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Ein Kirtorfer bringt die Deutsche Fußballphilosophie nach Israel
15.12.22 - Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Der 59-jährige DFB-Ausbilder Michael Dörr aus Kirtorf-Lehrbach kann sehr viel erzählen, denn bei ihm sind es nicht nur normale Reisen, sondern Fußball-Lehrstunden, die national wie international "sein Ding" sind. Die jüngste 12-Tages-Tour führte ihn wieder nach Israel, bereits zum dritten Mal war er der dortigen Einladung des deutschen Sportwissenschaftlers Mark Wertheim gefolgt. Vor wenigen Tagen kehrte Dörr voller bewegender Eindrücke zurück.
Michael Dörr ist Fußball-Pädagoge durch und durch. Beruflich ist er selbständiger IT-Dozent in der Erwachsenenbildung, im Fußball besitzt er das DFB-Ausbilderzertifikat, die DFB Torwarttrainer-Lizenz für Leistungszentren, die DFB-A-Lizenz und ist "Life Kinetik® Trainer, DFB-Jugend-Scout und HFV-Lehrreferent. Einige Jahre war er im Leistungszentrum der Offenbacher Kickers tätig, in 2017 sogar dessen Leiter. Alles aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen.
Demotraining bei Maccabi Haifa Während seiner Tätigkeit beim OFC coachte er unter anderem Neal Wertheim. Mit dessen Vater Mark, der selbst als Sportwissenschaftler in Israel eine renommierte Fußball-Akademie leitet, entstand eine enge Freundschaft. "Ich fühle mich inzwischen schon fast wie ein Familienmitglied", sagt Dörr lachend. Wertheim lud Dörr wegen dessen Kooperation mit Prof. Dr. Schöllhorn, Entwickler des "differentiellen Lernens / Trainings", 2016 erstmals nach Israel ein. Gegenstand der aktuellen Reise nach Haifa zu Beginn der WM war die Praxis der "Deutschen Spielphilosophie 2.0", auch "Unser Weg" genannt. Spielfreude, Kreativität, Eigenverantwortlichkeit und die Entwicklung einer individuellen Trainerhandschrift benennt Dörr als charakteristische Merkmale.
Dörr ist im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS im Kirtorfer Sportlerheim in seinem Element, man könnte ihm stundenlang zuhören. "Besonders wenn ich bei Maccabi Haifa im dortigen Leistungszentrum und auch beim privaten Sport Club Carmel in Haifa bin, ist es sehr spannend. Maccabi Haifa hat ja in diesem Jahr an der Champions-League teilgenommen und seine U19 an der Youth League. Hier spielen alle Teams der CL Teilnehmer mit. In Haifa sind die Plätze hervorragend und die Trainer spitzen bei meinen Vorträgen und Demotrainings immer kräftig die Ohren. Nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft in Katar bin ich mir allerdings etwas "blöd" vorgekommen, denn all die Dinge, die das deutsche Team bei der WM hat vermissen lassen, sind eindeutig Gegenstand von "Unserem Weg". Da wird man natürlich angesprochen, was da los war, warum unsere DFB-Theorie und die gezeigte WM-Praxis der Nationalmannschaft schon wieder oder immer noch so weit auseinanderliegen. Die Richtigkeit der Philosophie an sich stand und steht ja außer Zweifel."
Dörrs Vorträge genießen übrigens in Israel eine derart große Wertschätzung und Aufmerksamkeit, dass sie sogar zu einem Fernsehauftritt beim Sportsender Kanal 5, vergleichbar mit der Sportschau, führten.
Osthessischer Partnerverein gesucht
Dörr: "Der Sport Club Carmel plant zeitnah eine Reise nach Deutschland. Dieser junge Club steckt voller Elan und Wissensdurst. Die Trainer und auch die Eltern wollen wissen, wie wir das in Deutschland machen. Als Reisetermin ist die Zeit vor Ostern angedacht. Als Unterbringungsort kommt möglicherweise der Hessische Turnverband in Alsfeld in Frage. Gerne würde der Sport Club Carmel eine Partnerschaft mit einem Club in Deutschland eingehen. Ich bin mir sicher, dass dieser Austausch für beide Seiten ein Gewinn werden könnte." Interessierte Vereine sollten sich bei Michael Dörr melden: [email protected].
Bewegte Familiengeschichte Dörr zum familiären Hintergrund seines Gastgebers: "Der Großvater von Mark Wertheim hatte in Frankfurt eine Nähmaschinenfabrik. Die Großeltern wurden in Ausschwitz umgebracht, Marks Eltern haben als Kinder Ausschwitz überlebt. Sie sind zunächst nach Israel ausgewandert, um später wieder zurück nach Deutschland zu kommen. Mark hat in Köln studiert und dabei seine Frau Tia, eine Israelin, kennengelernt, die ebenfalls dort studierte. Sie wurde vom Heimweh nach Israel geplagt. Alle ihre vier Kinder sind in Deutschland geboren, drei Mädels und dann noch der Sohn Neal. Er ist ein sehr guter Fußballer und absolviert gerade ein Probetraining bei einem Club der 1. Liga."
Zum dritten Mal war Dörr jetzt in Jerusalem - und er ist immer wieder begeistert von der Vielfalt der Wiege der Religionen. "Die Grabeskirche und die Klagemauer gehören dabei immer schon zu meinen Zielen in der Altstadt. Mark hatte mir in diesem Jahr eine Führung in Nazareth organisiert. Bei solchen Touren merkt man, wie wenig man doch über die Geschichte weiß. Die Menschen sind im Allgemeinen sehr freundlich und zuvorkommend."
Abschließend zeigt sich Dörr im O|N-Gespräch hoffnungsvoll: "Ich würde mich freuen, wenn das mit Carmel im Frühjahr klappen sollte. Und dann freue ich mich natürlich jetzt schon auf meine nächste Reise in das gelobte Land." (goa)+++