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"Gott so relevant wie der Yeti": Religionsstudie liefert ernüchternde Ergebnisse
16.11.23 - Alle zehn Jahre untersucht die evangelische Kirche, wie die Deutschen zu Religion und Kirche stehen. In diesem Jahr wurden neben den Konfessionslosen zum ersten Mal auch Katholiken befragt. Die Ergebnisse sind ernüchternd - selbst für die von Krisen geschüttelten Kirchen.
Marvin Lange ist stellvertretender Dekan im evangelischen Kirchenkreis Fulda. Die 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, kurz KMU, liegt in seinem Büro im Bonhoefferhaus auf dem Schreibtisch. Die KMUs sind seit 1972 Indikatoren für die gesellschaftliche Großwetterlage, was Religiosität und Säkularität betrifft. Schenken die Menschen den Kirchen Vertrauen, welchen Mehrwert haben Kirchen für die Gesellschaft? "Früher hieß es immer: Wir sind zwar keine Kirchenmitglieder - aber glauben tun wir doch. Das ist dieses Mal anders. Offensiv säkulare Menschen, beinahe Religionsgegner, sind laut Untersuchung inzwischen bei mehr als 50 Prozent. Die haben nicht nur mit Religion nichts mehr am Hut, sondern mit dem Glauben als solchem."
Mission ohne Feuer und Schwert
Auf der vergangenen Landesgartenschau in Fulda war die Evangelische Kirche mit vielfältigen Aktionen präsent - glaubensferne Menschen würden aber durch etablierte Formate wie Gottesdienste überhaupt nicht mehr angesprochen werden, meint Lange: "Wenn das, was wir predigen, überhaupt nicht mehr ankommt, weil das Wort 'Gott' ungefähr so relevant ist wie 'Yeti' oder 'Weihnachtsmann', werden wir uns komplett im Bereich Mission aufstellen müssen. So wie vor 1.200 Jahren die Germanen missioniert wurden - nur hoffentlich ohne Feuer und Schwert, aber mit Überzeugung, Vernunft und Herz."
Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, sieht die Ergebnisse als Handlungsaufforderung in Sachen Veränderung: "Die Ergebnisse sind ernüchternd, sie helfen uns aber auch dabei, Kirche der Zukunft zu gestalten. Es gibt nach wie vor Erwartungen an uns, die wir ernst nehmen und die uns Mut machen: in der religiösen Kommunikation, aber auch im Bereich des Sozialen, im Einsatz etwa für Geflüchtete oder gegen den Klimawandel. Letztlich geht es um Vertrauen in Gott, nicht in die Institution Kirche. Sie hat die Aufgabe, Begegnung mit dem Evangelium in Wort und Tat zu ermöglichen. Das tun wir bei aller Veränderung verlässlich und treu zu unserem Auftrag. Wir werden auch weiterhin von unserem Glauben erzählen, Menschen durchs Leben begleiten und Sorgenetze knüpfen."
"Ergebnisse in ihrer Deutlichkeit erschreckend"
Erstmals ist an dieser repräsentativen Erhebung der Evangelischen Kirche auch die Katholische Kirche als Juniorpartner beteiligt: Die Deutsche Bischofskonferenz hat die Erhebung durch fachliche Expertise und finanzielle Mittel unterstützt. Aufgrund eines neuen Studiendesigns lassen sich nun auch Rückschlüsse für die Katholische Kirche ziehen. Das Bistum Fulda findet klare Worte: "Nach erster Sichtung und Einschätzung sind die Zahlen und Ergebnisse der Untersuchung in ihrer Deutlichkeit erschreckend. In der Grund-Tendenz waren sie aber absehbar: Es ist schon seit einigen Jahren ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dass die Bindungskräfte relevanter Gruppen, Kräfte und Initiativen nachlassen. Das betrifft die großen Kirchen ebenso wie etwa Parteien, Verbände, Gewerkschaften oder Vereine. Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge und fragen uns, welche Auswirkungen es auf das Zusammenleben in unserer Gesellschaft hat, wenn die Bedeutung dieser traditionellen Wertegemeinschaften abnimmt."
Sehen Sie im Video, wie die Osthessen zum Thema Kirche und Religion stehen. Weitere Informationen zur Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung unter https://kmu.ekd.de/ (mau) +++