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Unwetter, Flüchtlinge, Blackout: "Der Katastrophenschutz hat sich verändert"
22.12.22 - Es sind herausfordernde Zeiten, die vielen Menschen aktuell Sorgen bereiten: Unwetterereignisse haben sich in den letzten Monaten in Deutschland gehäuft, die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sind zum Teil noch ungewiss, ebenso wie es in Sachen Flüchtlingskrise weitergeht. Große Aufgaben, die gleichzeitig auf den Vogelsberger Katastrophenschutz zukommen, wie Kreisbrandinspektor Dr. Sven Holland im OSTHESSEN|NEWS-Interview berichtet.
"In Sachen Katastrophenschutz hat sich durch die vielen Ereignisse eine Menge verändert - er ist zum Schwerpunkt geworden", bringt er es auf den Punkt. "Es war nicht so, dass das Thema vorher keine Bedeutung hatte. Aber gerade die Lage in den letzten Jahren - angefangen mit der Flüchtlingskrise 2015 - und jetzt mit vielen Überschwemmungen oder Waldbränden, hat den Menschen ein anderes Bewusstsein gegeben. Es kann auch vor der eigenen Haustür stattfinden - und dann ist man selbst betroffen."
"Gibt kein Musterkonzept für den Ernstfall"
Und dafür muss die Bevölkerung auf einen guten und funktionierenden Katastrophenschutz bauen können: Für alle Landkreise ist das Katastrophenschutzgesetz Hessen maßgeblich. Dieses regelt, welche Einheiten in welchen Stärken für den Katastrophenschutz aufgestellt sein müssen. "Danach orientieren wir uns und erstellen entsprechende Konzepte."
Trotz intensiver und akribischer Vorbereitung: Wie das Vorgehen allerdings bei einer Katastrophe aussieht, muss im Ernstfall immer situativ entschieden werden - beispielsweise beim Szenario Blackout: "Wie genau gehandelt werden muss, hängt immer von der konkreten Lage ab. Denn es kann unterschiedliche Ausprägungen haben - und diese zeigen sich immer im Einzelnen. Ein Musterkonzept gibt es für uns nicht", so Holland. Im Ernstfall reagieren die Einheiten auf die Situation, treffen je nach Lage entsprechende Maßnahmen. "Bei einem Blackout in einem Alten- und Pflegeheim hängt es zum Beispiel davon ab, wie die Einrichtung vorbereitet ist und welche Maßnahmen vor Ort getroffen werden können. Dann muss entschieden werden."
Ähnliches gilt in Sachen Notunterkünfte: Jede Kommune muss im Katastrophenfall 50 Betreuungsplätze stellen - der Landkreis hat Kapazitäten für 1.000. "Für knapp 2.000 Personen ist also vorgeplant. Ob das dann ausreicht, ist eine andere Frage. Das ist erst einmal der Start - alles andere muss auch hier situativ überlegt werden. Natürlich haben wir immer eine gewisse Planungsgrundlage."
Die Bedeutung des Katastrophenschutzes wächst
Es gibt also kein Schema F, welches der Katastrophenschutz je nach Lage anwenden kann. Deshalb sind Ausbildung und regelmäßiges Üben von verschiedensten Szenarien das A und O im Katastrophenschutz. "Durch schlimme Ereignisse, wie beispielsweise die Flutkatastrophe im Ahrtal - wächst die Bedeutung, Prozesse werden beschleunigt, neue Systeme kommen hinzu." Zudem können die Kräfte Erfahrungen aus dem Einsatz mitnehmen, Schlüsse daraus ziehen und sensibilisieren.
Denn auch wenn der Vogelsberg in den vergangenen Jahren vor Großereignissen glücklicherweise verschont geblieben ist, waren die Katastrophenschutzeinheiten dennoch überörtlich im Einsatz: Unterstützung leisteten sie im vergangenen Jahr beispielsweise im Ahrtal oder beim großen Waldbrand in Cölbe bei Marburg im Sommer. "Das ist hervorragend an dem Konzept und der Struktur des Katastrophenschutzgesetzes: Man hilft sich gegenseitig, das ist ein riesengroßer Vorteil."
So können auch für den Vogelsbergkreis Vorbereitungen für mögliche Ernstfälle getroffen werden. Aus diesen Ereignissen lernen die Katastrophenschützer. "Auch Material oder Technik kann entsprechend angepasst werden - damit man fürs nächste Mal besser vorbereitet ist."
"Aus Flüchtlingskrise 2015 gelernt"
Für das nächste Mal vorbereitet sein, dennoch situativ handeln: Dieser Leitsatz zeigt sich besser denn je bei der aktuellen Flüchtlingsthematik: "Jetzt war es ähnlich wie in 2015, aber doch wieder anders", so der Kreisbrandinspektor. Vor sieben Jahren habe man sich vor allem auf die Turnhallen konzentriert. Innerhalb drei Tage musste eine Flüchtlingsunterkunft für 1.000 Geflüchtete errichtet werden. Im Frühjahr dieses Jahres genauso: Innerhalb weniger Tage musste der Vogelsberg Platz für 1.000 ukrainische Flüchtlinge schaffen. Dieses Mal ging man den Weg über die Hessenhalle.
"Es hängt immer von den Rahmenbedingungen ab. Wir haben aus 2015 gelernt - vor allem was den Betreuungs- und Sicherheitsdienst angeht. Trotzdem kann man eben nicht alles Alte übertragen und gleiche Muster abfahren. Der Katastrophenschutz ist ein lageabhängiges Geschäft." (ld) +++