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Die Jugendlichen trugen Plakate mit den Namen und Schicksalen der deportierten Fuldaer Sinti und Roma durch die Straßen - Fotos: Rene Kunze

FULDA Fast 500.000 Opfer in Europa

Gedenkmarsch von Fuldaer Schülern für 118 deportierte Sinti und Roma

23.03.23 - Dorothea Niederhöfer, Hulda Reinhardt, Heinrich Delis - laut und deutlich klingen diese Namen am Mittwochnachmittag über den Bahnhofsvorplatz in Fulda. Morgen, am 23. März, vor 80 Jahren standen diese Menschen, genauer insgesamt 118 Sinti und Roma aus Fulda, an eben jenem Ort und warteten unter Zwang auf ihren Abstransport ins Ungewisse. Würden sie jemals wieder hierher zurückkehren? Ihre Familien verlieren? Von den Nazis getötet? An all ihre - teils bekannten, teils auch unbekannten - Schicksale erinnern einen Tag vor dem eigentlichen Gedenktag bei einem Schweige- und Gedenkmarsch die Schüler der Projektgruppe "Jüdisches Leben in Fulda" der Winfriedschule. 


Wie der genaue Marsch der Deportierten vor 80 Jahren aussah, ist nicht bekannt. Aber die Strecke, entlang derer die rund 40 Teilnehmer des Gedenkmarsches gehen, ist ein möglicher Weg, dem die Fuldaer Sinti und Roma gefolgt sein könnten. Vom ehemaligen Holzgarten des Städtischen Krankenhauses in der Buseckstraße, wo die Menschen vor ihrer Deportation gefangen gehalten wurden, geht es durch die Florengasse über den Buttermarkt und den Uniplatz bis zum Bahnhof. Zu Fuß, schweigend, mit Schildern, auf denen zwar nicht die Gesichter, dafür aber schwarz auf weiß und deutlich lesbar die Namen der 118 Opfer prangen. Die Jugendlichen der Projektgruppe möchten Aufmerksamkeit erregen und zum Nachdenken anregen - und das gelingt. Passanten bleiben stehen, fragen nach. Menschen sehen aus den Fenstern und folgen mit ihren Blicken gebannt dem Menschenzug. Die Stille ist ansteckend. 

20.000 Menschen allein in "Abschnitt B2E"

Lauter wird es erst am Bahnhofsplatz, wo die Jugendlichen aus den Erinnerungen einiger weniger Überlebender berichten und Fatima Stieb vom Hessischen Landesverband deutscher Sinti und Roma für die Nachfahren spricht. "Ich möchte den Menschen einen Raum in unseren Gedanken geben", sagt sie. Allein im Abschnitt B2E, dem damals sogenannten "Zigeunerlager" von Ausschwitz wurden rund 20.000 Sinti und Roma getötet. Überall in Hessen, Deutschland und Europa wurden Menschen deportiert, Familien auseinandergerissen. 


"Wenn man sich vorstellt, dass diese Menschen damals vielleicht die gleiche Strecke gelaufen sind, dabei aber vielleicht beschimpft oder mit Dingen beworfen wurden...", Schülerin Isabel Wirths ist im Gespräch mit O|N nach dem Gedenkmarsch das Unbehagen anzusehen. Und auch Mitschüler Johannes Matel fühlt besondere Verbundenheit mit den Opfern: "Das war eine ganz andere Erfahrung. Wer läuft sonst schweigend durch die Innenstadt? Wir möchten, dass diese Menschen nicht in Vergessenheit geraten."

"Ihr seid echte Vorbilder", lauten die Worte, die Magistratsmitglied und Projektkoordinator des "Welcome In Wohnzimmers" Fulda, Jochen Kohlert, an die Jugendlichen richtet. Sie und die anderen Projektteilnehmer sind aus eigenem Antrieb in der Arbeitsgemeinschaft, denn diese ist nicht etwa Teil des regulären Curriculums, sondern muss von den Schülern ganz aktiv gewählt werden. Seit etwa drei Jahren gibt es das Angebot an der Winfriedschule, davor wurde die AG seit 2011 an der Bardoschule angeboten. Teilnehmen dürfen alle interessierten Zehntklässler.


2024: Austausch mit Isreal

Einmal jährlich reisen sie für eine Woche in die Gedenkstätte Auschwitz, um dort die Biografien der Fuldaer Opfer zu recherchieren. Oftmals nehmen sie sie dann aber auch in Gedanken mit zurück nach Fulda. Im kommenden Jahr geht diese intensive Erfahrung sogar noch ein Stück weiter. "Erstmals wird im Februar 2024 eine Gruppe nach Isreal reisen", erklärt Lehrerin Anja Listmann, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Thorben Emmerich die AG leitet.

Seit Kurzem hat Fulda eine Partnerschaft mit einer Stadt dort und so wird den Jugendlichen hier ein Austausch mit israelischen Jugendlichen ermöglicht. Aktuell schreiben sie einander noch über Messengersysteme oder per E-Mail, aber schon im kommenden Frühjahr kommt es endlich zum realen Kennenlernen. Eine Woche lang erkunden dann die Fuldaer Schüler mit ihren Tauschpartnern Isreal, bevor diese dann auch - vorausschichtlich im Herbst - nach Fulda kommen. Nicht nur die Erinnerung an das jüdische Leben in Fulda wird somit durch die jungen Menschen und ihr Engagement aufrechterhalten, sondern auch in die Zukunft getragen und durch einen spannenden, kulturübergreifenden Austausch sogar noch ein wenig lebendiger. (Sabrina Ilona Teufel-Hesse) +++


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