Archiv
Auf dem Bild zu sehen: Links der Pianist und rechts daneben das Quartett. - Foto: Sabine Abel

FULDA Aufregende Virtuosität

ARD Preisträgerkonzert: Virtuose Musiker im Fürstensaal

27.02.23 - Beethovens Hammerklaviersonate ist ein Solitär, der neben sich nichts anderes verträgt. In diesem Konzert aber folgten zwei Quartette von Haydn und Bartók. Musikalische Dramaturgie war das bewusst nicht, heute stand die aufregende Virtuosität der Preisträger im Vordergrund.

Grenzerfahrung für Pianist und Zuhörer

Über Beethovens Hammerklaviersonate sagt Igor Levit, sie sei für ihn "das allerbedeutendste Stück Klaviermusik — und zugleich die beglückendste und gefährlichste Reise auf der Rasierklinge, die ich kenne." Diese Sonate der Extreme ist eine der längsten der Musikgeschichte. Sie führt Künstler wie Zuhörer emotional durch alle Stimmungslagen. Lange galt sie als unspielbar, erst 10 Jahre nach Beethovens Tod wurde sie das erste Mal aufgeführt. Als Beethoven sie schrieb, war er in einer familiären und finanziellen Lebenskrise, dazu kam die fast vollständige Taubheit. Und dennoch – oder vielleicht deshalb – entstanden in diesen Lebensjahren Werke, die uns bis heute den Atem rauben: Die Hammerklaviersonate, die Diabelli-Variationen, die Missa Solemnis und die 9. Sinfonie – alles Werke von innovativer Sprengkraft.

Barbican Quartet, Streichquartett Fotos: Stadt Fulda

Die Sache mit dem autographen Tempo

Im Kopfsatz der Sonate schreibt Beethoven die Metronomzahl Halbe auf 138 als Tempo vor – das ist extrem schnell. Es gibt die Theorie, dass Beethoven sich bei dieser Angabe vielleicht geirrt hat. Das Metronom war damals etwas völlig Neues, ein ‚Bedienungsfehler‘ ist also gut vorstellbar. Womöglich hat er die Zahl unterhalb statt oberhalb des Gewichts abgelesen – das würde 12 Schläge langsamer bedeuten und wir wären bei 120. Schaut man sich die Diskographie an, stellt man fest: Fast niemand spielt das autographe Tempo, es galt lange Zeit auch als unspielbar. Die meisten Interpreten liegen zwischen 120 und 80. Sternath heute bewegte sich in Richtung autographes Tempo.

Großer Wagemut und großes Talent

Sich mit 22 Jahren an diese Höllensonate zu wagen, verlangt Mut und Risikobereitschaft. Man darf vermuten, Lukas Sternath folgt dem Motto seines Lehrers Igor Levit: "No fear!", oder hat sich Daniel Barenboims Satz zu Herzen genommen: "Die Hammerklaviersonate wird nicht leichter, wenn man sie nicht spielt."

In dieser Sonate bewegt man sich permanent zwischen Absturz und Ekstase. Technisch war Sternath ihr gewachsen, und schon das verdient allerhöchsten Respekt. Das Tempo hatte er für mein Gefühl zu hoch angesetzt, jedenfalls verwischten so manche Feinheiten gerade im Scherzo. Im Adagio sostenuto fühlt man sich eigentlich wie in der Weite des Ozeans, eingesogen von der Musik. Hier fehlte mir bei Sternath noch die interpretatorische Tiefe. Dafür braucht man wohl doch ein paar Lebens- und Künstlerjahre mehr. Aber: Wir erlebten einen großartigen jungen Künstler ganz am Anfang seiner Karriere, der das Publikum zu Beifallsstürmen hinriss. Ich möchte diese Sonate von ihm in ein paar Jahren sehr gern wieder hören!

Lukas Sternath

Kammermusik vom Allerfeinsten

Das Barbican Quartet hatte es nach der Pause nicht einfach, das Publikum emotional wieder abzuholen. In uns allen klang noch die schroffe Musikwelt Beethovens nach, und nun ging’s mit ‚Papa Haydn‘ weiter. Und doch gelang es diesen vier herausragenden Künstlern, uns ab dem ersten Ton zu verzaubern. Das fein austarierte Zusammenspiel von Amarins Wierdsma und Kate Maloney (Violine), Christoph Slencza (Viola) und Yoanna Prodanova (Cello) war ein Hochgenuss, genauso wie der satte, homogene Klang des Ensembles.

Das Streichquartett in C-Dur op. 20 No. 2 Hob. III,32 von 1772 ist ein frühes Werk, in dem Haydn nach Herzenslust mit der Form experimentierte. Es klingt also bei weitem weniger "klassisch", als man das erwartet, sondern ganz schön eigenwillig. Im Kopfsatz stellt das Cello das Thema vor, bevor die Violinen es aufgreifen. Nach dem zwischen opernhaften Passagen und Liedhaftigkeit schwingenden Adagio geht es attaca, also ohne Pause, mit dem Menuett weiter. Der letzte Satz ist eine Art Doppelfuge mit zwei Themen und Gegenthemen. Das Barbican entfaltete bei diesem Haydn eine wahre "Fülle des Wohllauts".

Bartók lotet in seinem Streichquartett No. 4 von 1928 alle Möglichkeiten aus, die Streichinstrumente bieten – mit und ohne Bogen, gestrichen und gezupft, geklopft, mit wilden Tonkaskaden, verlöschenden Akkorden, peitschenden Tönen, Chromatik und Diatonik, westliche Musik und Elemente der Volksmusik. Beim Barbican wirkte dieses technisch sehr anspruchsvolle Stück leicht und kraftvoll zugleich. Diesem Quartett zu lauschen ist wirklich ein Hochgenuss. Lang anhaltender Beifall war der Dank für die meisterhafte Leistung. (Jutta Hamberger)

Weiterführende Links Levit erklärt die Hammerklaviersonate: https://www.br-klassik.de/themen/beethoven-bewegt/hammerklaviersonate-igor-levit-32xbeethoven-podcast-anselm-cybinski-klaviersonate-100.html

Porträt Lukas Sternath anlässlich des ARD Musikwettbewerbs 2022: https://www.youtube.com/watch?v=9eory2qwII0

Lukas Sternath spielt beim ARD Musikwettbewerb das Klavierkonzert No. 4 in g-moll von Rachmaninow – und gewinnt den 1. Preis im Fach Klavier: https://www.youtube.com/watch?v=Xzhn19GNDps .

Zur Erforschung der mittleren Tempi in Beethoven Sonaten: https://www.simpk.de/forschung/themen/interpretationsforschung/tempomessungen-in-klaviersonaten-ludwig-van-beethovens.html?tx_gdcookieconsent_cookieconsent%5Baction%5D=consent&tx_gdcookieconsent_cookieconsent%5Bcontroller%5D=CookieConsent&cHash=5dbd040fa8271207b8a05ec64195e430#_Abschnitt5 . +++


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön