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NS-Raubgut-Suche in drei hessischen Museen - Start des Projekts
14.03.24 - Der Museumsverband Hessen (MVH) führt ab dem 1. März einen Erstcheck zu NS-Raubgut in drei hessischen Museen durch. Ziel ist es, die Museumssammlungen in Hanau (Main-Kinzig-Kreis), Hünfeld (Kreis Fulda) und Korbach (Landkreis Waldeck-Frankenberg) auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte durch eine Provenienzforscherin zu überprüfen. Das fünfmonatige Projekt wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert.
Erstchecks helfen herauszufinden, ob ein Verdacht auf NS-Raubgut in den Sammlungsbeständen vorliegt und ob weiterer Forschungsbedarf besteht. "Sie sind gerade für kleinere und mittelgroße Museen ein bewährter Einstieg in die Provenienzforschung, da diese aufgrund des Mangels an Personal, Zeit und Geld Provenienzforschung nicht proaktiv betreiben können", erörtert Dr. Saskia Johann, Referentin für Provenienzforschung beim MVH.
Bei den drei teilnehmenden Museen handelt es sich im Einzelnen um die Städtischen Museen Hanau, das Konrad-Zuse-Museum in Hünfeld und das Wolfgang-Bonhage-Museum in Korbach. Der Start des Projekts ist in Hanau.
Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky unterstreicht die Bedeutung von Restitutionen: "Unsere Geschichte verpflichtet uns, NS-Raubgut in öffentlichen Kultureinrichtungen zu identifizieren und zurückzugeben und dieser Verpflichtung, die ich auch als eine moralische sehe, kommen wir selbstverständlich nach!" Er versichert: "Wir werden uns gemeinsam mit dem Museumsverband Hessen um die Klärung der Provenienz jedes einzelnen Objektes bemühen."
Die Sammlungen der Städtischen Museen Hanau und des Hanauer Geschichtsvereins 1844 umfassen mehr als 40.000 Objekte. Zu den bedeutendsten Beständen zählen Werke von Moritz Daniel Oppenheim, Anton Wilhelm Tischbein, August Gaul, Reinhold Ewald, die Sammlung Brüder Grimm, Hanauer Fayencen und Silber, das künstlerische Archiv der Juwelen-Manufaktur Friedrich Kreuter sowie die Papiertheater-Sammlung. Teil des Museumsbestandes sind auch Judaika-Objekte, u.a. ein Toraschild, ein Bucheinband sowie Suppenlöffel, Zuckerzangen und Kerzenleuchter, alle Objekte in Silber von Hand ausgeführt und teilweise vergoldet, die ungefähr Anfang der 1940er Jahre aus Frankfurt nach Hanau kamen. "Bei diesen Objekten sind uns die Herkunft und die Umstände des Eingangs weitgehend unbekannt und deren Provenienz wird im Zuge des Erstchecks erforscht", erläutert Dr. Markus Häfner, Leiter der Städtischen Museen Hanau, die Vorgehensweise.
Erstcheck geht in die zweite Runde
Für den Museumsverband Hessen ist es der zweite Erstcheck. 2022 wurden erfolgreich die Stadtmuseen in Bad Wildungen und Eschwege, das Vonderau Museum Fulda und das Heimatmuseum Reinheim auf jüdischen Vorbesitz überprüft. "Die Teilnahme am Erstcheck hat den Museen nicht nur Sicherheit im Umgang mit ihren Objekten gegeben, sondern sie auch motiviert, weitere Forschungen anzustoßen", stellt Christina Reinsch, Geschäftsführerin des MVH, rückblickend fest.In der zweiten Runde recherchiert und sichtet die Darmstädter Provenienzforscherin Dr. Jennifer Chrost in den drei Museen die Eingangsbücher, die Inventare, den hauseigenen Schriftverkehr und einzelne Objekte bis Projektende am 31. Juli 2024. Verdachtsmomente ergeben sich in allen drei Häusern, so besitzen die Museen Judaica-Objekte, bei denen die Herkunft und die Umstände des Eingangs in die jeweilige Sammlung größtenteils unbekannt sind. Zudem wurden auch Objekte im Kunst- und Antiquitätenhandel erworben, bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht auszuschließen ist.
Provenienzforschung gehört zur modernen Museumsarbeit
"Die Prüfung der Herkunft der Museumsbestände gehört zur zeitgemäßen und fachlich fundierten Museumsarbeit, wie sie die neuen ‚Standards für Museen‘ vom Deutschen Museumsbund und ICOM beschreiben. Museen benötigen dafür aber das klare Bekenntnis von Politik, Zivilgesellschaft und ihren Trägern, die kultur- und bildungspolitische Relevanz über angemessene Rahmenbedingungen ihrer Arbeit zu unterstützen", so die Vorsitzende des MVH, Dr. Birgit Kümmel.Der MVH wie auch andere regionale Museumsverbände haben es sich zum Ziel gesetzt, mit dem Erstcheck diese wichtige fachliche Arbeit in die Fläche zu tragen. Der Verband übernimmt daher die Organisation und Koordination des Projektes.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt den MVH dabei und finanziert den Erstcheck vollständig. Die Stiftung wurde 2015 von Bund, Ländern und den drei kommunalen Spitzenverbänden gegründet und fördert bundesweit Provenienzforschungsprojekte in Museen, Archiven und Bibliotheken. Die Einrichtung befasst sich sowohl mit NS-Raubkunst, der Aufarbeitung der in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und der DDR entzogenen Kulturgüter als auch mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern. (pm) +++