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Christof Becker dirigierte die Sinfoniker Rhein-Main und den Festspielchor - Fotos: Moritz Rös

BAD HERSFELD Operngala in der Stiftsruine

Der Mond kam erst, als alles vorbei war

02.09.23 - Es hätte alles so schön sein können – eine spätsommerliche Vollmondnacht in der Stiftsruine. Aber statt in sattes Mondlicht getaucht zu sein spielte im Orchester ein unerwünschtes Instrument mit – Regenpladderadatsch von der ersten bis zur letzten Minute.

Die Gegebenheiten wurden so zu einer echten Herausforderung für alle, und das war gewiss erschwerend an diesem Abend, der vielleicht auch deshalb nicht so recht zünden wollte. Der Regen erzwang den Umzug des Hersfelder Festspielchors an den Bühnenrand. Das hatte akustische Folgen. Die hohen und die tiefen Stimmen hatten weder physischen noch akustischen Kontakt, der Chor sang ins Orchester statt ins Publikum, und Dirigent Christof Becker musste sich immer wieder neu entscheiden, ob er links und rechts den Chor oder mittig die Sinfoniker Rhein-Main dirigieren wollte.

Kein Mond im siebten Haus!

Eigentlich ist so eine Operngala eine gemahte Wies’n. Denn das Programm besteht aus Hits, die auch ein weniger Opern-geschultes Publikum kennt. Mal davon abgesehen ist es auch spannend, eine Produktion zu sehen, bei der sich Profis und Laien zusammenfinden, nur wenig gemeinsame Probenzeit haben und dann eine Gala stemmen. Das verdient viel Anerkennung. Aufregend war es auch, zwei junge Sängerinnen zu erleben, die beide noch ganz am Anfang ihrer Karrieren stehen.

Der Hersfelder Festspielchor musste an den äußersten linken und rechten Rand der ...

Das Programm war ganz auf Mond gepolt und versprach eine Reise durch die Opernwelt von der Barockoper bis zur Moderne. Man kann ein Opernprogramm thematisch aufziehen, an diesem Abend nahm man dabei einige heftige musikalische Brüche in Kauf. Von Mozart ging’s zu den Romantikern, dann zurück zu Händel, wieder zu Mozart und nochmal zu den Romantikern. In der zweiten Programmhälfte kam dann erwartbar die große italienische Oper mit Verdi, dazu Offenbach, Berlioz und Humperndinck. Und wenn Lincke schon eine "Frau Luna" geschrieben hat, steht die natürlich auch auf dem Programm. Thematisch führte der Bogen laut Moderator Frederik Frank vom Nachtzauber zu den Nachtgedanken, aber musikalisch fehlte der Spannungsbogen – es blieb bei einer Nummernrevue.

Mozart – echt schwierig!

Es ist mutig, eine solche Gala mit Mozart zu beginnen. Denn Mozart ist himmelschön – und vertrackt. Warum? Weil man die Leichtigkeit, die Abgründigkeit und die Zartheit seiner Musik erst mal beherrschen muss. Donald Runnicles, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin genauso wie die Sopranistin Annette Dasch sind sich in diesem Punkt einig: Mozart zu singen sei fast die schwierigste Aufgabe – weil man sich hinter nichts verstecken könne. Bei Mozart hört man einfach alles, weil die Besetzung im Gegensatz etwa zu Verdi und erst recht Wagner klein, fast kammermusikalisch ist.

Moderator Frederik Frank stammt aus Fulda und führte durch den Abend

Sagen wir es so – Mozart war an diesem Abend niemand so recht gewachsen, auch wenn Judith Spießer für die Höllenarie aus der "Zauberflöte" viel Applaus bekam (ja, sie kann das dreigestrichene f!). Die Sinfoniker Rhein-Main spielten die Ouvertüre der Oper mit zu wenig Phrasierung und eher verwaschen, und Wouterses Sarastro entfaltete nie die Doppelbödigkeit, die dieser Rolle innewohnt. Auch wenn Frederik Frank uns glauben machen wollte, hier kämpften das Dunkle und Böse gegen das Helle und Gute, so simplex ist es bei Mozart nie. Nicht vergessen: Der Priester Sarastro ist ein Entführer, und die rachsüchtige Königin auch eine liebende Mutter, der die Tochter entrissen wurde. Mozarts Figuren sind keine Abziehbilder, sondern immer komplex – und zutiefst menschlich.

Oh, Barock!

Es folgte ein kleiner Händel-Block. Die Mezzosopranistin Vero Miller sang ein hinreißendes "Dopo notte" (Ariodante), mit herrlichem Timbre, viel Bühnenpräsenz und Dramatik. Da bekam man sofort Lust, noch viel mehr von ihr zu hören. Und ja, ich gestehe es gern, diese Arie ist eines meiner Lieblingsstücke von Händel, das ich in unzähligen Aufnahmen von Bartoli und Kirchschlager bis Bostridge und Fagioli besitze. Später an diesem Abend zeigte Miller mit der Gretchen-Arie "D’amour l’ardente" aus Berlioz‘ "La damnation de Faust" noch eine andere Seite von sich – zart, lyrisch und innig. Hinreißend.

Es folgten "How engaging" (Semele), in dem der Chor leider arg blass blieb, und dann "Oh sleep", das berückende Lied aller Schlaflosen (Semele), dem Judith Spießer nicht ganz so viel Schmelz verlieh, wie dieses wunderbare Stück verdient hätte.

Ah, Verdi!

Keine Opern-Gala kommt ohne Verdi-Gassenhauer aus. Natürlich erklang "Va pensiero" (Nabucco) – der berühmte Gefangenen-Chor, der längst die inoffizielle italienische Landeshymne ist. Erinnern Sie sich an "Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin"? Da gibt es diese herrliche Szene in der Mailänder Scala, als im Parkett nur Dienstboten sitzen, weil die Adligen den Kaiser brüskieren. Als das Kaiserpaar seine Loge betritt, erklingt "Va pensiero" – inbrünstig und leidenschaftlich. Da bekommt man Gänsehaut. In einer Opern-Gala sollte dieser Chor eigentlich für standing ovations oder mindestens Mitsingen sorgen, davon waren wir hier aber weit entfernt.

Sopranistin Judith Spießer (links) und Mezzosopranistin Vero Miller (rechts) in ...

Vero Miller – eine Entdeckung. Die junge Mezzosopranistin überzeugte mit einer ...

Nico Wouterse war exzellent in der Arie "Oh chi piange?" des Hohepriesters Zaccharias (Nabucco), und Judith Spießer sorgte mit dem unsterblichen "Caro nome" (Rigoletto) für einen weiteren Höhepunkt des Abends. Sie sang diese anspruchsvolle Koloraturarie mit viel Tiefe und Ergriffenheit und ging ganz auf in der Liebesekstase der jungen Gilda. Mir scheint, sie ist im Koloraturfach stärker als im lyrischen – aber das kann alles noch werden, denn Judith Spießer hat den allergrößten Teil ihrer Karriere noch vor sich.

Was bleibt als Fazit dieser Opern-Gala? Ich zitiere Mark Twain: "Jeder Mensch ist wie ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt." Der Mond jedenfalls war dann auf der Heimfahrt groß und leuchtend zu bestaunen und setzte so seinen ganz eigenen Schlusspunkt unter diesen Abend, der mit viel freundlichem Beifall bedacht wurde. (Jutta Hamberger) +++

Nico Wouterse, der niederländische Baßbariton war im italienischen Fach stärker als bei den ...


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