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"Sommernachtsträumer" spielen von Identität, Geschlechtlichkeit und der Liebe
18.03.23 - "Die Sommernachtsträumer" sind inzwischen ein Begriff in Bad Hersfeld. 2019 spielten sie das letzte Stück vor großem Publikum, heute - vier Jahre später - war es endlich wieder soweit. "Der Streit" von Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux stand am Freitagmorgen auf dem Programm in der Probenhalle der Bad Hersfelder Festspiele. Eine zweite Aufführung folgt am Abend.
"Ich bin froh, dass es den Verein Sommernachtsträumer gibt", sagte Bürgermeisterin Anke Hofmann zur Eröffnung. "Der Streit" wurde nämlich innerhalb der "Kleinen Festspiele", die von der Stadt organisiert werden, aufgeführt. "Mein großer Respekt gilt allen Mitwirkenden", fügte Jutta Hendler vom Fachbereich Generationen hinzu. Mit dem Hobby Theaterspielen können man viel über das Leben lernen. "Es ist toll, dass in der Festspielstadt junge Talente gefördert werden". Und das ist bei den "Sommernachtsträumern" auch so. Denn bis auf zwei Ausnahmen ist keiner ausgebildeter Schauspieler. Die meisten sind Jugendliche und junge Erwachsene, die noch zur Schule gehen oder studieren. Rund zweieinhalb Monate wurden für "Der Streit" geprobt.
Uraufführung in der Probenhalle
"Elijah Christen hat eine ganz eigene Fassung erarbeitet und somit seht Ihr heute eine Uraufführung", sagte Festspiel-Intendant Joern Hinkel zur Einführung. Er selbst habe Elijah Textfassung und Regie überlassen und sei nur dabei, weil dieser selbst eine Hauptrolle spiele. Zu den im 300 Jahre alten Stück von Mariveaux handelnden Personen haben die "Sommernachtsträumer" in Improvisationen zwei neue Rollen erfunden: Den Diener Hamo und die Person Nouel.Mariveaux hat sich bereits 1744 Gedanken darüber gemacht hatte, was es mit Männlein und Weiblein, Liebe, Treue und Sexualität auf sich hat. In "Der Streit" erschuf er eine kleine Welt, die an "Big Brother" oder auch "Das Experiment" erinnert: Vier Babys werden ihren Eltern entrissen und isoliert aufgezogen. Ihre Bezugspersonen sind ausschließlich die Pfleger Carise (Sieglinde Wenzel) und Mesrou (Joachim Götz). Und warum? Weil ein Prinz (Jerome Clemons) und seine Begleiterin Hermiane (Fay Dimmerling) sich nicht einig werden konnten, welches Geschlecht die Untreue in die Welt gebracht hat. Anhand ihrer Versuchspersonen wollen sie der Sache gemeinsam mit dem Diener Hamo (Jonas Bauer) auf den Grund gehen.
Die beiden Mädchen Eglé (Lara-Luisa Rühl) und Adine (Amelie Wischer) stehen dabei den beiden Jungen Azor (Christopher Seban) und Mesrin (Elijah Christen) gegenüber. Während es zunächst danach aussieht, als ob Eglé und Azor sowie Adine und Mesrin glückliche Paare seien, zeigt sich schnell, dass alle Isolation nichts nützt. Denn als Eglé und Mesrin zum ersten Mal aufeinandertreffen, knistert es ganz gewaltig. Und dem Zuschauer wird nicht offensichtlich, wer daran die Schuld hatte. Die eifersüchtige Adine und der ebenso verletzte Azor bleiben zunächst auf der Strecke.
Plötzlich wird eine neue Person eingeführt: "Ich bin ein Mann. So sagte man mir jedenfalls. Aber ich bin mir da nicht ganz sicher", sagt Nouel und freundet sich mit dem kreuzunglücklichen Azor an. Platonisch. Wahrscheinlich... Als dann noch mit Dina (Mira Reining) und Rousel (Lucca Samjouel Müller) ein augenscheinlich unzertrennliches Traumpaar auf der Bildfläche erscheint, kommt es zum Streit zwischen den anderen Protagonisten. Denn Hermiane will dem grausamen Treiben nicht mehr zusehen und verrät den Personen, welchem Experiment sie seit ihrer Geburt ausgesetzt waren. Chaos bricht aus. Und am Ende? Es ist gewiss nicht alles gut. Bis auf Azor und Nouel, die von Hermiane gerettet werden, sind alle wieder in ihren Zellen - oder einem ungewissen Schicksal überlassen. Denn die beiden sind die einzigen, die eine wahre Freundschaft geschlossen haben - und zwar bedingungslos.
Das Stück selbst war zwar laut einigen jugendlichen Zuschauern "etwas verwirrend", aber durch die Anhäufung von Klischees, Rollenbildern, aber auch non-binären Personen, homo- und heterosexueller Liebe bleibt am Ende eigentlich nur die Essenz: Jeder ist, wie er oder sie ist. Liebe, Treue, Männlichkeit, Weiblichkeit - es ist nicht vorauszuberechnen, was im Zusammenspiel der Menschen passieren wird.
Begeisterndes und fesselndes Spiel
Was die "Sommernachtsträumer" auf die Bühne gebracht haben und vor allem, auf welche Weise, ist begeisternd. Sie spielen ihre Rollen, die allen geradezu auf den Leib geschneidert wurden. Die Spielfreude war allen anzusehen und die rund 90 Minuten vergingen wie im Fluge. Das Bühnenbild mit einigen Käfigen, einer Tribüne einem Baum und einem See (Dietmar Wolf, Sieglinde Wenzel und Elijah Christen) bildet genau den kleinen Bereich ab, der den Protagonisten bisher zum Leben blieb. Und Äpfel spielen auch eine Rolle. Besser gesagt: Zank-Äpfel. Denn auch in der griechischen Mythologie hatte der Apfel der Göttin Eris den Trojanischen Krieg ausgelöst.
Zank und Streit und die Erkenntnis, dass wahre Freundschaft eigentlich nur außerhalb geschlechtlicher Schranken möglich ist, bleiben auf der Theaterbühne zurück. Das Stück wird am Abend noch einmal aufgeführt, ist aber bereits ausverkauft. Eine Umfrage unter den Zuschauern vor der Aufführung hatte übrigens mehrheitlich ergeben, dass die Untreue bei beiden Geschlechtern gleich ausgeprägt sei. (Christopher Göbel) +++