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Historiker Pater Damian über "die Bettelbrüder vom Frauenberg"
26.09.23 - Zum Fest des Heiligen Antonius wurden Wolle und Butter erbettelt, Winterweizen nach Allerheiligen, geräuchertes Fleisch nach dem Fest der Gottesmutter und Kerzen im Advent: Wenn die Franziskaner vom Frauenberg einst zu Fuß, mit Weidenkorb und Handwagen zu ihren Betteltouren in die Region aufbrachen, dann verlief das sehr generalstabsmäßig. Auf ihren Rundreisen sollen sie sogar die ein oder andere Ehe gestiftet haben.
Über die Tradition der Bettelbrüder, über das sogenannte Terminieren, referierte der Historiker Pater Dr. Damian Bieger ofm aus Dortmund. Im vollbesetzten Refektorium des Klosters Frauenberg sprach er auf Einladung der Franziskaner und dem Fuldaer Geschichtsverein vor mehr als 160 Zuhörern beim 2. Frauenberger Klostergespräch. Sein Fazit: "Beim Terminieren ging es im Tiefsten nicht um materielle Dinge, sondern um eine Beziehungsgeschichte." Denn die Franziskaner, so Pater Damian, pflegten auf ihren Touren, die sie in viele Orte im Umkreis von bis zu 60 Kilometer um den Frauenberg führten, ihre Kontakte zu den Menschen der Region.
Und sie übten eine nicht unwesentliche Kommunikationsrolle aus, so der Historiker: Während der Bauer an seinen Hof gebunden war, seien die bettelnden Franziskaner weit herumgekommen und hätten Neuigkeiten zwischen den einzelnen Orten verbreitet. "Es gibt die unausrottbare Geschichte, dass die Brüder dadurch nicht unwesentlich zum Abschluss von Ehen beigetragen hätten", sagte Pater Damian schmunzelnd. Anfang der 1950-er Jahre habe ein Klosterchronist noch davon gesprochen, dass sich im Terminieren das "wohltätige Herz" zeige, das das Fuldaer Land dem Frauenberg bewahrt habe.
Betteltouren endgültig Geschichte
30 Jahre später allerdings waren die jahrhundertealten Betteltouren der Franziskaner endgültig Geschichte. Heute erinnern sich nur noch die Älteren an die Franziskaner, die einst mit Weidenkorb und Handwagen durch die Lande zogen. Für die Herkunft des Begriffs Terminieren gibt es zwei mögliche Erklärungen: Zum einen könnte damit das Datum gemeint sein, an dem die Franziskaner loszogen, zum anderen könnte es auf die lateinische Übersetzung des Wortes Terminus mit "Grenze" zurückgehen. Denn es war den Brüdern stets nur gestattet, in einem ganz bestimmten, abgegrenzten Bereich zu sammeln.
Die Bettelpraxis der Franziskaner geht auf Franz von Assisi selber zurück, der zur Armut aufgerufen hatte und oft um das tägliche Brot habe betteln müssen. Die Franziskaner verstanden das Betteln als Lohn für ihre seelsorgerischen Dienste oder das Gebet für die Verstorbenen. Das Terminieren war in seiner gesamten Geschichte generalstabsmäßig geplant: So wurde nicht nur erfasst, was die Ordensbrüder wo bekamen, sondern auch, wo sie zu bestimmten Zeiten hingehen. So gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgelegte Terminzeiten: Im Winter wurde um Fleisch und Erbsen gebettelt, an Ostern um Eier, im Frühjahr um Butter, im Mai um Wolle und im Herbst um Korn, Kartoffeln, Kraut und Obst.
Es gab auch außergewöhnliche Gaben: Als die Franziskaner nach Fulda kamen, wurde ihnen ein Deputat an Brau- und Brennholz zugesagt – dabei ist bis heute nicht bekannt, dass auf dem Frauenberg jemals Bier gebraut worden wäre. Und als der Orden im Bistumsgebiet Würzburg eine Niederlassung eröffnete, stand ihnen jährlich ein Fuder Wein zu – das ist immerhin eine ganze Fuhre Weinfässer. Die Franziskaner gingen nicht nur selber von Tür zu Tür und sammelten die Gaben ein, sondern griffen auch auf die Dienste von Vertrauensleuten in den Ortschaften zurück – oder die Bauern brachten das Gesammelte selbst auf den Frauenberg oder gleich in die Mühle und Mosterei. Von dort wurde eine entsprechende Menge an Mehl und Most auf den Frauenberg geliefert.
Der Niedergang der Bettelpraxis zog sich über einen längeren Zeitraum hin und endete im Fuldaer Raum schließlich mit dem Tod des "letzten Terminarius" auf dem Frauenberg, Bruder Othmar Diller, im Jahr 1981. Pater Damian macht für das Auslaufen der Bettelpraxis eine Vielzahl an Gründen verantwortlich: "Ehrlicherweise muss man sagen, dass seitens der staatlichen Stellen das Betteln von Anfang an nie gerne gesehen wurde. Es war eher so, dass die Autoritäten es in Kauf nahmen", so der Historiker. Dahinter stand wohl auch die Sorge, "dass die lokalen Bauernschaften durch übermäßiges Betteln überfordert werden könnten".
Dabei war diese Sorge zumindest mit Blick auf den Frauenberg eher unbegründet, denn eine größere Gemeinschaft gab es dort die meiste Zeit nicht: 1624 dienten dort neun Ordensleute, 1686 waren es sieben Patres, im Jahr 1707 betrug die Konventsstärke 20 Bewohner, am Vorabend des Kulturkampfes 1868 waren es 14 Patres und 1887 nur noch fünf. Danach gab es allerdings einen ungeahnten Aufschwung: 1938 umfasste der Konvent auf dem Frauenberg 127 Personen. "Diese Zahl wurde dann nie wieder erreicht, sondern nahm stetig ab", konstatiert Pater Damian.
Ein weiterer Grund war, dass viele Organisationen das Sammeln von Spenden für sich entdeckten. An der Wende zum 20. Jahrhundert war sogar von einer "Anarchie des Sammelns" die Rede, dem der Staat mit Sammlungsverordnungen Herr zu werden versuchte. Mit mäßigem Erfolg. In den 1930-er Jahren wurde den Franziskanern bewusst, dass das Terminieren mehr und mehr unzeitgemäß geworden war.
Phasenweise kam es zur Überlastung
Auch Pater Damian spricht davon, dass es "phasenweise zu einer Überlastung der Menschen kam". Ein wenig skurril mutet ein weiterer Grund für den Niedergang des Terminierens ein: Den Franziskanern war es seit jeher verboten, Geldstücke auch nur anzufassen. Allerdings hatte sich das Wirtschaftssystem mittlerweile deutlich von Natural- hin zu Geldleistungen gewandelt. Das stellte die Franziskaner vor große Herausforderungen, wollten sie nicht gegen ihre eigenen Regeln verstoßen. Als das Terminieren 1981 endgültig zum Erliegen kam, entgingen den Franziskanern nicht nur Spenden, sondern den Menschen im Land das sehr geschätzte Gespräch mit einem Ordensmann. Vielleicht liegt darin ein Grund, warum die Menschen in Osthessen heute noch eine so enge Verbindung zum Frauenberg und seinen Franziskanern empfinden.Zu Beginn hatten Guardian Pater Cornelius und Gerhard Möller, Vorsitzender des Geschichtsvereins, die Zuhörer begrüßt und sich überwältigt, gezeigt von der großen Resonanz auf diesen Vortrag. "Ich denke, damit haben wir ins Schwarze getroffen", sagte Möller. In der Aussprache berichteten Zuhörer von ihren persönlichen Begegnungen mit den Franziskanern aus der Zeit, als das Terminieren noch eine gelebte Tradition war. (pm)+++