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Mike Gaul: Vom Schneeball und Fliedener Fußball-Feeling - bis die Hütte brennt
21.12.23 - 19 Punkte aus 16 Spielen. Drei Heim-Unentschieden. Nur ein Auswärtssieg. Das alles ist ein bisschen wenig. 35 Gegentore. Das ist ein bisschen viel. Das wissen alle beim Fußball-Verbandsligisten SV Flieden nach gut dem ersten Teil der Saison. Und das weiß auch der neue Trainer Mike Gaul.
Natürlich gibt es hierfür Gründe. Die nennt der Coach, der nie um die Wahrheit verlegen ist. Der Dinge und Probleme offen anspricht. Den die blumige Sprache auszeichnet. Jene, mit denen er auch Alltagsmechanismen auf den Punkt bringt. Und die, in der der DFB-Nachwuchstrainer bisweilen in Emotionen badet. Dann ist Gaul mittendrin. Osthessen|News durfte daran teilhaben. Und blickt gemeinsam mit dem DFB-Nachwuchstrainer voraus.
Der Start, Glück und Pech, und der Groschen.
Mal waren es taktische Fehler, mal individuelle. "Das ging zwei-, dreimal in die Hose", erinnert sich Gaul, "du kriegst das dann manchmal nicht so gedreht". Er betont, dass sein Team viele "gute Momente" hatte - zum Beispiel gegen Tabellenführer Barockstadt II, als der SV Flieden mit 1:0 gewann und so gut wie nichts zuließ.
Das Gefühl, neu zu sein. "Wenn man neu in einen Verein kommt, muss das auch ein Stück weit wachsen. Das braucht auch ein bisschen." Schließlich müssten sich Spieler, Trainer und Verein, zu dem er auf Anhieb Vertrauen fasste, aneinander gewöhnen. "Wir werden weiter daran arbeiten, verspricht Gaul.
Damit verbunden ist auch die Situation am Weiher. "Sie ist nun mal so, wie sie ist. Es ist eine Herausforderung. Und damit muss man umgehen." Hätte der Coach einen Vergleich benötigt - er liefert ihn selbst. "Wenn ich Auto fahre, fahre ich auch nicht nur geradeaus." Gaul räumt ein: "Wo ich war bisher, da lief es auch nicht immer nur gut. Das ist für mich in Flieden auch eine persönliche Weiter-Entwicklung."
Gaul schiebt einen Ansatz seiner Arbeit nach. "Ich bin mit den Spielern im sauberen Dialog. Ich hake nach. Manchmal auch mit Schärfe. Ich hol' nicht nur die Älteren bei, auch die Jungen. Der Trainingsbetrieb läuft gut."
Das Heim-Gesicht. Das auswärtige. Und die Ziele. "Wir haben in den Heimspielen ein anderes Gesicht gezeigt, als das auswärts der Fall war", sagt Gaul treffend. Pech habe man gehabt, als einige "Protagonisten" weggebrochen seien und gefehlt hätten. Vielmehr aber verdeutlicht der Coach: "Daran werden wir in der Vorbereitung auch arbeiten. Mit Geduld und Spucke." Und Gaul redet nicht drumherum. Das macht er nie. "Wir müssen liefern im neuen Jahr und laufen unseren Ansprüchen hinterher."
Auswärts gab's nur einen Sieg: beim frühzeitig vom Spielbetrieb zurückgezogenen Aufsteiger Reichensachsen. "Auswärts müssen wir es künftig besser machen. Punkt. Und unsere Heimstärke beibehalten." Und als hätte Gaul einen Wunsch, liefert er den prompt hinterher. "Wir wollen mal glücklich heimfahren. Wir müssen auswärts auch mal ein Schweinehund sein. Wir müssen nicht in Schönheit sterben. Das brauchen wir nicht."
Zu viele Remis am Weiher.
Zu viele Gegentore. 35 waren es an der Zahl. Gaul spricht das aus, was für viele ein Gesetz ist. "Die aktive Verteidigung fängt woanders an als hinten. Ganz vorne." Wieder fehlt ein plakativer Vergleich nicht. "Die Kleinigkeiten entwickeln sich dann zu einem Schneeball. Ein kleiner Schneeball entwickelt sich zu einem großen."
Die Umbruch-Situation. Das sei auch ein Prozess, ist sich der Trainer sicher, "Verantwortung zu übernehmen auf dem Platz." Schließlich seien "ganz Erfahrene" weg - wie Sascha Rumpeltes, Marc Götze, Christian Kreß oder Marc Röhrig.
Das Fliedener Fußball-Gefühl. Das ist speziell. Gaul ordnet es so ein. "Bei Heimspielen kommt da immer was durch. Das wollen wir transportieren. Bis die Hütte brennt. Da springt der Funke über. Von Spielern zu Zuschauern. Von Zuschauern zu Spielern. Und dann ist alles möglich am Weiher. Das ist wie verhext. Und so soll es sein. Wir wollen den Zuschauern bieten, dass wir beißen, kratzen und kämpfen. Wir wollen eklig für den Gegner sein."
Das Beispiel schlechthin. Das war das 2:2 gegen Wolfhagen. Gaul mag wieder erzählen - oder: Es sprudelt aus ihm heraus. "Ein Spiel mit offenem Visier. Es war ein Top-Spiel für die Zuschauer. Für alle Beteiligten. Es ging bis zum Schluss hin und her. Ein Mega-Spiel", schwärmt er noch heute, als sei es erst gestern gewesen. Gaul ist ein Fußball-Besessener. Und Besessene vergessen so etwas nicht.
"Ich bin dem gegnerischen Trainer in die Arme gefallen. Direkt nach dem Schlusspfiff. Wir haben beide unseren Puls gespürt. Haben unsere Herzen schlagen hören. Fast wie ein Maschinengewehr hat sich unser Pulsschlag angefühlt."
Der Re-Start in 2024.
Die Vorbereitung. Die beginnt eigentlich schon jetzt. Das heißt, ab Samstag dieser Woche. "Wir laufen jetzt einmal wöchentlich. Ab Mitte Januar zweimal." Gaul will damit die Basis der Grundlagen-Ausdauer legen. "Ab dem 2. Februar geht es dann richtig los. Fünf Wochen lang. Fünf Einheiten pro Woche. Die Grundvoraussetzungen sollten dann schon da sein", fordert der Trainer, "dann sollte es reichen. Taktisch und körperlich". (wk)
Osthessen|News urteilt: Wieder einmal hat sich ein Gespräch mit Mike Gaul gelohnt. Der Fußball-Coach beweist, dass harte Arbeit, alles zu geben und Emotionen nahe beieinander liegen und zusammengehören. Er vermittelt eine Menge Positives und schaut immer wieder nach vorn. +++