"Radikalisierung kann in Gewaltbereitschaft und Terror enden"

15.12.22 - Eine bundesweite Razzia gegen die so genannte Reichsbürger-Szene hatte vor Kurzem für Schlagzeilen gesorgt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einer "ernst zu nehmenden Bedrohungslage durch diese terroristische Vereinigung". Es hätten sehr genaue Planungen bestanden, in den Bundestag einzudringen und sich mit Waffengewalt den Abgeordneten gegenüberzustellen. Auch in Hessen hatte es mehrere Festnahmen gegeben, darunter die des 71 Jahre alten Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Frankfurt, der als einer der Drahtzieher gilt. 

Professor Dr. Benno Hafeneger lehrte an den 90er-Jahren an der Hochschule Fulda. ...Foto: O|N - Archiv / Richard-Müller-Schule

Prof. (em.) Dr. Benno Hafeneger lehrte und forscht am Institut für Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg und gilt als bundesweit anerkannter Experte für Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit - Hafeneger lehrte in den 90er Jahren an der Hochschule Fulda - wird er noch heute gerne zu Vortragsveranstaltungen nach Osthessen eingeladen. So wie beispielsweise zu einem gemeinsamen Akademieabend von Bonifatiushaus und Richard-Müller-Schule.

Auf Anfrage von OSTHESSEN NEWS nahm er gerne Stellung zu den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. 

O|N: Wie stabil ist die Demokratie Ihrer Ansicht nach in Deutschland?

Professor Hafeneger: "Die Nachkriegsgeschichte zeigt, dass sich mit dem Grundgesetz eine stabile Demokratie entwickelt hat. Aber sie ist nicht selbstverständlich, sondern immer auch gefährdet durch die Feinde der Demokratie. Sie muss immer wieder neu vergegenwärtigt und erkämpft sowie gelebt werden."

O|N: Hat Sie die Aktion inklusive der Festnahmen im "Reichsbürger"-Milieu vor einigen Tagen überrascht?

Professor Hafeneger: "Einerseits ja, weil ich nicht vermutet hätte, dass sich eine solche radikalisierte Dynamik und Vernetzung im rechtsextremen Lager entwickelt hat. Das gilt vor allem für ehemalige und aktive Personen aus dem Sicherheitsbereich - aus Polizei und Bundeswehr. Andererseits nein, weil wir seit längerem die Radikalisierungs- und Vernetzungsprozesse beobachten, der Hass und die Gewaltbereitschaft in diesem Lager auf die Demokratie zunimmt."

O|N: Wie bewerten Sie die Terrorgefahr von rechts?

Professor Hafeneger: "Radikalisierung kann in Gewaltbereitschaft und Terror, in Putschplänen enden, das haben wir ja gerade erlebt. Solche Entwicklungen und die Herausbildung von Gruppen in diesem Lager sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen."

O|N: Was kann die Politik gegen solche radikalen/extremistischen Auswüchse unternehmen?

Vortragsveranstaltung bei einem Akademieabend im Bonifatiushaus mit Professor ...Foto: O|N - Archiv / Bonifatiushaus

Professor Hafeneger: "Diesem radikalisierten Teil der rechtsextremen Szene muss mit einer wehrhaften Demokratie, mit den Mitteln des Rechtsstaates begegnet werden. Dabei geht um das ganze Spektrum aus gesetzlichen und polizeilichen Maßnahmen, um Beobachtungen und Verbote."

O|N: Immer wieder Hessen: Warum bilden sich gerade hier solche Netzwerke?

Professor Hafeneger: "Hessen ist kein Sonderfall, aber auch hier gibt es eine rechtsextreme Szene, so über 1.000 Reichsbürger und eine hohe Gewaltbereitschaft. Die Szene hat hier eine durchaus lange Tradition, regionale und lokale Zentren. Es gelingt ihr immer wieder auch weitere Personen zu binden und zu organisieren."

O|N: Wie immun sind Jugendliche gegen solche rechtsradikalen/rechtsextremistischen Tendenzen?

Professor Hafeneger: "Der ganz überwiegende Teil der jungen Generation ist demokratisch orientiert, bekennt sich zu der Demokratie und weiß diese zu schätzen. Aber Jugendliche sind Teil der Gesellschaft, und es gibt auch eine rechte Jugendszene, als Jugendkultur, im Wahlverhalten, organisiert oder mit alltagsrassistischen Verhaltensweisen. Und für die Reichsbürgerszene gilt: Dies sind vor allem ältere Männer, es ist ein Seniorenphänomen - und kein jugendliches Phänomen". (Bertram Lenz) +++