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Klare Worte des Joseph "Joschka" Fischer - Dieser Typus fehlt unserem Land
04.12.23 - Er war einst Straßenkämpfer, Bürgerschreck, grüner Umweltminister in Hessen, grüner Bundesaußenminister und Vizekanzler unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder - und ist heute eine Persönlichkeit, die man gerne als "elder statesman" bezeichnet: Der inzwischen 75-jährige Joseph Fischer, gerne auch "Joschka" genannt.
Dass der von revolutionärem Geist Getriebene einst bei Hausbesetzungen und diversen Demos in Frankfurt Steine gegen Polizisten geworfen hat, wird heute gerne als "Jugendsünde" abgetan. In der Tat hat Fischer einen beeindruckenden Wandel bei seinem "Marsch durch die Institutionen" hingelegt. Mitunter meldet er sich zu Wort, und was er dann äußert, lässt Bedauern darüber aufkommen, dass er sich - bis auf Vorträge, die er sich gut entlohnen lässt - aufs politische Altenteil zurückgezogen hat.
Denn der einst als "Turnschuhminister" belächelte Grüne hat bereits früh politische Naivität abgelegt und sich der Realität gestellt. Weitsichtig hat er an diesem Wochenende einmal mehr den Finger in die Wunde gelegt und in einem Interview mit "Zeit Online" Europa zur Aufrüstung aufgefordert. "Wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen", so Fischer. Zwar gefalle ihm der Gedanke "überhaupt nicht", aber es führe kein Weg daran vorbei: "Solange wir einen Nachbarn Russland haben, der der imperialen Ideologie Putins folgt, können wir nicht darauf verzichten, dieses Russland abzuschrecken".
Kluge Worte, die möglicherweise so manche seiner Parteifreunde, von denen er sich allerdings immer mehr entfremdet hat (was im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruht), nicht gerade hören wollen. Denn die Grünen sind seit ihrer Gründung ganz eng verbunden mit dem Widerstand gegen atomare Aufrüstung. Der 75-Jährige rüttelt also einmal mehr an einem Dogma, einem Kern der Friedensbewegung.
"Es geht um verflucht viel"
Und warum? Weil er sich von einem Utopisten zu einem Realisten gewandelt hat, der noch etwas anderes klar formuliert: Die Unterstützung für die Ukraine muss weitergehen. Denn das Land sei für Europa und Deutschland von entscheidender Bedeutung. Fischer: "Die Putinsche Ideologie lautet: Die Macht entscheidet, nicht das Recht. Wenn sich dieses Denken durchsetzt, dann können Sie Europa vergessen. Insofern geht es um verflucht viel."Und er kritisiert vor dem Hintergrund des Krieges in Nahost mit all' seinen verheerenden Folgen, dass Deutschland es versäumt habe, Werte wie die eindeutige Distanzierung von Antisemitismus von Einwanderern einzufordern. "Unser Land war immer offen für Flüchtlinge, aber wir haben einen Fehler gemacht: Wir haben nicht definiert, was es heißt, hier leben zu wollen.”
Mit diesen Worten unterscheidet sich der frühere Bundesaußenminister von so manchen aktuellen Politikern - gleich welcher Couleur -, die solch' klare Aussagen scheuen. Dass als Folge das rechte Spektrum immer mehr Zulauf bekommt und die Politikverdrossenheit zunimmt, muss da nicht verwundern. (Bertram Lenz) +++