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Der Fürstensaal – ein prachtvolles Ambiente für Literatur - auch am Mittwochabend wieder. - Fotos: Rene Kunze

FULDA Stefanie vor Schulte liest

Literatur im Stadtschloss: Ein interessant misslungener Zweitling

04.05.23 - Als Stefanie vor Schulte 2021 ihren ersten Roman "Junge mit schwarzem Hahn" veröffentlichte, wurde sie vom Literaturhaus der Stadt Hamburg mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet. Man durfte also gespannt darauf sein, wie die Autorin sich weiterentwickeln würde. Im September 2022 erschien ihr zweites Buch "Schlangen im Garten", aus dem sie am Mittwochabend in der Reihe "Literatur im Stadtschloss" las.

Stefanie vor Schulte las am Mittwochabend im Fuldaer Fürstensaal.

In seiner Begrüßung freute sich Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld nicht nur über den ersten Besuch Stefanie vor Schultes in Fulda, sondern auch darüber, dass trotz allerschönsten Maiwetters so viele Literaturfreunde den Weg in den Fürstensaal gefunden hatten. Unter ihnen auch Ingeborg Lubczyks Literaturkreis und der Malteser Kultur-Begleitdienst. Und er ging offensiv damit um, dass "Schlangen im Garten" keine guten Rezensionen erhalten hatte, wenn auch einige wohlwollende Stimmen aus Leserportalen. Ein kluger Schachzug, der dazu einlud, sich nun selbst seine Meinung zu bilden.

Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld bei der Begrüßung

Stefanie vor Schulte kurz vor ihrem Auftritt

Fuldas erste Bürgerin, Stadtverordnetenvorsteherin Margarete Hartmann und Jutta ...

Der Fürstensaal war wieder gut besucht

In einem Punkt möchte ich dem OB allerdings widersprechen: Das Thema Trauer ist keineswegs tabuisiert. Vom Bilder- bis zum Kinderbuch, vom Roman bis zum Sachbuch, vom Film bis zur TV-Serie findet man sehr unterschiedliche und ganz hervorragende Auseinandersetzungen mit Tod, existentiellem Verlust und Trauer. Auch in der Gesellschaft ist Trauer längst kein Tabu-Thema mehr.

"Ich bin mit Filmen aufgewachsen"

Sicher einer der interessantesten Momente des Abends war, wie Stefanie vor Schulte die Entstehungsgeschichte ihres Buchs beschrieb. "Ich bin mit Filmen aufgewachsen", erzählte sie, "vor allem mit Western, die ich mit meinem Vater zusammen anschaute. Im Western spielen Frauen keine Rolle." Es gäbe im Western zwar Claudia-Cardinale-Momente, sonst aber bleibe der eine Männerwelt. Sie habe interessiert, wie ein Buch anfangen müsste, das eine "unerzählte Frauenfigur" zum Thema macht. Eine Frau, die nichts geschrieben hat, nur ein wenig Tagebuch, vielleicht noch Einkaufs- und To-do-Listen. Was passiert mit den Übriggebliebenen, wenn sie weg ist? Das ist eine spannende Idee!

Die Liebe und Nähe zum Film merkt man im Buch immer wieder, denn zahlreiche Passagen wirken wie sehr ausführlich beschriebene Szenen in einem Fernsehspiel oder einer Serie. Einerseits spannend, andererseits und ehrlichgesagt zum Lesen auf Dauer ziemlich ermüdend. Sehend würde man das anders erfassen, mit den Personen spiegeln, die wiederum nicht ständig über sich reden lassen würden, sondern selbst mehr zu Wort kämen.

Jeder trauert für sich und anders

Um uns in die Figurenkonstellation der Trauerfamilie Mohn einzuführen, las vor Schulte Passagen, in denen jeweils eine von ihnen im Fokus stand. Es war nicht ganz einfach, ihr zuzuhören, denn sie las mit relativ monotoner Stimme, und die Mikrofonanlage im Fürstensaal tat ein Übriges und verschluckte viel. Gute Nachrichten: Die neue ist schon da und wird demnächst installiert! Wenn Sie nachlesen möchten: S. 5 f. (die Familie), S. 15 f. (Tochter Linne), S. 20 f. (Sohn Steve), S, 54 f., S. 94 f. und S. 134 (Trauerbegleiter Ginster), S. 39 f. (die Familie), S. 124 f. (Begegnungen mit anderen Außenseitern).

Das waren klug ausgewählte Passagen, die einen die Idee des Buchs verstehen ließen: Da trauert eine Familie, aber nicht so, wie ‚man‘ es ‚richtig‘ macht, und eckt deshalb dauernd an. Sie versucht, Alltag zu leben, schafft aber kaum mehr als eine Mimikry von Alltag. Deshalb schickt das Traueramt einen Trauerbegleiter, der dafür sorgen soll, dass die Mohns ihre Trauer zügig erledigen und wieder zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft werden. Dem Trauerbegleiter genau wie den Nachbarn und Bekannten der Familie fällt es schwer, zu akzeptieren, wie die Mohns trauern und wie jedes Familienmitglied seine eigenen Trauerrituale zelebriert. Manche davon sind einem näher, andere ferner. Dazu kommen die Einmischungen wohlmeinender Menschen, deren Motto lautet "ich will doch nur helfen" und die gerade deshalb stören. So weit, so gut und nachvollziehbar, aber eben auch nicht sonderlich besonders.

Interessant misslungen

Ich finde vor Schultes Buch misslungen, aber auf interessante Weise. Es ist nicht so, dass diese Autorin nicht grandiose Sätze formulieren könnte, die etwas aufspießen oder sich in den Gedanken festhaken. Dann aber kommen Binsen, die als kostbare Sentenzen verkauft werden. Stefanie vor Schulte findet immer wieder wortmächtige Bilder, dann aber verrutschen ihr die Metaphern. Ich finde es abgegriffen, dass sie die Dichotomie der Unperfekten und der Perfekten beinhart durchzieht – und gut sind, na klar, die Unperfekten, die Außenseiter.

Das, was im "Junge mit schwarzem Hahn" faszinierte, findet sich durchaus auch in ihrem zweiten Buch wieder. Leider aber findet sich noch viel mehr von dem, was schon im ersten Buch nervig und verschwurbelt daherkam. Ich schätze den Eskapismus dieses Buchs nicht, der als gefühlsseliges Heilmittel für alles herhalten soll. Ich empfinde das als, nun ja, unterkomplex. Schade. Auf sehr viel Leserliebe ist dieses Buch nirgends gestoßen, worauf die Absatzzahlen von "Schlangen im Garten" ebenso hindeuten wie der eher höfliche Schlussapplaus im Fürstensaal. Aufgeben werde ich die Autorin für mich aber nicht und hoffe auf ihr drittes Buch, an dem sie laut Oberbürgermeister schon schreibt. (Jutta Hamberger) +++


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