Archiv
Als sich die Niederlage abzeichnete: Dieter Schäfer gemeinsam mit seiner Frau am Wahlabend. - Fotos: Rene Kunze

LAUTERTAL O|N-Gespräch nach der Wahl-Niederlage

Bürgermeister Dieter Schäfer: "Mehr als überraschend und erniedrigend"

14.10.23 - Der Wahlabend des vergangenen 8. Oktober hielt neben der Tatsache, dass die Petersberger Bürgermeisterwahl in die Verlängerung geht, eine dicke Überraschung parat: In der Gemeinde Lautertal (Vogelsbergkreis) setzte sich Herausforderer Lukas Becker von der SPD relativ deutlich mit 60,08 Prozent gegen Amtsinhaber Dieter Schäfer (parteilos) durch. Der Noch-Verwaltungschef kam auf 39,92 Prozent der Stimmen.

Das Pikante daran: Der 26-jährige Becker hat unter Schäfer im Rathaus gelernt, dort seine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten absolviert und ist inzwischen fest angestellt. Diese Gesamtkonstellation hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, auch OSTHESSEN|NEWS hat darüber mehrfach berichtet.

Die O|N-Redaktion hat dem 58 Jahre alten Bürgermeister, der in seine zweite Amtszeit hatte gehen wollen, verschiedene Fragen mit der Bitte um Beantwortung zukommen lassen.

O|N: Ganz ehrlich: Hätten Sie den Wahlausgang am 8. Oktober erwartet?

Freude am Wahlgewinner Lukas Becker (links). Rechts Hans-Jürgen Herbst von der SPD. ...

Im kommenden Sommer wird es einen Wechsel im Rathaus von Lautertal geben. ...

Dieter Schäfer: Das Ergebnis war für mich mehr als überraschend und erniedrigend, zumal ich in der Bürgerschaft keine Unzufriedenheit ausmachen konnte und sich die Bilanz meiner ersten Amtszeit sicherlich sehen lassen kann. Unter meiner Regie wurden die Straßenbeiträge abgeschafft, ich habe den Bürgern durch meinen vehementen Einsatz, für eine kleine dörflich strukturierte Gemeinde sicher nicht erwartbar, den Glasfaseranschluss bis in jedes einzelne Haus beschert, wir haben Wohnbaugebiete und eine Gewerbegebietserweiterung grundstückstechnisch und planerisch auf den Weg gebracht und viele unserer innerörtlichen und außer örtlichen Straßentrassen sind in meiner Amtszeit erneuert worden. Dies sind nur die wichtigsten Errungenschaften.

Wahlprogramm fast identisch

Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die Wähler dies alles nicht honorieren und einem Modell "Vom Azubi zum Chef" folgen würden, zumal sich auch sein Wahlprogramm fast identisch mit meinem, den Fraktionen im Gemeindeparlament bereits von mir mit der Bitte um eine Unterstützung für eine weitere Amtszeit einen Monat vor Beckers Kandidatur zugestellten Programm deckte. 

O|N: Was sind Ihrer Ansicht die Hauptgründe dafür, dass Sie unterlegen gewesen sind?

Dieter Schäfer: Darüber grübele ich schon seit Sonntagabend. Die SPD ist hier in Lautertal sehr stark, wollte wohl unbedingt einen SPD-Kandidaten und hat dann auch sehr stark für ihren SPD-Kandidaten geworben. Mir hat ein Lautertaler Bürger am Wahlabend geschrieben: "Sehr schade, aber bei dieser großen Mobilmachung konntest Du ohne wirkliche Unterstützung nicht bestehen ..."

Mit der großen Mobilmachung meinte er die Riesenbanner an jedem Ortseingang, zwei Sorten Plakate (zu verschiedenen Zeitpunkten aufgehängt) sowie die Erstellung und Verteilung von zwei Flyern und die PowerPoint-Präsentation, die Lukas Becker mit Unterstützung der SPD und vielleicht auch der UBG platziert hat und wofür er sich ja auch jetzt noch einmal explizit bedankt hat.

Ich musste meinen Wahlkampf ohne Unterstützung gänzlich allein bestreiten. Plakate, Flyer und Einleger, meine PowerPoint-Präsentation sowie der Fotograf und alle Bewirtungskosten für die Bürgergespräche, all das habe ich selbst entwerfen bzw. organisieren, aufhängen, austragen und bezahlen müssen, ohne dass mich dabei jemand ideell beziehungsweise finanziell unterstützt hat. 

Zu dem Zeitpunkt, als mir die CDU ihre Zustimmung signalisierte, waren diese Dinge bereits alle gelaufen. Wäre diese Unterstützung bereits früher ausgesprochen worden, hätte ich vielleicht auch noch den Werbe- beziehungsweise Marketing-Apparat der CDU in Anspruch nehmen können und mein kompletter Wahlkampf wäre ähnlich professionell wie der von Lukas Becker gewesen. So war es von der gesamten Organisation wohl dann am Ende so, als wenn ein Amateurverein gegen einen Bundesligisten antritt.

"Rhetorisch sehr gewandt, mit Floskeln"

Der Wahlkampf zwischen dem "Chef" und seinem "Azubi" sorgte in Lautertal und weit über ...Fotos: Rene Kunze

Da strahlten noch beide: Bürgermeister Dieter Schäfer (rechts) und Azubi Lukas ...Foto: Bertram Lenz

Was mich umtreibt, ist natürlich, dass ein Slogan "Frischer Wind für Lautertal"  und seine Zusage, er wolle nach der Wahl seinen Wohnsitz nach Lautertal verlegen (zum Vergleich - ich wohne nur 11 Kilometer von Lautertal und bin in gut zehn Minuten hier, soweit bräuchte ich auch vom entlegensten Lautertaler Ortsteil bis ins Rathaus, das war auch nie Thema in den vergangenen Jahren) für ein solches Wahlergebnis neben einer Befürwortung eines Bürgerbusses und einer von der Politik bereits abgelehnten, weil für zu teuer befundenen Orts-App ausreichen. Ansonsten unterschieden sich unsere Wahlprogramme inhaltlich überhaupt nicht. Herr Becker arbeitete zugegebenermaßen rhetorisch sehr gewandt mit Floskeln  (Engagement für Vereine und Ehrenamt … oder ... für eine moderne bürgernahe und digitale Verwaltung sorgen - das tue ich von jeher und liefere konkrete Taten) und vagen Versprechungen wie eine Hausarzt- und Lebensmittelgrundversorgungsakquirierung, die für unsere 2.300 Einwohnergemeinde sehr wahrscheinlich illusorisch sind. Er ist schon lange Jahre für die SPD in der Politik unterwegs, war schon als Jugendlicher Vorsitzender des Kreisjugendparlaments und tritt als begnadeter Redner auf, was ihm sicherlich bei seinem Haustürwahlkampf einige Prozente gebracht haben dürfte.    

O|N: Wie lange werden Sie noch im Amt sein, welche Vorhaben wollen Sie bis dahin noch umsetzen?

Dieter Schäfer: Ich bin noch bis zum 30. Juni 2024 im Amt. Höchste Priorität hat für mich, aufgrund der hohen Kinderzahlen eine fünfte Kitagruppe (zunächst in Übergangsräumen, später in einem Kita-An- bzw. Neubau)  zu realisieren. Hierzu gilt es, schnellstmöglich gemeinsam mit der Evangelischen Kirchengemeinde als Träger die baulichen, personellen und vertraglichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Kinder alle bald betreut werden können. Ansonsten wird es sicher nicht langweilig, weil wir ja bereits viele Dinge auf den Weg gebracht haben, die zur Vollendung anstehen und für die es ständig dranzubleiben gilt, wie z.B. Realisierung einer Gewerbegebietserweiterung sowie Ausweisung von zwei Wohnbaugebieten sowie die Umsetzung von Wasserleitungs- und Kanalsanierungsarbeiten lt. den schon beschlossenen Konzepten.

O|N: Wie gestaltet sich bis zur Amtsübergabe das Verhältnis zu Lukas Becker?

Dieter Schäfer:  Trotz meiner menschlichen Enttäuschung über sein Vorgehen, insbesondere auch deswegen, weil wir für ihn nach seiner Ausbildung eigens eine Stelle eines Digitalisierungsbeauftragten (gemeinsam mit drei anderen Kommunen im Wege eines IKZ-Projekts) geschaffen haben, und er dies mit seinem Verhalten ad absurdum führt, gehen wir - so gut es geht - professionell und ohne Ressentiments mit der Situation um. Sämtliche Aufgaben, mit denen er sachgebietsmäßig betraut ist, wird er bis dahin in Abstimmung mit mir so bearbeiten, wie die letzten Monate auch.

O|N: Sind Sie enttäuscht über das Wahlverhalten der Lautertaler beziehungsweise über das Verhalten bestimmter Personengruppen?

Dieter Schäfer: Ja sehr. Ich hatte in den zurückliegenden 5 ¼ Jahren nie das Gefühl, hier nicht fest im Sattel zu sitzen und pflegte mit den Bürgern aller Altersschichten ein sehr gutes Miteinander ohne böse Worte. Ich hatte auch immer das Gefühl, dass meine parteipolitische Neutralität in der Bevölkerung sehr hoch geschätzt würde, da ich immer nur sach- und bürgerorientiert unterwegs war.  Wenn ich eine Personengruppe explizit benennen sollte, schmerzt mich insbesondere, dass ich für die Feuerwehren in fünf Jahren mit mannigfaltigen Investitionen das Größtmögliche getan habe, weil ich genau weiß, dass man mit Feuerwehren immer gut zusammenarbeiten sollte, da sie so viel ehrenamtliches Engagement zum Wohl der Gemeinde leisten, aber auch bei Wahlen ein großer Multiplikator sind. Dann kommt ein junger Azubi, tritt in die Tagesalarmbereitschaft der Feuerwehr bei und bringt die gesamten 160 Feuerwehrleute nur damit auf seine Seite, und keinen interessiert es mehr, wer ihnen fünf Jahre lang jeden Wunsch erfüllt hat. Das ist eigentlich die größte Enttäuschung.

O|N: Wie geht es für Sie ganz persönlich weiter? 

Dieter Schäfer:  Ich habe noch fast neun Monate Zeit, neue Betätigungsfelder zu sondieren und meine berufliche Zukunft neu zu ordnen. Da muss ich in den ersten Tagen nach der Wahl keine Schnellschüsse starten. (Bertram Lenz) +++

 

 


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Whatsapp
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön