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Die Opfer von Kriminalität fühlen sich trotz juristischer Aufarbeitung oft alleingelassen - Symbolbild: pixabay

FULDA Was macht eigentlich der Weiße Ring?

"Im Zweifel für das Opfer!" - Dr. Patrick Liesching vertritt ihre Interessen

09.11.22 - In Gerichtsverfahren kommen sie häufig eher am Rande vor, die Opfer von Verbrechen - im Fokus und dem Interesse der Öffentlichkeit steht der oder die Täter. Deren Herkunft und Werdegang, ihre Beziehungen und Motive und jedes Detail der Tat sind nicht nur Mittelpunkt der Verfahren, sondern auch Thema umfangreicher medialer Berichterstattung. Diejenigen, die betrogen, bestohlen, vergewaltigt oder verletzt wurden, tragen vielleicht noch zur Aufklärung des Verbrechens bei, dann sind sie mit den oft quälenden, massiven Spätfolgen allein.

Als Gerichtsjournalist stellt sich einem oft die Frage: wie können die Betroffenen nach solchen negativen Grenzerfahrungen überhaupt wieder Zutrauen in ihre Mitmenschen und ins Leben gewinnen? Wer kümmert sich eigentlich um die, die mit solchen existenzbedrohenden Erlebnissen allein zurückbleiben? Das Urteil ist gesprochen, ist jetzt alles wieder gut?

Der Fuldaer Jurist Dr. Patrick Liesching ist Bundesvorsitzender des Opferhilfevereins ...Fotos: Brandon Watkins

Dr. Patrick Liesching, hauptberuflich Leiter der Staatsanwaltschaft Fulda, ist seit einigen Wochen Bundesvorsitzender des Weißen Rings, einem gemeinnützigen Verein, der sich die Unterstützung von Kriminalitätsopfern auf die Fahne geschrieben hat. Von dessen unverzichtbarer Arbeit hat er schon vor fast zwei Jahrzehnten erfahren. "Ich erinnere mich deutlich an den erschütternden Fall einer geistig behinderten Frau, die wie ein fünfjähriges Kind im Körper einer Erwachsenen war. Sie wurde von einem Sexualstraftäter auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt angesprochen, hinter eine Mülltonne gelockt und missbraucht. Das hatte sie aus ihrem bis dahin intakten Leben völlig rausgerissen und schwer traumatisiert. Ihre Befragung vor Gericht war entsprechend problematisch, sie war total verstört", erinnert sich der 50-Jährige.

Ist Justitia manchmal blind für die Opfer?

Damals habe er deutlich empfunden, dass es mit der Verurteilung des Täters nicht getan war: "Da muss es doch Mechanismen geben, die den Opfern in solch schlimmen Fällen schnell, kompetent und unbürokratisch Hilfestellung geben können." Mit diesem Gefühl stand der Jurist nicht allein, zwangsläufig kam er in Kontakt mit der bundesweit aktiven Opferinstitution "Der Weiße Ring". Vor 17 Jahren habe er als Außenstellenmitarbeiter in Fulda angefangen, "weil ich in Strafprozessen mit der ehrenamtlichen Arbeit der Opferhelfer in Berührung kam und von deren Engagement so begeistert war."

Der "Weiße Ring" hat ein deutschlandweites Netz von rund 2.900 ehrenamtlichen Opferhelferinnen und Opferhelfern in mehr als 400 Außenstellen aufgebaut und zählt aktuell rund 44.000 Mitglieder. Für Politik, Justiz, Verwaltung, Wissenschaft und Medien sind der Verein in allen Fragen der Opferhilfe und des Opferschutzes sachkundiger und anerkannter Ansprechpartner.

Blutverschmiertes Laken entsorgt

Dabei geht es keineswegs nur um finanzielle Unterstützung. Dr. Liesching berichtete von einem weiteren Fall, bei dem er die wertvolle und hilfreiche Initiative des Weißen Rings ganz konkret miterlebt hat. Eine ganze Familie war vom Gewaltausbruch des Vaters betroffen, der mit den Trennungswünschen seiner Frau haderte und sie vor den Augen der Kinder mit einem Beil attackiert hatte. Erst im letzten Moment hielt der Mann inne, Frau und Kinder konnten fliehen, der Täter wurde festgenommen. Für die verstörten Opfer war nichts mehr wie zuvor, im Schlafzimmer lag noch das blutverschmierte Laken, die Familie wusste sich nicht zu helfen. Der Weiße Ring habe hier ganz pragmatisch zunächst die Tatortreinigung veranlasst, sich um psychologischen Beistand und schließlich um eine neue Wohnung gekümmert, berichtet Dr. Liesching. 

Welche Art der Hilfestellung im Einzelfall die jeweils richtige ist, entscheiden die Opferbegleiter in engem Kontakt mit Ärzten, Psychologen, Polizei, Krankenkassen und Sozialverbänden. Mal ist es eine neue Waschmaschine, mal ein Therapieplatz, mal die Zuschüsse für medizinische Behandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen. "Wir sind durch die langjährige Arbeit vor Ort gut vernetzt, haben genug Entscheidungsspielräume und suchen nach praktikablen Lösungen - und das funktioniert wirklich gut", ist Lieschings Erfahrung. Bedürftigen schnell effektive Unterstützung geben zu können, ist ein starker Motor, der die haupt- und ehrenamtlichen Helfer des Weißen Rings antreibt. Dr. Liesching will seinen unverzichtbaren Verein auch bei jüngeren Menschen noch bekannter machen: "Die Jungen sind unsere Zukunft", sagt er. Sein Beispiel ist überzeugend. (ci)+++


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