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Diskriminierung - und wie sie uns jeden Tag überall begegnet
27.12.22 - "Mensch, du hast Recht(e)!" heißt die neue Sonderausstellung im Bad Hersfelder "wortreich". In der Wanderausstellung der "Bildungsstätte Anne Frank" geht es um die verschiedensten Formen von Rassismus und Diskriminierung, aber vor allem um Menschenrechte. Einen Zwischenruf-Kommentar zum Thema lesen Sie am Ende dieses Artikels.
Über dem mobilen Lernlabor für politische Bildung steht die Frage: "In welcher Welt wollen wir eigentlich leben?". Durch ein Tor betritt man die Ausstellung im zweiten Obergeschoss. An mehreren Stationen kann man spielerisch der Frage nachgehen, wie Diskriminierung entsteht. Alltagssituationen werden dargestellt und die Ausstellungsbesucher können selbst entscheiden, ob eine Aussage in einem bestimmten Kontext diskriminierend ist oder nicht.
Auch die mediale Berichterstattung wird thematisiert. Wie kann eine Überschrift oder eine Verdrehung von Fakten im Leser eine gewisse Meinung hervorrufen? Wie kann mit Bildern eine Situation geschaffen werden, die im Gesamtkontext eigentlich ganz anders war?
Auch die Werbung ist Thema: Warum werden fast immer Frauen für Babyartikel als Model gewählt? Warum nicht Männer? Oder auch: Warum wird nicht mit einer Frau in Burka für Brillen geworben? Warum sind es nicht zwei Männer mit Kindern, die für eine Nussnougatcreme die Vorzeigefamilie sind? Alle diese Beispiele, die uns im Alltag begegnen, zeigen auf, dass bestimmte Gruppen immer wieder ausgegrenzt werden.
Viele Menschen sind Opfer von Rassismus und Diskriminierung
Vor allem Volksgruppen werden immer wieder zum Ziel rassistischer Anfeindungen. Sinti und Roma, Farbige oder Asiaten werden oft ausgegrenzt. Aber auch Homo- und Transsexuelle, Frauen oder Menschen mit Behinderung. Die Ausstellung macht deutlich, dass es sehr viel mehr Diskriminierung gibt, als wir oft denken. Und zum Nachdenken darüber, wie man mit seinen Mitmenschen umgehen sollten, regt die Ausstellung ebenfalls an.Aus einem Lautsprecher erklingen Texte, die das Thema aufnehmen und zu dem Schluss kommen, dass alle Menschen letztendlich doch gleich sind. An einer Hör-Bar erzählen Betroffene beispielsweise davon, wie es sich anfühlt, als "anders" Aussehender gefragt zu werden: "Woher kommst du?"
Zur Ausstellungseröffnung am Tag der Menschenrechte hatte die Stadträtin Ayşegül Taş-Doğan eine Rede gehalten. "Kinder können Recht von Unrecht so toll unterscheiden und auch nur kleinste Nuancen von Rechtsverletzungen spüren. Ich wünschte, wir Erwachsenen würden viel öfter mit den Augen von Kindern sehen. Denn da wären wir in Sachen Menschenrechten sicherlich viel weiter, als wir es aktuell sind", so die Stadträtin. Laut ihr sind die Rechte aller Menschen "unveräußerlich, universell und unteilbar".
Menschenrechte auf der Welt
Sie erwähnte auch die Menschenrechtsverletzungen, die jeden Tag auf der Welt begangen werden. "Auch in vielen europäischen Staaten ist es nicht selbstverständlich, dass Menschen sich zum Protest versammeln können, ihre Regierungen kritisieren, in Alter und Krankheit sozial abgesichert sind, dass Kinder saubere Luft atmen und dass junge Menschen nach ihrer Ausbildung eine Arbeit finden. Das sollte uns in all der globalen Diskussion um Menschenrechte, immer wieder kritisch ins Bewusstsein rücken", so Taş-Doğan.Die Ausstellung "Mensch, du hast Recht(e)!" ist noch bis zum 18. Januar 2023 zu sehen. "Wir hoffen, dass sie auch hier bei uns in den kommenden sechs Wochen sich einer großen Resonanz erfreuen wird, und ganz viele Schulklassen, Jugendliche und auch natürliche Erwachsene erreichen wird. Tragen Sie mit dazu bei, dass ganz viele Kinder und Jugendliche dadurch angeregt und gestärkt werden, die Herausforderungen des Zusammenlebens in unserer pluralen Gesellschaft anzunehmen", so die Stadträtin.
Die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten zugänglich und im Eintrittspreis für das Wort-Museum enthalten. Schulklassen und Gruppen können unter der Nummer 06621/794890 oder per E-Mail an [email protected] Termine vereinbaren. Die Ausstellung wird für Kinder ab zwölf Jahren empfohlen.
Zwischenruf von Christopher Göbel: Ab wann fühle ich mich diskriminiert?
Wer mich kennt, weiß, dass ich akzentfreies Hochdeutsch spreche, in Bad Hersfeld aufgewachsen bin und seit ich in Deutschland lebe, die deutsche Staatsbürgerschaft habe.
Wer mich neu kennenlernt, könnte aufgrund meines Äußeren denken, dass das eben genannte nicht der Fall ist. Auch ich habe die Frage: "Woher kommst du?" schon sehr oft gehört. "Aus Bad Hersfeld", antworte ich dann meistens. Aber ich habe dann auch oft den Zusatz gehört: "Nein, ich meine ursprünglich".
Ja, ursprünglich … ich wurde adoptiert und bin mit etwa sechs Monaten aus Vietnam nach Bad Hersfeld gekommen. Und so sage ich es dann auch dem oder der Fragenden zumeist. Eigentlich ist mein "Ursprung" aber Bad Hersfeld. Denn als Baby kann man sich an nichts anderes erinnern. Ursprung und Geburtsort – für mich ist das ein Unterschied.
Ja, auch ich habe Rassismus erlebt. Heute weniger, aber in Kindheit und Jugend war das sehr präsent. "Ching-chang-chong", "Schlitzauge", "Fidschi" oder "Japs" waren da noch die harmloseren Bezeichnungen, die mir von anderen Kindern hinterhergerufen wurden. Etwa ab dem Erwachsenenalter habe ich mich damit abgefunden, dass das ab und zu passiert, weil ich anders aussehe. "Sie wissen es eben nicht besser", denke ich mir dann. Ja, ich hatte Angst, allein in die Stadt zu gehen, als die Neonazi-Szene sich in den 80er Jahren wieder ans Tageslicht traute. Auch meine Eltern hatten damals diese Befürchtungen.
Jede(r) definiert "Diskriminierung" für sich selbst
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Ich fühle mich nicht diskriminiert. Weder in meinem sozialen Umfeld noch, wenn ich irgendwo unterwegs bin. Aber ich kann auch verstehen, dass andere sich diskriminiert fühlen, wenn sie hören: "Du sprichst aber gut Deutsch", nur weil sie ein Kopftuch tragen oder dunklere Haut haben als der durchschnittliche Westeuropäer.Diskriminierung ist ein Thema, gegen das heute zum Glück immer mehr Menschen auf die Straßen gehen. Gute Beispiele sind für mich die CSDs, denn auch Homo- und Transphobie sind definitiv diskriminierend. Alles, was andere Menschen herabwürdigt, ist Diskriminierung.
Da sollte sich jeder einmal an die eigene Nase fassen, ob er oder sie nicht schon einmal diskriminierende Vorurteile im Kopf hatte. Ich nehme mich da gar nicht aus. Wichtig ist aber, Diskriminierung zu thematisieren und am besten gleich im Keim zu ersticken. Möglichst viele Menschen sollten sich die Ausstellung "Mensch, du hast Recht(e)" im "wortreich" in Bad Hersfeld anschauen, um ihre eigene bisherige Weltanschauung vielleicht in dem ein oder anderen Punkt zu überdenken. Diskriminierung ist leider allgegenwärtig, aber wir brauchen sie in unserer internationalen Gesellschaft nicht. (Christopher Göbel) +++