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Ein Jungstar am Pult, ein Zauberer am Cello beim hr-Sinfonieorchester-Konzert
15.01.23 - Das Konzert des hr-Sinfonieorchesters war großartig. Das außerordentlich klug zusammengestellte Programm bot einige musikalische Raritäten, einen großartigen Solisten und eine charismatische Dirigentin. Die unkonventionelle Programmauswahl stand zur Freude aller nicht für anstrengend, sondern für unterhaltsam und fröhlich.
Fanfaren und ein Zauberlehrling
Das erste Stück des Abends, die Fanfare aus "La Péri" von Paul Dukas, war so schnell vorbei, wie das einer Fanfare angemessen ist – aber das Ende überraschte das Publikum dann doch. Man hatte es sich gerade wohlig schön gemacht in dem satten Blechbläserklang, da war’s auch schon wieder vorbei.
Danach erklang Dukas‘ bekanntestes Stück "Der Zauberlehrling", das viele womöglich nicht aus dem Konzertsaal, sondern von Micky Maus her kennen. Das charakteristische Fagottmotiv ist rhythmisch und melodisch einprägsam, Kontrafagott, Bassklarinette und zum Schluss die Klarinetten greifen es auf. Das ist hocheffektive Programm-Musik und ein herrlicher Spaß fürs Publikum. Danach waren wir bereit für die beiden Perlen des Abends, die Cello-Konzerte von Honegger und Korngold.
Victor Julien-Lafferière – ein Meister am Cello
Honeggers 1929 geschriebenes Cellokonzert hat mit einem klassischen Solo-Konzert nichts mehr gemein. Honegger dazu: "Die höchste musikalische Form schwebt mir vor als ein Regenbogen, der aufsteigt und fällt. Die Hörer sollen sich durch die melodischen Linien oder die rhythmische Gliederung tragen lassen, ohne sich um anderes kümmern zu müssen". Victor Julien-Lafferière, trotz seiner jungen Jahre schon ein Meister seines Fachs, spielte versunken und konzentriert, energiegeladen und mit wunderbarem Ton. Sein Cello wurde vom venezianischen Geigenbauer Domenico Montagnana gebaut, dessen Instrumente sich bei Cellisten großer Beliebtheit erfreuen. Auch Yo Yo Ma, Heinrich Schiff, Mischa Maisky und Truls Mørk spielen Instrumente von Montagnana. Kein Wunder, der tiefe, samtweiche Ton verzaubert von der ersten Note an.
Nach der Pause spielte Julien-Lafferière das Cellokonzert von Erich Wolfgang Korngold. Dessen Anfänge in Wien waren klassisch mit der Oper "Die tote Stadt" (1920). Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten floh er in die USA und wurde dort zum gefragten Filmkomponisten, dessen Arbeit mit zwei Oscars belohnt wurde. Ohne Korngold wäre ein John Williams mit seinem Star-Wars-Soundtrack nicht vorstellbar. Sein 1946 komponiertes Cellokonzert dauert nur 15 Minuten und bedient sich musikalischen Materials, das er bereits in "Deception" mit Bette Davis verwendet hatte – einem Melodram um einen Cellospieler, einen Komponisten und dessen Schülerin. Die Musik ist emotional und expressiv, treibt energiegeladen vorwärts und begeistert schlichtweg. Das Stück ist ein kleines Kunstwerk – und wurde von Julien-Lafferiére einfühlsam interpretiert.
Kurt Weill gibt’s auch ohne Brecht
Weill konnte nicht nur "Dreigroschenoper" und "Mahagonny". Er ist einer der großen Theater-Innovatoren des 20. Jh., schrieb aber auch Orchesterwerke wie die Sinfonie Nr. 2. Bei der Premiere 1934 in Amsterdam war das Publikum begeistert, die Kritiker hingegen zerrissen das Werk – wobei wohl auch Antisemitismus eine Rolle spielte. Den ersten Satz kennzeichnen großen melodischen Bögen, der zweite und emotional dichteste ist ein Trauermarsch, der dritte ein ausgelassenes, aber ironisch eingefärbtes Rondo. Die Sinfonie ist fast eine Ikone der Moderne, innovativ und von starker Wirkung.
Ein Star am Dirigentenhimmel
Die 32-jährige Pariserin Marie Jaquot gilt als aufsteigender Stern am Dirigentenhimmel und arbeitet mit international renommierten Orchestern zusammen. Sie ist großartig, mitreißend und voll überbordender Lust am Musizieren. Das hr-Sinfonieorchester leitete sie souverän und vollkommen allürenfrei, mal mit, mal ohne Stab. Es war ein Vergnügen, ihr zuzuhören und zuzuschauen.
Dirigieren Frauen anders als Männer? Nein. Im Dirigat braucht es Empathie genauso wie Energie, von musikalischem Sachverstand und Führungsqualitäten mal ganz abgesehen. Im Fall von Marie Jacquot kommen Charme und Charisma dazu. Sie kommuniziert hellwach mit dem Orchester, dirigiert mit viel Körpersprache und hat dabei auch noch ein ansteckendes Lächeln im Gesicht. Kein Wunder, dass zum Konzertende nicht nur das Publikum, sondern auch die Sinfoniker begeistert waren. Unten wurde heftig geklatscht, oben begeistert getrampelt. Was für ein musikalischer Auftakt des noch jungen Jahres 2023!
P.S.: Auf Arte können sie das Konzert nachgenießen: https://www.arte.tv/de/videos/112728-000-A/marie-jacquot-dirigiert-weill-dukas-und-korngold/
(Jutta Hamberger)+++