N-Interview mit Nina Bastian und Carla Ihle-Becker

Ärztemangel


Neues Pflegepersonal oder Assistenzärzte bestimmter Fachrichtungen zu gewinnen, sei zum Beispiel im Rhein-Main-Gebiet teilweise bereits sehr schwierig. Dazu komme der spürbare Hausarzt- und Fachärztemangel, was wiederum schon jetzt zur Dauerauslastung der Notaufnahmen führe. Ferner müsse man den demografischen Wandel beachten, gerade wenn in den kommenden Jahren die Personen der Babyboomer-Generation aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden und in Rente gehen. Ein in der Öffentlichkeit bislang so gut wie gar nicht bekanntes zusätzliches Problem im stark gebeutelten Gesundheitswesen liege in der fehlenden Ausbildung von Medizinernachwuchs. "Wir bilden jährlich bundesweit rund 5.000 Ärztinnen und Ärzte zu wenig aus - nicht etwa, weil es an der Nachfrage oder geeigneten Abiturienten fehlt, sondern weil mehr Medizinstudienplätze angeblich zu teuer sind. Das wird uns noch schwer zu schaffen machen und letztendlich zu einer nachhaltigen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung führen", prognostiziert der 52-Jährige.

O|N-Redakteurin Carla Ihle-Becker

O|N-Redaktionsleiterin Nina Bastian

Der neueste Vorschlag unseres Gesundheitsministers, vermehrt auf tagesklinische Behandlung im Krankenhaus zu setzen und die Patienten über Nacht nach Hause zu entlassen, um so den Nachtdienst zu entlasten und das Personal tagsüber einsetzen zu können, sei gelinde gesagt realitätsfern. "Für einige wenige Bereiche ist dies wohl unter bestimmten Voraussetzungen möglich, aber es ist wirklich kein Patentrezept!" Dafür müsste eine qualitativ adäquate Versorgung zu Hause gesichert sein, was bei unserer älter werdenden Bevölkerung einfach oftmals nicht gegeben sei. Die wirklich brisanten Engpässe für Kliniken kämen erst noch. Denn die explodierenden Energiekosten und die Inflation drohen über kurz oder lang zwangsläufig zu Insolvenzen und Kliniksterben zu führen, sofern der Gesetzgeber nicht kurzfristig mit finanziellen Mitteln unterstützend eingreift, malt der Geschäftsführer die Zukunft in düsteren Farben.

Vom Gesetzgeber bekommen Krankenhäuser gegenüber vielen anderen Unternehmen den Preis für eine Krankenhausbehandlung gedeckelt vorgeschrieben. In diesem Jahr ist der Preis nur 2,3 Prozent höher als im Vorjahr. Gleichzeitig wird man mit massiven Kostensteigerungen in sämtlichen Bereichen konfrontiert, die weit im zweistelligen prozentualen Bereich liegen - teils bei 15 Prozent bis zu 25 Prozent. Im Energiekostenbereich drohen 400 Prozent bis 500 Prozent. Diese Diskrepanz zwischen Preissteigerung und Kostensteigerung hält auf Dauer keine Branche der Welt, auch nicht das Gesundheitswesen, aus. Dabei sei er beileibe kein Pessimist, sagt Sammet, aber die Frage, was uns ein funktionierendes Gesundheitssystem wert sei, müsse jetzt zeitnah beantwortet werden.

Düstere Aussichten

"Unser System der Krankenhausfinanzierung ist für diese Krisensituation nicht geeignet. Wenn die Kosten steigen, erhöht man in allen Branchen die Preise - nur wir dürfen das nicht. Das kann nicht gutgehen", bringt er das Problem auf den Punkt. Chronische Unterfinanzierung, dazu Fachkräfte- und Nachwuchsmangel und dann noch überbordende Bürokratie: das sind einfach ein paar Baustellen zu viel! Doch von dieser wachsenden Dramatik habe die Öffentlichkeit bisher so gut wie noch nichts mitbekommen, weil die Akteure im Gesundheitswesen irgendwie versuchen, das Ganze am Laufen zu halten. Ohne zusätzliche staatliche Unterstützung sei unsere bisherige Gesundheitsversorgung nicht aufrechtzuerhalten, konstatiert der Geschäftsführer. Einmal mehr düstere Aussichten ohne Silberstreif am Horizont. (ci) +++


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