Wiesenkiez-Gründer Christoph Jestädt hatte die Wahl: die Marke „Nosecco“ löschen oder ein Rechtsstreit von mindestens 30.000 Euro. - Foto: Tobias Farnung

FULDA David gegen Goliath?

Industrie zwingt Start-up: Obstbauer Jestädt muss "Nosecco" vom Markt nehmen

08.03.24 - Es klingt ein wenig wie David gegen Goliath. Obstbauer Christoph Jestädt aus Fulda hat ein Getränk auf den Markt gebracht – und sich damit den Ärger der Prosecco-Industrie eingehandelt. Sein alkoholfreier Secco braucht nun einen neuen Namen.

Es passiert ihm nicht oft. Aber diesmal war Christoph Jestädt tatsächlich sprachlos. Der Gründer des Start-ups Wiesenkiez aus Fulda bekam im Januar einen Brief einer großen Anwaltskanzlei aus München. Der Inhalt war deutlich: "Die Secco-Industrie hat uns vorgeworfen, den Schutz der Bezeichnung Prosecco zu verletzen", sagt Jestädt, der den traditionsreichen Hannheinehof in Niederrode seit 2016 in zehnter Generation führt. Die Botschaft: Benennt er sein Getränk "Nosecco" nicht ganz schnell um und löscht den Namen aus dem Patent- und Markenregister, werde man sich vor Gericht treffen. Jestädt knickte ein, "Nosecco" ist damit nun Geschichte.

Archivfotos: O|N/Carina Jirsch/Martin Engel

Aber von vorne: Christoph Jestädt hat vor rund acht Jahren den Hannheinehof von seinen Eltern übernommen. 2019 gründete er seine eigene GmbH – bei der mittlerweile 16 Angestellte beschäftigt sind. Das Ziel der Firma: natürliche Lebensräume, die die Streuobstwiesen in der Region bieten, für die nächsten Generationen zu schützen und zu erhalten. "Das geht eben nur, wenn man das Streuobst zu fairen Preisen vermarkten kann", sagt er. Also baute er einen Großhandel für regionale Lebensmittel auf.

"Wiesenkiez" vermarktet 300 regionale Produkte

Mehr als 300 Produkte von 30 heimischen Erzeugern bringt er auf diesem Weg bereits in den Einzelhandel in der Region. Zudem gründete er mit "Wiesenkiez" eine Marke, unter deren Namen er eigene Schorlen, Apfelschaumweine und Aperitifs aus seinem Streuobst produziert und verkauft. Das Problem: "Klassische regionale Fruchtsäfte haben es aufgrund der Billigkonkurrenz – besonders aus Fernost – mittlerweile sehr schwer am Markt", sagt Jestädt, der sich auch im Vorstand der Rhöner Apfelinitiative engagiert. So hätten vor allem kleine Keltereien in der Region aktuell sehr zu kämpfen.

"Darum wollten wir unser heimisches Streuobst mit dem Megatrend alkoholfreier Schaumweine kombinieren", so der Getränkeproduzent, der es mit seinem Start-up unter anderem beim Hessischen Gründerpreis 2020 bis aufs Treppchen geschafft hatte. So entstand der alkoholfreie Prosecco mit dem Namen "Nosecco".

Wobei bereits der Weg dorthin nicht ganz einfach war. Denn – und damit geht der Streit fast schon los – als "alkoholfreien Secco" durfte er sein neues Getränk nicht auf den Markt bringen. Die für die notwendige Zulassung verantwortliche Behörde sah laut Jestädt in dieser Begrifflichkeit eine Täuschung der Verbraucher gegeben, weil Secco den Eindruck erwecke, dass es sich sehr wohl um ein alkoholisches Getränk handele. Und das, obwohl er es explizit als alkoholfrei bezeichnet hatte. "Warum alkoholfreies Bier erlaubt ist, alkoholfreier Secco aber nicht, verstehe ich nicht. Aber ich habe es akzeptiert und mich um einen neuen Namen bemüht." Gemeinsam mit den Nutzern seiner Social-Media-Kanäle entwickelte Jestädt dann im vergangenen Jahr den Namen "Nosecco". Und fand ihn ziemlich genial. "Weil er kurz und knapp auf den Punkt bringt, worum es bei dem Getränk geht."

Name schweren Herzens gelöscht

Das Getränk verkaufte sich "sehr gut", wie der Unternehmer sagt. Bis dann im Januar das Anwaltsschreiben eintrudelte. Die Juristen handelten im Auftrag des "Consorzio di tutela della denomininazione di origine controllata prosecco" – des italienischen Konsortiums, unter deren Dach sich die Prosecco-Industrie vereint. Sein Name verletze den Schutz der Bezeichnung Prosecco, und er habe seine Marke sofort aus dem Markenregister zu löschen. "Ich habe versucht, eine gütliche Einigung zu finden. Aber mit der Gegenseite war nichts zu machen", sagt er.

Er überlegte, ob er es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen solle. "Das hätte aber von vornherein mindestens 30.000 Euro an Anwaltskosten nach sich gezogen und jede Menge Zeit gekostet", sagt Jestädt. Geld und Zeit, die er lieber in seine Streuobstwiesen und Getränke investiert. "Also bin ich schweren Herzens eingeknickt und habe die Marke löschen lassen", sagt er. "Leider war es mal wieder so, dass die Industriekonzerne am längeren Hebel sitzen und wir mit unserem regionalen und nachhaltigen Streuobstkonzept in generell schon schwierigen Zeiten das Nachsehen haben", sagt der Fuldaer ernüchtert.

Für ihn geht es aktuell darum, eine Lösung zu finden, dass er die rund 4000 Flaschen "Nosecco", die er abgefüllt und etikettiert noch im Lager hat, trotz des Rechtsstreits noch verkaufen darf. "Alles andere wäre ja auch Wahnsinn." Und parallel dazu ist er bereits dabei, unterstützt durch die Social-Media-Nutzer, einen neuen Namen für seinen alkoholfreien Secco zu finden.

Zur Person

Wenn es um regionale und nachhaltige Lebensmittel geht, kommt man an Christoph Jestädt nicht vorbei. Doch sein Engagement reicht weit über das Unternehmen Wiesenkiez hinaus, in dem er 300 regionale Produkte vertreibt: Jestädt ist Biolandwirt, Theologe, Weihnachtsmarktstand-Betreiber, Kulturveranstalter und Chef des Kloster-Frauenberg-"Fanclubs".

Eigentlich hatte er gar nicht vor, den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen: In Würzburg studierte er Deutsch und Theologie auf Lehramt. "Während meiner Promotion in Theologie", erzählte er einmal, "habe ich unseren Hof übernommen und die Direktvermarktung, die ursprünglich nur als Finanzierung der Promotion gedacht war, erheblich ausgebaut." Bereits in zehnter Generation führt er seitdem den Hannheinehof in Niederrode. 2019 gründete er das Start-up Wiesenkiez für Produktion und Vermarktung regionaler Lebensmittel. Auf Anhieb wurde er damit Zweiter beim Hessischen Gründerpreis 2020 in der Kategorie "Zukunftsfähige Nachfolge".

Jestädt vermarktet unter anderem den Saft der Rhöner Apfelinitiative, über die etwa 1000 Streuobstwiesenbesitzer aus der ganzen Rhön biozertifiziert sind. Das wohl bekannteste Produkt von Jestädt ist die Weinschorle "Lieber Schorli", auf deren Etikett der Wiedehopf zu sehen ist. Als Mitglied der Beerenobstgemeinschaft Rhön-Vogelsberg ist er auch das Gesicht von deren Stand am Fuldaer Weihnachtsmarkt, der im vergangenen Jahr als "schönste Hütte" ausgezeichnet wurde. Jestädt ist vielseitig engagiert, so veranstaltet er jährlich auf seiner eigenen Streuobstwiese in Niederrode das Kurzfilmfestival Wiesenflimmern. Er ist außerdem Vorsitzender des Vereins "Freunde des Frauenbergs", der sich für den Erhalt des Klosters in Fulda einsetzt. (Mediennetzwerk Hessen, Tobias Farnung) +++


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