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Stefan Körzell im Gespräch mit einem Lastwagenfahrer auf einem Rasthof in Bad Hersfeld - Fotos: Hans-Hubertus Braune

BAD HERSFELD Aktion Faire Mobilität

Lkw-Fahrer aus fernen Ländern: Gewerkschafter prangern Ausbeutung an

05.12.22 - Lastwagen an Lastwagen bahnen sich ihren Weg über die Autobahnen in Deutschland. "Die rechte Spur der Autobahn ist das moderne Lager", sagt Michael Wahl. Auf Rosis Autohof am Stadtrand von Bad Hersfeld sind sie an einem kühlen Novembernachmittag unterwegs, um mit den Fahrerinnen und Fahrern zu sprechen. Auch der gebürtige Bosseröder Stefan Körzell ist dabei.

Michael Wahl vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität

Das Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) spricht von "Ausbeutung". Die Herausforderung aus Sicht der Gewerkschafter: "Immer mehr Lkw-Fahrende werden aus Nicht-EU-Staaten wie Ukraine, Belarus, Kasachstan, Kirgistan oder Georgien angeworben, um bei Speditionen innerhalb der EU zu arbeiten. Ihr Aufenthaltsrecht in der EU ist an den Arbeitsvertrag geknüpft. Dadurch sind sie doppelt abhängig von ihren Arbeitgebern und damit leicht erpressbar. Häufig sind ihre Arbeitsbedingungen schlechter als die Arbeitsbedingungen von EU-Bürgerinnen und -Bürgern."

Das DGB-Beratungsnetzwerk "Faire Mobilität" wird vom Bundesarbeitsministerium finanziert und soll gerade auch die ausländischen Fahrerinnen und Fahrer aufklären. Das Team von "Faire Mobilität" hat nach eigenen Angaben bereits rund 8.000 Gespräche geführt. Alle bei "Faire Mobilität" sprechen mindestens eine Fremdsprache und können die Fahrer in deren Herkunftssprache beraten. Was sie zu hören bekommen, gleicht sich oftmals.

Familienväter etwa aus Tadschikistan oder Kasachstan und Kirgistan träumen von guten Arbeitsbedingungen und vor allem gutes Geld in Deutschland. Sie nehmen den weiten Weg und die immensen Kosten auf sich, um hier zu arbeiten und damit ihre Familien in der Heimat ernähren zu können. Neben den Jungs aus Zentralasien fahren viele Menschen aus Osteuropa auf den Straßen in Westeuropa.

Körzell berichtet von einem Gespräch mit einem Fahrer vor wenigen Minuten: "Er fährt durchgehend vier Monate in Deutschland, dann fährt er zwei Monate nach Hause. Sein Hotel ist der Lastwagen." Sie berichten, dass sie gezwungen werden zu fahren, damit die Ladung schnell entladen und neu geladen wird. Dass sie nicht der Chef sind, sondern ihnen alles vorgeschrieben wird und die Sozialvorschriften nicht gewährleistet werden. Ihr Lohn beträgt 300 Euro plus Spesen. Vielen wird erzählt, dies zusammen ergebe den deutschen Mindestlohn. Dabei sind Spesen gar nicht auf den Mindestlohn anrechenbar."

Der Gewerkschafter sagt weiter: "Das ist Ausbeutung und hat mit Arbeits- und Sozialvorschriften sowie ordentlicher guter Arbeit nichts zu tun. Das zeigt auch, unter welch enormen Druck die Beschäftigten stehen. Wenn man Menschen aus Zentralasien, Kasachstan, Usbekistan hier herholt, heißt das nicht, dass man die Menschen hier ausbeuten darf.  Auch für sie gelten die hiesigen Standards. Arbeitgeber, die sich nicht daran halten, müssen konsequent aus dem Verkehr gezogen werden."

Die Realität sieht offenbar ganz anders aus

Die europaweiten Vorschriften geben vor, dass die Fahrer nach fünf Arbeitstagen eine Ruhezeit von mindestens 45 Stunden außerhalb ihrer Fahrerkabine verbringen müssen. Der Arbeitgeber habe für entsprechende Unterkünfte zu sorgen. Die Realität sieht offenbar ganz anders aus. "Spätestens um fünf Uhr nachmittags gibt es in Deutschland aber keine Parkplätze mehr, auf denen sich LKW-Fahrer angemessen ausruhen können. Das ist ein riesiges Problem. Viele Fahrer haben Arbeitstage, die 13 bis 15 Stunden andauern. Davon werden zehn Stunden aktiv gearbeitet und fünf Stunden sind Bereitschaftszeit. Bezahlt werden meistens nur acht Stunden", sagt Michael Wahl.

Dann erzählt Wahl von einem Gespräch mit zwei Männern, die gerade auf Rosis Autohof ihre Pause machen. "Sie leben und arbeiten seit sechs Wochen im LKW. Die Fahrer erzählen uns, dass sie mit ihren Privat-Pkws auf eigene Kosten aus Belarus nach Litauen fahren, dort in einen Minibus steigen und gemeinsam mit weiteren Kollegen nach Westeuropa gebracht werden, wo dann die Zugmaschine steht. Da fängt dann die Arbeit an", sagt Wahl vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität.

"Wir beraten heute zusammen mit Kollegen von Faire Mobilität und der holländischen Stiftung RTDD osteuropäische LKW-Fahrer und weisen sie auf ihre Rechte hin und sprechen mit ihnen über ihre Probleme. Viele Fahrer machen gegenüber ihren Chef’s nicht geltend, dass sie in Deutschland gefahren sind. Sie speichern ihre Daten nicht für sich selbst ab. Würden die ihre Fahrerkarte im Fahrtenschreiber dafür nutzen, könnten sie aber bis zu drei Jahre nach einem Wechsel ihres Arbeitgebers den gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro von ihrem ehemaligen Arbeitgeber einfordern", sagt Körzell.

"In Deutschland bekommen sie häufig kein Wasser"

Zwei Männer aus Osteuropa sind froh, dass sie ihre Leitungswasser-Kanister in Bad Hersfeld auffüllen durften. An einem Wasserhahn in der Küche vom Rasthof. Das ist selten. "In Deutschland bekommen sie häufig kein Wasser, um sich zu waschen oder zu kochen", sagt Wahl. Viele Fahrer können sich teure Unterkünfte einfach nicht leisten. Sie bringen ihr Wasser in Kanistern aus den Nachbarländern mit. Es gibt viel zu wenige ordentlich Rastplätze in Deutschland. Die Fahrer suchen sich dann Stellplätzen, etwa auf kleinen Autobahnparkplätzen oder abseits der Autobahn.

"Unter fairer Arbeit verstehen wir: Facharbeiterlöhne, angemessene Spesen und Übernachtungspauschalen sowie das Recht, mindestens jedes zweite Wochenende zu Hause bei der Familie verbringen zu können", erklären die Vertreter vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Dass die Realität weit anders aussieht, haben sie auch an diesem tristen November-Tag in Bad Hersfeld hören müssen. (Hans-Hubertus Braune) +++


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