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Chöre am Fuldaer Dom: Jubel der Chormusik im 19. Jahrhundert
11.11.23 - Jedes Jahr nutzen die Chöre am Fuldaer Dom in der Regel die Herbstzeit zu besonders intensiver Vorbereitung eines großen Chor-/Orchesterkonzertes. Auch für das Konzert am Freitagabend hat Domkapellmeister Franz-Peter Huber wieder Werke ausgesucht, die zwischen "spannend" und "absolut großartig" eingestuft werden können.
An erster Stelle des Konzerts wurde ein Werk für Solisten, Chor und klassisch-sinfonisches Orchester des Komponisten HUGO STAEHLE aufgeführt: Eine Vertonung des 24. Psalms. Zum Werden dieser Komposition müssen hier unbedingt ein paar Fakten genannt werden, die in Fulda sicherlich besonderes Interesse wecken. Hugo Staehle wird am 21. Juni 1826 in Fulda geboren! Mindestens bis zum sechsten Lebensjahr lebt er hier mit seinen Eltern und seinen Geschwistern, um dann durch den Beruf des Vaters (dieser war kurfürstlicher Ober-Leutnant) nach Kassel - dahin wird sein Vater abgeordnet - umzuziehen. Wahrscheinlich erhält Hugo Staehle in unserem Fuldaer Dom beim Domkantor Michael Henkel (1780-1851) als junger Knabe seinen ersten Musikunterricht. In Kassel setzt er seine musikalische Ausbildung bei Wilhelm Deichert fort, doch schon bald wird dieser Universitätsmusikdirektor in Marburg; darauf folgt der Unterricht bei Moritz Hauptmann, bis dieser ins Thomaskantorenamt in Leipzig berufen wird, und schließlich bei Louis Spohr, der 1822 Hofkapellmeister und später Generalmusikdirektor in Kassel wird. Zwischen Spohr und Staehle entwickelt sich eine fachlich und menschlich enge Beziehung. Als Hugo Staehle 13 Jahre alt ist, teilt er deshalb seinem Vater den festen Entschluss mit, Musiker werden zu wollen.
In dem umfangreichen kompositorischen Werk von Louis Spohr gibt es unter op.97a eine Vertonung des 24. Psalms für Chor, Klavier oder Orgel aus dem Jahr 1836. Ganz sicher hat Hugo Staehle dieses Werk seines Lehrers gut gekannt, denn "unsere" heutige Komposition des 24. Psalms zeigt in Form und Textwahl erstaunliche Ähnlichkeiten zum Werk seines "Meisters".
Nach eifriger Reisetätigkeit, vorwiegend immer wieder nach Leipzig, stirbt Staehle im Alter von 22 Jahren an einer "Hirnentzündung" am 29. Mai 1848 in Kassel. Sein Tod versetzt die ganze Stadt in Erschütterung und Trauer.
Dieser Psalmvertonung folgt in unserem Konzert die Aufführung der Sinfonie Nr.2, B-Dur, op.52 (Lobgesang) von FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY (1809-1847). 1840 begeht Deutschland die Vierhundertjahrfeier der Erfindung der Buchdruckkunst durch Johann Gutenberg. Die Stadt Leipzig, die zum Zentrum des Buchhandels wird, plant daher zahlreiche bedeutende Festlichkeiten. Der Komponist Lortzing schreibt dafür eine (inzwischen vergessene) Oper über Hans Sachs, und Mendelssohn vollendet dafür seine vierte große Sinfonie, den Lobgesang. Später gilt dieses Werk für Mendelssohn als seine zweite Sinfonie, weil er seine Erste ("Reformation") und Dritte ("Frühling") noch Revisionen unterziehen will. Den Lobgesang eröffnen drei Orchestersätze, denen ein breites Finale mit Chor, Solisten und Orchester folgt. Alle vertonten Texte stammen aus dem biblischen AltenTestament. Mendelssohn schreibt dazu an einen Freund, dass "Erst die Instrumente das Lob (Gottes) auf ihre Weise singen und dann der Chor und die Einzelstimmen". Die Uraufführung findet am 25. Juni 1840 in der Leipziger Thomaskirche unter Leitung von Mendelssohn statt. Die Anzahl der Teilnehmenden (Solisten, Chor und Orchester) beläuft sich dort auf 500! Sein ganzes Werk beschreibt Mendelssohn als Symphonie-Kantate. Für eine nachfolgende Aufführung in Birmingham wünscht er sich den Titel Song of Praise. (pm) +++