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Wie sehen Brünnel, Kinkel und Hofmann die grüne Bundespolitik?
11.03.23 - Seit Ende des Jahres 2021 sind Annalena Baerbock deutsche Außenministerin und Robert Habeck deutscher Wirtschaftsminister. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat kürzlich einen Frontalangriff gegen die Politik der beiden grünen Spitzenpolitiker gestartet. Die Grünen lebten in einer "Fantasie- und Verbotswelt", seien eine "reine Luxuspartei", so Söder gegenüber der Bild am Sonntag.
OSTHESSEN|NEWS hat die heimischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Kaya Kinkel (Hersfeld-Rotenburg), Silvia Brünnel und Markus Hofmann, in sieben Punkten zu aktuellen Themen und ihrer Meinung zu den Amtsführungen von Baerbock und Habeck befragt. Lesen Sie hier die ausführlichen Antworten.
1. Was halten Sie von Verboten von Öl- und Gasheizungen ab 2024? KINKEL: "Öl- und Gasheizungen sind nicht ab 2024 verboten. Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition auf Bundesebene ist festgeschrieben, dass jede neue eingebaute Heizung ab 1. Januar 2025 auf der Basis von 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden soll. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist jedoch schnelleres Handeln erforderlich. Deshalb ist geplant, dass diese Maßnahme bereits 2024 schrittweise in Kraft treten soll. Ein Verbot für Bestandsheizungen ist also nicht vorgesehen. Darüber hinaus gibt es Fördermittel für die energetische Sanierung, von der insbesondere kleine und mittlere Einkommensschichten profitieren sollen."
BRÜNNEL: "Wenn wir es wirklich ernst meinen mit der Energiewende, müssen wir Veränderungen schaffen – auch im Gebäudebestand – denn nur so können wir unsere Klimaschutzziele erreichen. Fossile Heizungen müssen bis 2045 ausgetauscht werden, bis dahin dürfen Öl- und Gasheizungen weiterhin betrieben werden. Der Gesetzesentwurf bezieht sich lediglich auf neu eingebaute Heizungen, die ab 2024 mit mindesten 65 Prozent erneuerbare Energien betrieben werden sollen. Generell müssen wir immer mitbedenken, dass die Kosten der Folgen des Klimawandels, wenn wir nicht handeln und Schritte in die Wege leiten, deutlich höher sind!"
HOFMANN: "Im Koalitionsvertrag der Ampel ist das Auslaufen von Öl- und Gasheizungen für 2025 fixiert. SPD und FDP stimmten bekanntlich zu. Im Zuge des Ukraine-Kriegs und der bis vor Kurzem katastrophalen Energieabhängigkeit von Russland in Bereich Gas, Öl und Kohle wurde dieses Ziel in Absprache mit der FDP und SPD auf 2024 vorverlegt. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen kommt uns mehrfach teuer zu stehen, wie wir es in den Wintermonaten zu spüren bekamen und immer noch spüren. Die Energiewende im Wärmesektor ist eine wichtige und große Aufgabe, für die wir gut ausgebildetes Fachpersonal und die Weiterentwicklung klimaschonender Techniken brauchen. Neue verbaute Heizungen sollen energieeffizient, klimaschonend und unabhängig von Öl und Gas sein."
2. Sollen ab 2035 Neuzulassungen von Diesel- und Benzin-Pkw verboten werden? KINKEL:Über die Hälfte der CO2 Emissionen kommen aus dem Verkehrsbereich, deshalb ist die Verkehrswende dringend notwendig. Dafür muss mehr Verkehr auf die Schiene verlagert und der ÖPNV attraktiver werden. Natürlich wird es aber auch weiterhin Individualverkehr geben. Klarheit für die Zukunft des Verbrenner-PKWs nach 2035 zu schaffen ist der richtige Weg der EU, damit sich alle darauf einstellen.
BRÜNNEL: "Fakt ist, dass wir auch 2022 die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele für den Verkehrssektor nicht einhalten konnten. Deshalb brauchen wir eine Verkehrswende, auch über deutsche Grenzen hinaus – mit einem Tempolimit und Alternativen zu Verbrennermotoren. Demzufolge braucht es eine Entscheidung auf europäischer Ebene, die für unsere Wirtschaft und unsere Bürger*innen Planungssicherheit schafft."
HOFMANN: "Der Plan der EU die Verbrenner-Technologie nur noch bis 2035 zu erlauben gibt der europäischen Automobilindustrie die Planungssicherheit, die sie dringend braucht, um auch weiterhin führend in Antriebstechnologien zu sein. Technologieoffenheit ist beim Individualverkehr ein unnötig teurer und ineffizienter Irrweg. Aktuell erzielen synthetische Kraftstoffe einen äußerst geringen energetischen Wirkungsgrad von nur 15-20 Prozent mit einem fünffach höheren Energieverbrauch im Vergleich zum Elektroauto. Auch Wasserstoff-Motoren sind im Vergleich zum direkt batteriebetrieben elektrischen Antrieb deutlich unterlegen. Allerdings sollten E-Fuels nicht per se als Technologie verteufelt werden, denn wir werden sie noch für den klimaneutralen Antrieb von großen Maschinen, wie Flugzeuge oder Schiffe, benötigen. Es ist aber die Aufgabe von vorausschauender Politik die richtigen Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Entscheidungen zu setzen. Die Fokussierung auf E-Mobilität im Individualverkehr ist dem Umwelt- und Klimaschutz sowie der Effizienz und somit der Physik geschuldet. Parteipolitische Ideologie darf hier keine Rolle spielen."
3. Wie stehen Sie zum Thema Strompreise nach Atom- und Kohleausstieg? KINKEL: Klar ist, dass wir nur durch die Energiewende von der fossilen Abhängigkeit wegkommen und unser Klima schützen können. Mit der Energiewende können wir einen dauerhaften Preisanstieg vermeiden, denn Wind und Sonne schicken keine Rechnung. Gas und Kohle hingegen müssen teuer importiert werden und haben massive Klimafolgekosten. Bereits jetzt belaufen sich die Gesamtschäden durch Wetterextreme in Deutschland auf gut 145 Milliarden Euro. Experten zu Folge kann die Erderwärmung bis 2050 bis zu 900 Milliarden Euro volkswirtschaftliche Schäden verursachen, das sind über 10.000 Euro pro Person in Deutschland. Allein diese Zahlen zeigen, dass an der Energiewende kein Weg vorbeiführt.
BRÜNNEL: "Wir alle kennen die Folgen der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl und Fukushima– Atomkraft ist ein unbeherrschbares Sicherheitsrisiko und hinterlässt hochgiftige Abfälle und stellt uns immer wieder erneut vor die Frage der Endlagerung - daher fordern wir Grüne seit jeher einen Atomausstieg. Bis 2038 soll die Gewinnung der Stromversorgung durch Kohlekraftwerke Schritt für Schritt reduziert und so der CO2-Ausstoß durch die Verbrennung von Kohle erheblich reduziert werden. Um eine deutliche Erhöhung der Strompreise zu verhindern, sollen diese in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um so nötige Entlastungen für Bürger*innen und Gewerbe zu schaffen, denn es ist wichtig, dass auch weiterhin Strom für alle finanzierbar bleibt. Die ökologische Transformation wird nur im sozialverträglichen Kontext gelingen."
HOFMANN: "Es ist gut, dass die atomare Stromerzeugung in Deutschland in Kürze endet. Atomenergie ist die teuerste Form der Stromerzeugung und noch dazu die riskanteste. Die aktuell fallenden Strompreise zeigen den Erfolg von Robert Habecks intensiven Bemühungen zur Stabilisierung der Energieversorgung. Vorrangiges Ziel muss es jetzt sein, die Erneuerbaren so schnell wie möglich auszubauen und damit Strom klimaneutral und vor allem günstig zu erzeugen. Zugleich müssen aber auch der Netzausbau beschleunigt und Speichermöglichkeiten geschaffen werden. Jahrzehntelanger Stillstand muss aufgeholt werden. Damit die Verbraucherinnen und Verbraucher umfangreich von günstigem erneuerbaren Strom profitieren können, braucht es eine Änderung bei der Berechnung des Strompreises, so dass nicht die teuerste Stromerzeugung den Preis bestimmt. Atom- und Kohlestrom und langfristig auch Strom aus Erdgas können kein Bestandteil einer klimaneutralen, krisensicheren und bezahlbaren Stromversorgung sein."
4. Wie beurteilen Sie eine mögliche Anhebung der Steuer auf Fleisch auf 19 Prozent? KINKEL: Eine Anhebung der Steuer auf Fleisch ist von der Ampel-Koalition nicht geplant.
BRÜNNEL: "Massentierhaltung ist weder für Tier noch Klima gut. Dieses Bewusstsein ist auch in der Gesellschaft angekommen: Immer mehr Menschen begrüßen eine Reduzierung des Fleischkonsums oder verzichten ganz darauf. Die Ampelkoalition plant jedoch keine Anhebung der Steuer auf Fleisch, vielmehr gab es eine Studie der Universität Hamburg, die für Aufsehen sorgte: Laut dieser begrüßen 62 Prozent der Befragten eine höhere Steuer auf Fleisch, die dem Tierwohl zugutekommt. Generell braucht es aus meiner Sicht gesunde und bezahlbare Alternativen zu Fleischprodukten. "
HOFMANN: "Die Produktion und der Konsum von Fleisch haben weitreichende ökologische Folgen und sind viel zu selten Tierwohl-konform. Ich plädiere dafür, pflanzliche Produkte wie Gemüse und Obst von der Mehrwertsteuer zu befreien. Damit würden Verbraucherinnen und Verbraucher direkt an der Supermarktkasse entlastet und zum Kauf von gesunden Produkten angeregt. Neben dem Preis für Lebensmittel bewegt mich vor allem die Entlohnung von Landwirtinnen und Landwirten. Faire Preise für eine artgerechte Tierhaltung und eine umfangreiche Begleitung bei der Umstellung auf biologische Landwirtschaft sind für Bäuerinnen und Bauern der richtige Weg."
5. Sollten Kosten für Urlaub (z.B. durch Spritpreise, Flugsteuern etc.) höher werden? KINKEL: Die Erhöhung der alltäglichen Lebenshaltungskosten sind Folgen der Klima- und Energiekrise und stellt uns vor viele Herausforderungen. Die Bundesregierung wie auch wir als Land Hessen versuchen durch Förderungen und Wirtschaftshilfen dort einzugreifen und zu unterstützen, wo die Belastungen und Auswirkungen am größten sind. Der Einsatz von Alternativen zum CO2-intensiven Flugverkehr, wie Schnell- und Nachtzügen auf der Mittelstrecke und synthetischem Kerosin bei unvermeidlichen Flügen, muss schnell vorangetrieben werden.
BRÜNNEL: "Wichtig ist, Zugfahren attraktiv zu machen und so Alternativen zum Individualverkehr und Fliegen zu schaffen. Deshalb begrüße ich, dass der Fokus der Ampelregierung auf den Ausbau des Schienennetzes liegt. Flatrate-Tickets in Hessen sowie das künftige Deutschlandticket motivieren Menschen, das Auto stehen zu lassen und tragen somit wesentlich zur erfolgreichen Umsetzung der Verkehrswende bei."
HOFMANN: "Als Sprecher für Tourismus meiner Fraktion weiß ich um die Schönheit und Vielfältigkeit unseres eigenen Bundeslandes. Reisen in Hessen und in ganz Deutschland liegen im Trend und das ist auch gut so. Flugreisen zu Dumping-Preisen verschleiern die tatsächlichen ökologischen und ökonomischen Kosten. Ich ermutige alle Hessinnen und Hessen die Schönheiten vor der eigenen Haustür sowie die unzähligen Seen, Berge, Städte, Küsten und kulturellen Schätze Deutschlands zu bereisen und kennenzulernen."
6. Was sagen Sie zum Thema Elektro-Autos? KINKEL: Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs ist der Umstieg von Verbrenner-Motoren auf elektrisch angetriebene Fahrzeugen essenziell, um die CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren. Zusammen mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur, ausgestattet mit Strom aus Erneuerbaren Energien, ist Elektromobilität ein wichtiger Teil der Verkehrswende. Natürlich braucht diese Umstellung klare Rahmenbedingungen und es ist es unsere Aufgabe, diese zu schaffen.
BRÜNNEL: "Neben dem Ausbau des Schienenverkehrs muss daraufhin gearbeitet werden, Verbrennerfahrzeuge langfristig durch klimaschonendere Alternativen zu ersetzen. Die Ampel-Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität zu machen. Um Bürger*innen einen Anreiz zu geben, wird der Kauf von E-Autos mit einem Umweltbonus gefördert."
HOFMANN: "Das Elektro-Auto ist physikalisch die effizienteste Antriebsart. Automobilhersteller haben dies erkannt und setzen teils ausschließlich auf den Elektromotor. Alternative Antriebstechnologien wie Wasserstoff und E-Fuels sind ebenfalls Teil einer klimaneutralen Mobilität der Zukunft, allerdings nicht im Individualverkehr. Als "Champagner" unter den Energieträgern sind diese Produkte zu teuer, aufwendig und energiereich herzustellen. Für einen erfolgreichen Umstieg auf E-Mobilität muss die Ladeinfrastruktur flächendeckend, bedarfsgerecht und nutzerfreundlich ausgebaut werden. Die Bundesregierung hat mit einem Masterplan den Weg für den Ausbau der Ladeinfrastruktur freigemacht. Derzeit schrecken die hohen Anschaffungskosten eines Elektro-Autos ab. Sie werden erst preiswerter, wenn sich Hersteller allein auf diese eine Antriebsart konzentrieren können. Eine parallele Entwicklung von Verbrennern, wasserstoffbetriebenen, mit E-Fuels angetriebenen oder reinen Elektro-Pkw konterkariert die Preisgestaltung. Eine moderne Mobilität basiert aber auch auf dem strikten Ausbau des Nah- und Fernverkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Car-Sharing und einer verstärkten Förderung des Radverkehrs."
7. Inwieweit stimmen Sie persönlich mit Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie deren Amtsführungen und Plänen überein? KINKEL: In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass es einen Unterschied macht, wenn GRÜNE mit in der Bundesregierung sind. Wir haben keine Zeit, um noch länger zu warten und die dringenden Aufgaben dieser Zeit, nämlich das Bewältigen der Klimakrise und der sozialen Ungerechtigkeit weiter aufzuschieben. Wozu abwarten und nicht-handeln führt, sehen wir heute, denn die Versäumnisse der vergangenen 16 Jahre sind heute unsere größten Herausforderungen. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck, aber auch Cem Özdemir, Steffi Lemke und Lisa Paus haben wir vier Grüne Kabinettsmitglieder, die sich diesen drängenden Aufgaben mit Rückgrat und Mut stellen.
BRÜNNEL: "Wir müssen dem Klimawandel effektiv begegnen, da die bereits spürbaren Auswirkungen wie Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen verheerend sein werden. Deswegen ist es erforderlich, dass wir Abstriche in unserem Konsumverhalten und unserer Lebensweise machen und uns auf alternative, nachhaltige Lösungen konzentrieren. Es ist wichtig zu beachten, dass die Kosten der Anpassung an die Folgen des Klimawandels in der Zukunft weitaus höher sein werden als die Kosten der notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels heute. Daher begrüße ich den Kurs, den die Grünen auf Bundesebene verfolgen – sie legen nicht nur einen Fokus auf Klimaschutz, sondern setzen sich auch dafür ein, damit die Welt für die kommenden Generationen lebenswert bleibt."
HOFMANN: "Robert Habeck hat vergangenes Jahr Herausragendes geleistet: Mit großen Anstrengungen und situationsgerechten Kompromissen hat er Deutschland durch einen kritischen Winter gebracht. Drohende Blackouts blieben aus, Unternehmen konnten ihre Produktion aufrechthalten und Bürgerinnen und Bürger mussten nicht in ihren Wohnungen frieren. Seine Fokussierung auf weitmöglichste Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und die Transformation der Wirtschaft unterstützte ich ausdrücklich. Annalena Baerbock hat gleichfalls Großes geleistet: In Zeiten, in denen in Europa wieder Krieg herrscht und wir um unser friedvolles Miteinander fürchten müssen, hat sie besonnen und souverän gehandelt. Mit dem Credo einer feministischen Außenpolitik rücken erstmals Frauen und Kinder in den Fokus für mehr Geschlechtergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe." (cdg) +++