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Zwei Ausnahmekünstler, das Ensemble Babylon und Fuldas prachtvollster Saal - alles ist angerichtet für eine Welturaufführung. - Fotos: Martin Engel

FULDA Ungewöhnliches Kunstprojekt

Uraufführung im Fürstensaal: "Werkaktivierungen" von Walther und Quell

07.05.23 - "Was wir heute erleben, dürfte das spannendste und ungewöhnlichste Kunstprojekt des Fuldaer Kulturjahres 2023 sein", begrüßte Kulturamtsleiter Dr. Thomas Heiler stellvertretend für den verhinderten Oberbürgermeister das Publikum im Fürstensaal. "Und wenn Michael Quell und Franz Erhard Walther nicht so bescheiden wären, hätten Sie nicht eine Einladung mit dem Titel ‚Werkaktivierungen‘ erhalten, sondern eine mit dem Titel ‚Welturaufführung‘. Denn genau das wird jetzt stattfinden."

Kunst, die nicht ausschließt

Gespannt lauschende Zuhörer im Fürstensaal

Im Fürstensaal erinnerte nichts an die klassische Konzertbestuhlung mit Podium für die Künstler. Welche Kraft und Ausstrahlung dieser Saal hat, merkt man erst, wenn er nicht zugestellt ist mit Stühlen! In drei Sitzreihen saß das Publikum außen um eine freie Fläche herum. Das spiegelte den partizipativen Ansatz der Kunst Walthers, passte aber genauso zur Musik Quells. Und es sei ein gewollter Gegensatz zu den auf alle herabschauenden Fürstbischöfen und Fürstäbten, die aus ihrer Zeit heraus für eine exkludierende Kunst für nur wenige stehen. Walther wie Quell hätten sich bewusst von alten Bildern und Mustern abgekehrt und seien ihren Weg kompromisslos gegangen, so Dr. Heiler. Widerstände hätten sie genug erfahren, immer aber auch Unterstützung. Zwei, die ihr Potential von Anfang an erkannten und sie immer förderten, waren an diesem besonderen Abend dabei: Oberbürgermeister a. D. Dr. Wolfgang Hamberger (für Walther und Quell) und Kulturpreisträger Gisbert Seng (für Walther).

Man wäre gern Mäuschen gewesen bei jenem legendären Gespräch zwischen Franz Erhard Walther und Michael Quell im "Karpfen", bei dem sich diese beiden exzeptionellen Künstler die naheliegendste aller Fragen stellten: Warum eigentlich haben wir noch nie etwas zusammen gemacht, und wann genau ändern wir das? Das Kunstverständnis beider ähnelt sich, so entstand die Idee, Kunst und Musik nicht nacheinander oder nebeneinander oder sich verdoppelnd aufzuführen, sondern als substantielle Interaktion.

Der Fürstensaal – ganz ungewöhnlich vorbereitet für das Kunstereignis ...

Publikum

Oberbürgermeister a.D. Dr. Wolfgang Hamberger gehörte von Anfang an zu den Unterstützern ...

Susanne Walther

Michal Quell

Susanne Walther


Das Klangbild des Fürstensaals

Ein Raum ist nicht einfach ein Raum. Der spezifische Abdruck eines Raumes, seine Akustik und die Menschen darin seien zentral für die Kunst, erklärte Susanne Walther in ihrer Einführung ins Werk ihres Mannes. Als Beispiel nannte sie die ausgebrannte Kathedrale Notre Dame in Paris. Hier versuchen derzeit Experten, die unvergleichliche und jahrhundertealte Klanglandschaft wieder zum Leben zu erwecken (New York Times, 05.03.23: "The quest to restore Notre Dame’s glorious sound", https://www.nytimes.com/interactive/2023/03/03/magazine/notre-dame-cathedral-acoustics-sound.html?smid=nytcore-ios-share&referringSource=articleShare). Was für Notre Dame gelte, sei auf jeden Raum anwendbar. Und genauso seien Franz Erhard Walthers Werke auch von jedem Menschen aktivierbar. Seine Werkaktivierung "5 x 2 Holzblöcke" sei seit 1969 sechs Mal aufgeführt worden, darunter in New York, Bremerhaven, Hamburg und Paris – und heute in Fulda. Heute werde sie Kaspar Lehmann Walther aktivieren. Die zweite Werkaktivierung stammt aus dem Jahr 1982, sie werde von Franz Erhard Walther und Kaspar Lehmann Walther gemeinsam aktiviert. Erst durch die Aktivierung werde der Raum mehrdimensional erlebbar – tatsächlich, gedanklich und potentiell.

Publikum

Kulturamtsleiter Dr. Heiler begrüßt das Publikum zu einem Abend mit Uraufführung ...

Im Publikum war auch Domkapellmeister Franz Huber mit seiner Frau

Susanne Walther führt in die Werkaktivierungen ihres Mannes ein

Domkapellmeister Franz Huber mit seiner Frau

Walthers Werk entsteht in der Auseinandersetzung zwischen Werk und Betrachter – der dadurch zum Mitwirkenden wird. Jede Werkaktivierung ist also einzigartig und nicht wiederholbar. Auch Quells Stück "Anamorphosis II (Polymorphia) ist jedes Mal neu, anders und daher nie exakt reproduzierbar. Es wird in zwei Versionen gespielt. Die Musiker verändern keine Note und lassen auch keine weg, und doch ist die zweite Version völlig anders als die erste. Im Streichquartett Nr. 1 von 2022 verteilen sie sich im Raum und reagieren trotz der Entfernung so sensibel aufeinander, wie man das von Kammermusik kennt.

Dem Bremer Ensemble New Babylon unter Leitung von René Gulikers zuzuschauen und zuzuhören war ungemein faszinierend. New Babylon hat bereits mehr als 80 Uraufführungen zeitgenössischer Musik gespielt, die Musiker verdienen es, hier alle genannt zu werden: Isabelle Raphaelis (Flöte), Benjamin Fischer (Oboe), Martin Abendroth (Klarinette), Daria-Karmina Iossifova (Klavier), Hsin Lee (Schlagzeug), Marijke Tjoelker und Johannes Haase (Violine), Hannah Craib (Bratsche), Kyubin Pabiana Hwang (Cello).

Sich einlassen ist wichtiger als verstehen wollen

Einfach zu spielen sind Quells Stücke gewiss nicht, und die Instrumente werden noch dazu oft ganz anders gespielt als ‚gelernt‘ – etwa der Bogen längs am Cello entlang gestrichen, die Oboe ohne Mundstück, das Klavier mit Trommelschlegeln oder gleich auf den Klavierhämmerchen gespielt. Es sind Töne, Geräusche, Klänge, Sequenzen, und doch entstehen auch große Spannungsbögen. Mal sitzen die Musiker zusammen, mal bewegen sie sich im Raum, mal verteilen sie sich in unterschiedliche Ecken, manche laufen strümpfig durch den Fürstensaal. Das hat durchaus etwas Experimentelles – was kann ich mit Instrumenten anfangen, welche Klangfarben kann ich schaffen, wie verändert sich der Sound, wenn man Instrumente anders gruppiert, und wie kann ich den Klang fluid verändern?

Franz Erhard Walther und sein Sohn Kaspar Lehmann Walther

Susanne Walther

Publikum

Michael Quell erklärt sein Werk Anamorphosis II (Polymorphia)

Publikum

Ich merkte schnell, dass ich aufhören musste, nachzudenken – Quells Hinweis, zunächst einmal ginge es um den sinnlichen Zugang, den man dann gern intellektuell vertiefen könne, war mein Schlüssel. Ist gegen alles Gewohnte musizieren oder die Werkaktivierung nicht so etwas wie der spielerische Zugang, den Kinder zur Welt wählen? Wenn sie fragend ausprobieren und den Dingen dann eine ganz eigene Bedeutung verleihen? Nein, es geht nicht um Holzblöcke oder Stangen im Raum oder um Neue Musik, sondern um das, was man daraus macht und was man darin sieht. Die Frage ist nicht, ob man etwas Bedeutungsvolles tut. Indem man etwas tut, definiert oder assoziiert, entsteht Bedeutung. Meine Bedeutung. Das Publikum im Fürstensaal war restlos begeistert und bedankte sich für den eindrucksvollen Abend mit Standing Ovations. (Jutta Hamberger) +++

Das Programm des Abends

Publikum

Oboist Benjamin Fischer vom Ensemble New Babylon

Klarinettistin Nayoung Cheong vom Ensemble New Babylon

Die beiden Geigerinnen des Ensembles – Marijke Tjoelker und Hannah Craib

Ensemble New Babylon

René Gulikers leitete das Ensemble New Babylon

New Babylon

Kaspar Lehmann Walther beginnt die erste Werkaktivierung mit 5x2 Holzblöcken

Publikum

Kaspar Lehmann Walther bei der ersten Werkaktivierung

Gebannt schauen alle zu – es war mucksmäuschenstill im Fürstensaal

Cellistin Kyubin Pabiana Hwang vom Ensemble New Babylon

Jutta Hamberger

Das Ensemble New Babylon

Publikum

Kaspar Lehmann Walther bei der ersten Werkaktivierung

Kaspar Lehmann Walther bei der ersten Werkaktivierung

Dr. Wolfgang und Jutta Hamberger, Kulturamtsleiter Dr. Heiler, Franz Erhard und Susanne Walther ...

Fotos: Jutta Hamberger

Franz Erhard und Kaspar Lehmann Walther bei der zweiten Werkaktivierung – schön zu sehen, wie ...


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