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Johann Christoph Rothes Matthäuspassion - wahre Schätze der Musikgeschichte
18.03.23 - Es war ein intimes Konzert im Hochchor des Doms – die Passionsgeschichte nach Matthäus. Weder den Komponisten Johann Christoph Rothe noch sein 1697 entstandenes Werk "Matthäuspassion" kennt man – ganz im Gegensatz zu Johann Sebastian Bachs berühmter "Matthäuspassion" aus dem Jahr 1727. 30 Jahre, zwischen denen musikalische Welten liegen.
Die älteste Passion aus Mitteldeutschland
Auf Domkapellmeister Huber ist Verlass – er findet immer wieder wahre Schätze in der Musikgeschichte. Das ermöglicht uns Zuhörern ein spannendes Eintauchen in Musikwelten, die uns weniger vertraut sind. Er schenkt uns so nicht nur das Hörerlebnis, sondern auch das Entdecken.Rothe kommt mit einem kleinen Orchester aus (2 Violinen, 4 Gamben und die Generalbass-Instrumente), dazu der Chor und die vier Solisten. Das Münchner Ensemble L’arpa festante ist als regelmäßiger Partner der Domchor-Konzerte ja quasi schon in Fulda eingebürgert, es begleitete die Capella Cathedralis und die Solisten mit warmem, sattem Klang auf Originalinstrumenten. Das Setting im Hochaltar schuf eine besonders intensive Atmosphäre. Man war sich in jeder Beziehung nah – und konnte sich so besonders gut auf die Musik einlassen.
Solisten und Chor Es ist auffallend, dass alle Solisten Solo-Arien singen, nur nicht der Bass – die Jesus-Stimme. Es sind wenige, aber sehr berührende musikalische Szenen, die Dominik Wörner mit Wucht und Tiefe gestaltet. Die Sopran-Arien – Ulrike Hofbauer war kurzfristig für die erkrankte Franziska Bobe eingesprungen – kommentieren die Handlung. Hofbauer hat eine wunderschöne Stimme, nur leider ist ihre Artikulation nicht sonderlich klar. Johannes Euler übernimmt als Counter die Partien von Judas und Petrus, also den Männern, die Jesus verraten. Eine schöne Stimme, die an diesem Abend etwas belegt klang, dafür angenehm klar in der Artikulation war. Aus dem Chor heraus übernehmen Mitglieder kleinere Rollen – allen voran die wunderbare Rebecca Göb im Sopran-Duett und als Frau des Pilatus, Constantin von Hertwig und Lukas Jünermann als Zeugen, Kilian Gottwald als Pilatus und Leonie Domesle als Magd.
Die Hauptrolle in Rothes Passion aber hat der Evangelist, der als Erzähler durch das Geschehen führt. Denn diese Passionsgeschichte ist Verkündigung, ist vertontes Evangelium – umso wichtiger ist es, dass man auch versteht. Es war ein Genuss, Sebastian Hübner zuzuhören – ein hervorragender Geschichtenerzähler mit glasklarer Artikulation und warmem, ausdrucksstarkem Tenor. Das ist vielleicht auch der größte Unterschied zu J. S. Bachs "Matthäuspassion", bei der sich die Musik emanzipiert hat, die emotionale Tiefe des Geschehens ausleuchtet und in der Solisten und Chor die zentralen Rollen haben.
Im Dienst des Evangeliums Bei Rothe stellt sich die Musik ganz in den Dienst des Evangeliums. Sie ist schlicht und doch von trauriger Schönheit, viel weniger komplex als bei Bach. Die Passionsgeschichte wird von zwei größeren Chören eingerahmt, sonst sind die Chöre meist auf eine Zeile beschränkt. Der Eingangschor "Herr Jesu Christ wahr‘ Mensch und Gott‘ ist eine Art Zusammenfassung des Geschehens, das dann in aller Ausführlichkeit erzählt wird. Die sich anschließende Sopran-Arie "Kommt, kommt, ihr Gott ergebnen Herzen" bestätigt und intensiviert das und setzt den Rahmen – wir sind in einer "hochbetrübten Zeit". Dann erst setzt das eigentliche Evangelium ein, mit seinem Wechsel aus Rezitativen, Chören und Arien. Das spirituelle Zentrum, der Höhepunkt, auf den alles zusteuert, ist der Choral "O Lamm Gottes unschuldig" – die Zäsur vor der Kreuzigung – noch heute nimmt dieses Lied eine zentrale Stellung in den Gottesdiensten der Karzeit ein.
Wenn Jesus am Kreuz mit den Worten "Mein Gott, warum hast Du mich verlassen" stirbt, wird die Stille dröhnend laut, nach einer Pause erst greift der Evangelist seinen Geschichtsfaden im "Es ist vollbracht" wieder auf, eine ergreifende Trauermusik, die von großer Betroffenheit kündet. Relativ unprätentiös wird die Geschichte bis zur Auferstehung dann abgespult, bevor ein großer Schluss-Chor die Passion mit viel Pathos und heiligem Ernst beschließt. Rothes Passion bringt uns musikalisch das Zeitalter des Hochbarock nahe – und eröffnet dadurch auch ein ganz neues Verständnis für Bachs Matthäuspassion, die man nach Rothe anders hören wird. Mit langanhaltendem Beifall wurden Chor, Orchester, Solisten und Domkapellmeister Huber bedacht – es war ein Konzert, das noch lange nachhallen wird. (Jutta Hamberger) +++