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"Haushalte auf Reserve": Kommunen schlagen Alarm bei Flüchtlingsversorgung
01.11.23 - Im letzten Jahr haben deutsche Kommunen 1,2 Millionen Schutzsuchende aufgenommen. Die Zahlen ziehen weiter deutlich an, das Zugangsgeschehen nach Hessen liegt in der 1. Jahreshälfte 2023 ein Drittel über dem des Vorjahrs. Vor der Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November in Berlin fordert die Landesregierung gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden weitere finanzielle Unterstützung vom Bund, weil sonst die Integration und deren gesellschaftliche Akzeptanz gefährdet seien.
Die Hessische Landesregierung steht zur Thematik in einem stetigen Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden. Eine Video-Pressekonferenz am Mittwoch bot einen seltenen Einblick in die Gespräche - auch, um vor den Gesprächen am Montag in Berlin die eigene Position noch einmal medienwirksam zu verbreiten:
"Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten endlich. Mehr als 180 Menschen kommen pro Tag in Hessen an und werden auf die Kommunen verteilt - und die fluchtstärksten Monate stehen noch bevor. Wir sind uns unserer humanitären Verantwortung bewusst - aber inzwischen am Anschlag. Es mangelt an Wohnraum und Kinderbetreuung, aber auch an Behörden- und Schulkapazitäten. Das gefährdet auch die echte Integration sowie die gesellschaftliche Akzeptanz", warnte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. Angesichts der weiter stark anhaltenden Flüchtlingszahlen stellt das Land seinen Kommunen noch in 2023 zusätzliche 50 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zur Deckung flüchtlingsbezogener Ausgaben zur Verfügung.
"Realität im Bund nicht angekommen"
Allein in Fulda seien in den vergangenen Monaten 2.000 Menschen aufgenommen worden, berichtete Dr. Heiko Wingenfeld, Oberbürgermeister Fuldas und Präsident des Hessischen Städtetages. Die Realitäten vor Ort seien im Bund noch nicht angekommen, die notwendigen finanzielle Ressourcen stünden nicht vor Augen. Eine Einigung in der kommenden Woche, bei der der Bund die Kosten übernimmt, die vor Ort entstehen, sei dringend notwendig. "Die Kosten der Integration vor Ort steigen - ob Unterkünfte, Kitapersonalausstattung, Wohncontaineranschaffung. Dazu kommt die tarifliche Entwicklung im Personalbereich sowie der Fachkräftemangel", so Wingenfeld.
Gerade beim Thema Integrationssprachkurse bewege sich der Bund gar nicht und wolle sogar die Mittel reduzieren, erklärte Wingenfeld. Gleichzeitig müsse man die Anreize, nach Deutschland zu kommen, reduzieren und die Migrations-Anstrengungen auf europäischer Ebene harmonisieren. "Realistische Maßnahmen der Rückführung gehören auch zum Gelingen der Integrationsarbeit", so Wingenfeld.
"Länder können Einsparungen nicht kompensieren"
Auch der hessische Sozialminister Kai Klose (Bündnis 90/Die Grünen) beklagte den Rückzug des Bundes aus der konkreten Finanzierung vor Ort: "Wir erwarten Kürzungen im Bundeshaushalt von mehr als 70 Millionen Euro in 2024 bei Sozialmitteln - trotz steigender Zuwanderung, konkret bei der Migrationsberatung, den Erstorientierungskursen, der Jugendsozialarbeit sowie der Therapie psychisch belasteter Geflüchteter. Diese Einsparungen wird kein Land kompensieren können, der Bund muss sich an der Finanzierung mehr beteiligen."
Hessens Finanzminister Michael Boddenberg wies auf die Ergebnisse einer Studie der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister hin, die im Auftrag der Finanzministerkonferenz die asyl- und flüchtlingsbedingten Belastungen von Ländern und Kommunen ermittelt hat: "Danach sind Länder und Kommunen im Jahr 2022 mit 17,6 Milliarden Euro belastet und im Jahr 2023 mit 23,3 Milliarden Euro. Die Leistungen des Bundes betrugen in diesen Jahren jeweils knapp vier Milliarden Euro. Dieses Missverhältnis muss der Bund nun dringend ausgleichen."