Eine besondere Herausforderung. - Fotos: @canalaventure/@felixaub

HOSENFELD Sascha Gramm im Senegal (2)

Eine Reise in fünf Etappen: Siege über sich selbst - und ein Happy End

13.02.24 - Die sportliche Leistung war grandios. Sascha Gramm, Extremläufer aus Hosenfeld und Fuldaer Jung, stellte sich kürzlich einer neuen Herausforderung. Fünf Tage war er im westafrikanischen Senegal unterwegs. Er beendete das 200-Kilometer-Abenteuer als Dritter. Mehr geht kaum. Doch es geht auch kaum mehr, was er wahrnahm und aufsaugte. Der 44-Jährige gewährte OSTHESSEN|NEWS einen tiefen und glaubwürdigen Eindruck in seine Welt der Gefühle und Erfahrungen. Tauchen Sie mit ein in seine Erlebniswelt über fünf Etappen - und alles, was dazugehörte.

"In der senegalesischen Hauptstadt Dakar landete Sascha Gramm. Von dort ging es nach Saly. Etwa eine Stunde. Und von dort nach Sokone, dem Ausgangspunkt des Rennens - hierhin sind es noch einmal ungefähr fünfeinhalb Stunden. Der Weg führte mit dem Bus über afrikanische Straßen. Über Sandpisten und Schlaglöcher. Tüchtig Leben war in den Ortschaften. Tiere liefen permanent über die Straße. "Es ist wichtig, dass du auf dieses Leben in einer anderen Welt vorbereitet bist und dich akklimatisierst", sagt er. Sein Respekt ist allgegenwärtig. "Es ist ein Privileg, dort mitlaufen zu dürfen. Mein erstes Ziel war es, gesund an den Start gehen zu können." Er ist schon immer gut damit gefahren, die Dinge wirklichkeitsnah einzuordnen.

1. Etappe, 33 Kilometer

"Es gibt immer irgendwelche Herausforderungen", begegnet er dem, was in den nächsten Tagen vor ihm liegt, mit großer Achtung. In der Sonne waren es fast 50 Grad. Man müsse aufpassen, dass man keine Asche liegen lasse, "ruck-zuck gibt es ein Buschfeuer". Gleich hinter einem Franzosen und einem Rumänen, der einen Konkurrenz-Wettbewerb, die Continental Challenge, gewonnen hatte, positionierte er sich auf Rang drei zur Eröffnung des Rennens.

Ein Privileg war es auch, dass Fußball- und Eintracht Frankfurt-Fan Sascha Gramm den African Cup of Nations oder kurz Afrika-Cup miterleben durfte. "Am Vorabend des Rennstartes haben wir das Spiel Senegal gegen Kamerun gemeinsam mit Einheimischen verfolgt", freute sich Sascha Gramm über die Gastfreundschaft. In Senegal ist Ex-Liverpool- und Bayern-Profi Sadio Mané der "große Nationalheld". Der Osthesse erlebte, wie sich Kinder und Jugendliche freuen, wenn sie selbst kicken können. "Die Jungs dort tragen allesamt Trikots." Sie fanden einander. Gramm und die Jungs. Sie folgten dem 44-Jährigen etwa einen Kilometer. Und er gab Fangesänge der SGE zum Besten. "Das sind Kleinigkeiten, solche Begegnungen. Da freut man sich. Daraus kannst du Motivation ziehen." Gramm tickt eben positiv. 

Stunden ohne Wasser. Sascha Gramm war dehydriert. Ihm war schlecht

Umgehend kommt er auf das Elementare zu sprechen, das man benötigt: Wasser. "Vorn links und rechts, an den Gurten des Rucksacks, passen je 0,5 Liter rein. eine Soft-Bottle, die sich anpasst. Die dritte Flasche habe ich in der Hand." Einmal hatte Sascha Gramm ein echtes Problem: Zwei waren leer, und die verbleibende Soft-Bottle war ihm beim Wechseln runtergefallen wobei das Mundstück beschädigt wurde. Auch das Wasser war weg.

Sieben Kilometer lagen noch vor ihm bis ins Ziel, "das ist verdammt lang", wusste er. Und er realisierte auch: "Ich habe zum ersten Mal am eigenen Leib gespürt, was Wasser ausmacht, wenn man keins hat. Ich war dehydriert." Die noch ausstehenden eineinhalb Stunden wurden strapaziös. Endlich im Tagesziel angekommen, machte er sich ein Süppchen. Und er kämpfte gegen sich selbst. Ihm war schlecht. Richtig schlecht. Und es war heiß. Richtig heiß. Es kam alles zusammen. Doch Sascha Gramm wäre nicht er selbst, wenn er nicht wieder zu sich gefunden hätte.

Ein senegalesischer Fan

2. Etappe, 46 Kilometer

Der Tag darauf verlief ruhiger. Der Osthesse lief nach den Erlebnissen des vorigen Tages ganz vorsichtig an. Er fand seinen Rhythmus wieder. Seine Platzierung als Dritter behauptete er.

3. Etappe, 43 Kilometer

Tag drei hatte es wieder in sich. Schon nach sieben Kilometern verliefen er sich und sein deutscher Kontrahent - noch dazu befanden sie sich mitten im Duell. Eine Windböe hatte ein Schild, eine Wegmarkierung, unsichtbar gemacht (Osthessen|News berichtete bereits in Teil eins). 

Leicht war es auch auf der Strecke nicht, voranzukommen für Sascha Gramm. Die war nicht nur von Schlaglöchern oder Sandpisten gekennzeichnet - auch Felder und viele Äste oder Gegenverkehr, zum Beispiel in Form von Eselgespannen ("da macht keiner Platz") prägten den Weg. Auch wilde Hunde waren darunter. 

Und dadurch, dass der Osthesse wegen des Missgeschicks der falschen Strecke deutlich mehr als die 43 Kilometer des Tages absolvieren musste, rückte ihm ein weiterer Franzose in der Gesamtwertung gehörig auf die Pelle. Kein Wunder, dass er 25 Minuten weniger benötigte als Gramm, dessen Vorsprung auf den Franzosen jetzt nur noch sechseinhalb Minuten betrug. "Das ist ein Wimpernschlag. Das ist gar nichts", ordnete Gramm auch hier realitätsnah ein. 

4. Etappe, 45 Kilometer

Diesen Tag bestritt der Osthesse mit Chérif Naid-Saada, einem anderen befreundeten Franzosen mit algerischen Wurzeln. "Wir haben uns zusammengeschlossen", bündelte Gramm alle Kräfte. Zwei Checkpoints gab es auf dieser Etappe - der zweite sollte zunächst bei Kilometer 33 sein, kam aber schon bei Kilometer 26. Also wieder ein physisches und psychisches Hindernis, mit dem niemand rechnen konnte.

Verwirrung machte sich breit. Gedanken kamen auf: "Hatten wir unwissentlich abgekürzt?" Zusätzlich war der Wasser-Haushalt abgestürzt. "Auf einmal kam ein Jeep vorbeigefahren." Mit einer Nachricht, die für Erleichterung sorgte. "Ihr seid richtig gelaufen", hieß es da. Und: "Ihr kriegt noch Wasser." 

Der Franzose hatte aufgeschlossen. Sascha Gramm aber konterte.

Gramm musste sich auf eine neue Situation einstellen. "Bei Kilometer 40 kam ein Städtchen." Und auch der Franzose, der an Position vier hauchdünn hinter ihm gelegen hatte. Er hatte aufgeschlossen. Gonzague Bataille hieß der Viertplatzierte, mit dem er sich bins ins Ziel duellieren sollte. Während des Wasserverpflegung hatte Bataille die Gunst der Stunde genutzt...  

Gramm erkannte neidlos an: Sein Kontrahent hatte sich abgesetzt. Quasi und sprichwörtlich aus dem Staub gemacht. Der 44-jährige aus Osthessen kratzte seine Energien zusammen und reagierte: "Du gibst jetzt Gas", sagte sein Mitstreiter Chérif, "und du holst ihn wieder". Chérif motivierte Gramm und schickte seinen Partner los, den Franzosen wieder einzuholen; Chérif selbst vermochte nichts mehr zuzulegen. Auf einmal sah Gramm einen kleinen Punkt am Horizont. Gramm wusste: Das ist er. Das ist der Franzose. Er hatte ihn eingeholt und ihm auf den letzten Kilometern dreieinhalb Minuten abgenommen - und seinen Vorsprung wieder ausgebaut.

Sascha Gramm hatte bewiesen, was er drauf hat, was er kann - und welche Energien er mobilisieren kann, um mit neuen Situationen zurechtzukommen. "Du bist an mir vorbeigeflogen", lobte der Franzose. Gramm war's natürlich zufrieden. "Ich bin wieder auf Platz drei. Und hab mir das erarbeitet." Auf seine Reaktion war er stolz. "Ich konnte das doch nicht so stehen lassen. Da wehre ich mich." Wenn ich mein Ziel im Visier habe, dachte er sich, "dann lohnt es sich, dafür zu kämpfen".

Es spornte ihn an. "Das pusht einen. Das motiviert einen. Ich sagte mir, das Tempo muss dafür noch reichen, um ihn einzuholen." Der Osthesse war mit sich im Reinen. Es war ein Sieg über sich selbst. In einer anderen Welt. Doch der erbitterte Kampf um Platz drei hielt an. Schließlich stand die letzte Etappe noch bevor. Sascha Gramm hatte jetzt achteinhalb Minuten Vorsprung auf den Franzosen. 

5. Etappe, 33 Kilometer

Natürlich war es Gramms Ziel, diesen dritten Platz zu verteidigen. Nur das zählte auf der Schlussetappe. Spätestens jetzt begann das Spiel mit der Psyche. Oder besser gesagt: Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen in diesem Spiel. Da wolle man eigentlich nur herausfinden, wie gut der Andere ist. Dies sei ein offenes Geheimnis.

Die Top 5 starteten am letzten Tag gemeinsam. Der Rumäne war außen vor, Platz eins und zwei waren vergeben. Drei Franzosen kämpften in der Fünfer-Gruppe gegen Gramm - das heißt, Chérif war ja auf Gramms Seite, und beide wussten: Dieser eine Franzose, der Gramm im Nacken saß, wird dich auf der letzten Etappe attackieren. Ab Kilometer zehn sollte das passieren. "Da will er dich überholen", brannte sich bei Gramm ein.

Sascha Gramm hält stand. Er wehrt den Angriff des Franzosen ab

"Du musst einfach bei dir bleiben. Musst cool bleiben und deinen Konkurrenten im Auge behalten", lautete sein Selbstverständnis. "Ich bin dem den ganzen Tag nicht von der Seite gewichen und habe lange keinen Ton gesprochen. Es kam, wie erwartet. Der Franzose attackierte, "er wollte mich abhängen", nahm Gramm wahr. Er sagte sich aber: "Okay, du willst Dritter werden."

Sascha Gramm hielt stand. Er wehrte den Angriff des Franzosen ab. Und er hatte wieder einen Sieg über sich selbst errungen. "Zwei Kilometer vor dem Ziel hab' ich ihn angesprochen und gefragt, ob wir nicht zusammen ins Ziel laufen wollen. Und das haben wir dann gemacht. Wir haben uns gedrückt und abends ein Bier getrunken." So sieht sportliche Rivalität aus, die in ein Happy End mündet. Nach 23:13 Stunden für die 200 Kilometer erreichte Gramm das Ziel - und beendete das Mehr-Etappen-Rennen auf Platz drei.

Der Läufer aus Osthessen hatte mehrmals tüchtig dagegengehalten im Senegal. Trotz aller Widrigkeiten: verlaufen, Wasser verloren, Gegner-Attacken, durchbeißen im Eins-gegen-eins - all das hatte sich auf seiner Agenda eingeschlichen. Und seine Erfahrungs-Kiste bereichert. 

Von der speziellen Art, in Westafrika Couscous zuzubereiten

Sascha Gramm nahm einiges mit aus diesem Erlebnis in Westafrika. "Ganz viel", betont er. Zum Beispiel das Zusammengehörigkeits-Gefühl in der Truppe. "Man fühlt alles. Nicht nur das Oberflächliche. Und man ist ehrlich." Gemeinschaft liege ihm am Herzen. Und Dankbarkeit. Er denkt daran, "dass es bei uns in Osthessen keine Kinder gibt, die an Hunger leiden". 

Reich an Erfahrungen waren seine Tage in den letzten Januar-Tagen. Ein Beispiel hat er noch parat. Eine afrikanische Familie lud ihn und einen Kollegen ein, um zu sehen, wie sie Couscous stampft. "Mit einer Art Holz", sagt Sascha Gramm. Die beiden Läufer durften sich natürlich daran probieren. Erkenntnis und Einsicht des Hosenfelders lauten jetzt: "Man kommt zurück und ist in einer anderen Welt." Gramm hat's gut in dieser Hinsicht: Er saugte das auf, was viele Menschen in der westlichen "Zivilisation" nie erleben werden. (wk)


Schnuppern Sie im dritten Teil dieser Serie an Sascha Gramms Persönlichkeit. Als Läufer, Lauftrainer - und wo er in der gesamten Welt unterwegs war. Auf allen Kontinenten nämlich. +++


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