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Der Friedrichsmarkt in Fulda wird 1933 in Adolf-Hitler-Platz umbenannt, heute heißt er „Unterm Heilig Kreuz“. - Foto: Fuldaer Geschichtsverein

REGION 90. Jahrestag der "Machtergreifung"

"Um die Nazis zu verstehen, muss man die breite Masse verstehen"

30.01.23 - Ein Gespräch mit Dr. Thomas Heiler, dem Leiter des städtischen Kulturamtes und des Stadtarchivs, ist wie eine Geschichtsstunde früher in der Schule - nur viel spannender.  Der 63-Jährige versteht es, Historie auf eine Art zu vermitteln, die dem Zuhörer das Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart vor Augen führt. Und er regt zum intensiven Nachdenken beispielsweise darüber an, was das Jahr 1923 mit 1933 zu tun hat.

Zum Hintergrund: Ursprünglich war geplant gewesen, mit dem Historiker ein Gespräch darüber zu führen, wie sich die politischen Dinge in Stadt und Kreis Fulda nach dem 30. Januar 1933 - dem Tag der vielfach so genannten "Machtergreifung" Hitlers - verändert haben. Doch Thomas Heiler formuliert eingangs eindringlich, dass ja nicht nur dieses Ereignis 90 Jahre zurückliege, sondern man sich auch die Geschehnisse vor 100 Jahren, 1923, vor Augen führen müsse.

1923 wurde die Basis gelegt 

Aktenstudium: Dr. Thomas Heiler (links) und O|N-Redakteur Bertram Lenz. ...Fotos: Johannes Heller / Magistratspressestelle Fulda

Seinem etwas hilflos blickenden Gegenüber hilft er rasch aus der Verlegenheit: "1923, am 8. November, war der Hitler-Ludendorff-Putsch. Damals besetzte Adolf Hitler mit Erich Ludendorff, Hermann Göring und anderen Nationalsozialisten den Bürgerbräukeller in München und verkündete, dass die ,nationale Revolution' ausgebrochen und die Reichsregierung der Weimarer Republik abgesetzt sei. Einen Tag später folgte der Sturm auf die Feldherrnhalle in München". Geschehnisse, die quasi das "Vorspiel" dafür waren, was sich zehn Jahre später ereignen sollte.

Die Fuldaer Zeitung verkündet am 31. Januar 1933, dass das "Kabinett Hitler" steht. ...

Der Irrtum der Deutschnationalen: Man dachte, Hitler könnte im Kabinett "eingegrenzt" ...

Die Geschichtswissenschaften sind sich uneins, wie der 30. Januar 1933 - der Tag, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg  Adolf Hitler zum  Reichskanzler ernannte - in der Rückschau zu werten sind: Machtergreifung, Machtübertragung. Machterschleichung oder Regierungsübernahme. Darauf Heiler: "In meinen Augen ist es eine Machtübernahme gewesen. Unter dem Deckmantel der Legalität fand die nationalsozialistische Revolution statt, die unmittelbar im Anschluss mit Gewalt und Drohungen einherging." Es sei dies ein Lehrstück, wie es gelingen kann, eine eigentlich absolute Mehrheit zu brechen. Auch der Versuch deutsch-nationaler Politiker um Vizekanzler Franz von Papen, mit ihrer Mehrheit im Kabinett die drei Nationalsozialisten Hitler, Frick und Göring "einzukesseln", war schnell zum Scheitern verurteilt.

Die ganze ungeheuerliche Entwicklung des Regimes auch in unserer Region wird deutlich, wenn der Historiker Ordner mit vergilbten Akten hervorholt, auf denen Zeugnis davon abgelegt wird, aus welchen Gründen demokratisch gewählte Kommunalpolitiker aus Magistrat und Stadtverordnetenversammlung ihr Mandat zurückgaben. Auf den vom damaligen Bürgermeister und NSDAP-Kreisleiter Karl Ehser vorformulierten Verzichtsbögen finden sich dann solche Formulierungen wie "im Interesse der eigenen Person" oder auch "zur Beruhigung der kommunalpolitischen Situation in Fulda". Nachrücker der Ausgeschiedenen waren allesamt Mitglieder der NSDAP, die - höflich formuliert - von Kommunalpolitik keinerlei Ahnung hatten. Dafür das richtige (braune) Parteibuch.  

Leiter von Kulturamt und Stadtarchiv: Dr. Thomas Heiler.

Blättern in den "Verzichtserklärungen" von demokratisch gewählten Magistratsmitgliedern ...

Binnen weniger Monate hatten sich die politischen Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt, waren auch in Stadt und Kreis Fulda die Nationalsozialisten im Sog und "unter dem Druck reichsweiter Ereignisse wie Reichstagsbrand und Ermächtigungsgesetz" an die Schalthebel der Macht gelangt. Auch die Landbevölkerung, die bis dato der Zentrumspartei gut 70 Prozent der Stimmen gegeben hatte, passte sich dem neuen System an, "auch wenn es hier und da Widerstand gab". Der kam zumeist von kirchlicher Seite und äußerte sich im Kleinen.

Die Biografien dazwischen

Heiler zufolge macht man es sich zu einfach, bei totalitären Systemen immer nur zwischen "Schwarz und Weiß", zwischen "Böse und Gut" zu unterscheiden. "Die Biografien dazwischen, das ist das Spannende. Denn um die Nazis zu verstehen, muss man die breite Masse verstehen. Und die hat viele Formen der Anpassung erprobt." Auch heute sei die Frage für jeden von uns interessant, wie man sich selbst gegenüber einem solchen Regime verhalten würde.   

Der ehemalige Oberbürgermeister Dr. Franz Danzebrink. Foto: O|N - Archiv

Abschließend kommt das Gespräch auf den von 1930 bis 1945 amtierenden Fuldaer Oberbürgermeister Dr. Franz Danzebrink, um dessen Person es in den letzten Monaten viele Diskussionen gegeben hatte. Dieser sei zu Beginn seiner Amtszeit ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten gewesen, hätte dann aber dem Machtwechsel des Regimes nach außen hin einen akzeptablen Anstrich gegeben und so eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Fulda gespielt. Danzebrink sei im Prinzip eine "tragische Figur", die sich für den falschen Weg entschieden und durch seine Anbiederung an das NS-System große Schuld auf sich geladen habe, auch wenn ihm eine wichtige Rolle bei der kampflosen Übergabe der Stadt im April 1945 zukomme. 

Generell plädiert Heiler dafür, im Unterricht geschichtliche Entwicklungen mit Personen wie Danzebrink und regionalen Themen zu besetzen, da dies für Schüler anschaulicher und greifbarer werde. Und davon ausgehend die Frage aufzuwerfen: "Wie hättest Du gehandelt?" (Bertram Lenz) +++


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