Die Hessische Landesbahn fährt auf der Bahnstrecke zwischen Fulda und Gießen - Archivbilder: O|N/Hans-Hubertus Braune

FULDA / ALSFELD Stellwerk in Mücke nicht besetzt?

Familienvater schreibt: "Aus dem Tagebuch eines Bahnfahrers"

06.04.24 - Wenn einer, eine Reise macht, dann kann er gewöhnlich viel erzählen. Gerade, wenn es um eine Fahrt mit der Bahn geht. Dort gibt es seit geraumer Zeit immer wieder Mängel, sei es technischer Art oder der Personalmangel macht einen Betrieb teilweise unmöglich.

Ein nicht besetztes Stellwerk in Mücke (Vogelsbergkreis) war vor Ostern vermutlich "schuld" an Zugausfällen aus der Linie der Vogelsbergbahn zwischen Alsfeld und Gießen. Ein Familienvater erzählt, wie es seiner Tochter und ihm erging.

Wir haben bei der Pressestelle der Hessischen Landesbahn (HLB) nachgefragt: "Die Ausfälle auf der RB 45 vor Ostern kamen durch das derzeit überall bekannte Problem: Unbesetzte Stellwerke durch die DB InfraGo. Daher gab es am 26.03. und 28.03.2024 rund 20 Ausfälle auf der RB 45 zwischen Gießen und Alsfeld. Am 27.03.2024 fielen vier Fahrten aus, zwei wegen eines defekten Stellwerks, zwei wegen eines defekten Fahrzeuges von uns", schreibt die Pressesprecherin.

Nachfolgend der Beitrag des Familienvaters. Irgendwie kann man mitfühlen und gemeinsam mit ihm hoffen, dass die Mängel irgendwann behoben sein mögen. Denn Bahnreisen kann durchaus Freude machen und ist dazu sinnvoll:

Der Plan

Am Mittwoch, dem 27.03.2024, möchte ein Vater seine Tochter mit dem Zug von Fulda nach Gießen bringen. Dort möchte er sie in einen Zug nach Siegen setzen, wo sie Verwandte besuchen möchte. Sie fährt dann zum ersten mal alleine Bahn – spannend! Der Vater möchte dann von Gießen mit dem Fahrrad zurück in den Vorderen Vogelsberg (etwa 75 km, 3 Stunden, Rennrad, ohne Akku) fahren und nimmt deshalb sein Rad mit in den Zug. Dieser wird von der Hessischen Landesbahn (HLB, Linie RB 45) betrieben und soll Fulda um 13.33 Uhr verlassen, die Ankunft in Gießen ist für 15.16 Uhr vorgesehen. Dort wollen Vater und Tochter gemütlich etwas essen, da der Zug nach Siegen erst um 16.09 Uhr geht.

Die Realität aus der Sicht des Familienvaters:

Der Zug nach Gießen steht in Fulda am richtigen Gleis schon bereit. Leider sind im Fahrradabteil etwa 1/3 der Plätze schon von einigen wenigen Reisenden sehr raumgreifend, also jeweils mit einigen Sitzplätzen Abstand, besetzt, daher findet das einzige Rad im Abteil keinen Platz. Die Schaffnerin, die hier unterstützend tätig werden könnte, unterhält sich am Bahnsteig durch das Fenster mit dem Fahrer der Bahn und lässt sich auch durch den flehenden Blick des Vaters, der einige Minuten mit dem Rad vor der Tür zum Abteil steht, nicht aus der Ruhe bringen. Der Vater beschließt, das Problem selbst zu lösen und bittet einige Reisende, sich doch enger zusammenzusetzen, wodurch drei Plätze nebeneinander frei werden, so dass er sich auf einen davon setzen und das Rad quer vor sich festhalten kann. Die Tochter sitzt derweil woanders – sie ist schon groß und kann das bequem wegstecken. Er sitzt so zufällig neben einer älteren Dame, die eine Mandoline dabei hat und unterhält sich wunderbar mit ihr.

Der Bahnhof in Alsfeld

Der Zug fährt pünktlich los, nach einer Haltestelle steigen ein paar Leute aus dem Radabteil aus, das Rad kann also befestigt werden und der Vater möchte sich zu seiner Tochter setzen. Leider ist dort kein Platz, aber ein Mann mit Migrationshintergrund bietet unaufgefordert freiwillig seinen Sitzplatz an und setzt sich woanders hin. Vielen Dank! Ein freundlicher Mensch. Einer entspannten Fahrt steht nun nichts mehr entgegen, ein Blick auf die DB-App bestätigt, dass der Anschlusszug in Gießen locker erreicht wird. Der Zug kommt planmäßig um 14.19 Uhr in Alsfeld an – es läuft!

"Bitte alle Reisenden aussteigen"

Etwa 30 Sekunden bevor der Zug zum Stillstand kommt, eine Durchsage: "Bitte alle Reisenden aussteigen. Wegen eines nicht besetzten Stellwerkes in Mücke endet der Zug in Alsfeld. Schienenersatzverkehr (SEV) mit Bussen steht bereit." Hmmh, seit wann ist diese Information bekannt? Ist da jemand ganz kurzfristig krank geworden? Aber ein Schienenersatzverkehr wurde organisiert. Ganz so kurzfristig kann es ja dann doch nicht gewesen sein. Allerdings: Soweit der Vater weiß, kann man im SEV keine Räder mitnehmen. Das wird jetzt ein Problem. Verwunderlich nur, dass in Alsfeld am Bahnsteig Reisende stehen, die in den Zug nach Gießen einsteigen wollen, also offenbar nichts von der Misere wissen. Der Fahrer und die Schaffnerin verlassen aber auch den Zug, es scheint also zu stimmen. Sie brüllen den nun Einsteigenden zu, dass der Zug nicht weiterfährt – ist der Lautsprecher auf dem Bahnsteig defekt?

Am Bahnhofsvorplatz steht tatsächlich ein Bus. Der Fahrer sagt, dies sei der Bus, der alle Haltestellen des Zugs bedient, deshalb aber sehr lange nach Gießen brauche. In 15 Minuten käme ein Expressbus, der nur über Ehringshausen und Mücke nach Gießen fahre und daher viel schneller sei. Reisende nach Gießen sollten auf ihn warten. OK. – mal sehen.

Die Reisenden werden unruhig

Nach 15 Minuten kein SEV nach Gießen zu sehen, nach 30 Minuten auch nicht. Die etwa 30 Reisenden werden unruhig. Eine Frau mit Bahnuniform überquert den Platz. Der Vater beschließt, etwas zu tun und spricht sie hilfesuchend freundlich an. Sie wisse erstens nichts, zweitens habe sie Feierabend und fragt drittens, warum wir nicht den ersten Bus genommen hätten. Keine ganz große Hilfe! Auf dem Bahnhofsvorplatz stehen noch drei weitere Busse. Der Vater fragt einen der Fahrer, ob dieser etwas über den SEV wisse. "Nein!" Ob er sich irgendwo erkundigen könne? "Nein!" Er sei Busfahrer und fahre nach Bad Hersfeld. Sonst wisse er nichts. Aha! Ein anderer Fahrer des Reisedienstes Philippi -Reisen aus Mücke hat grade eine Stunde Pause. Er ist sehr hilfsbereit und ruft seinen Chef an, der aber auch von nichts weiß. Leider wird ausgerechnet dieser Mann von unruhiger werdenden Reisenden für die Misere verantwortlich gemacht. Das tut dem Vater sehr leid und er möchte diesen hilfsbereiten Mann auch auf diesem Weg um Entschuldigung bitten.

Im Bahnhof gibt es eine Mobilitätszentrale des RMV, die sogar doppelt besetzt ist. Und dort steht sogar "VGO Service-Zentrum" – Hilfe ist also nahe. Während sich eine Mitarbeiterin mit ängstlichem Blick hinter einem Computermonitor versteckt (sie weiß wohl, was kommt!), sagt der freundliche Mitarbeiter, er wisse auch nichts, könne nichts tun und es sei bereits gestern sehr chaotisch gewesen. Aha! Auf die Bitte hin, doch das zu tun, was auf dem Schild hinter ihm stehe, nämlich Service zu bieten, druckt er einen Zettel aus, auf dem angekündigt wird, dass ab 14.30 Uhr kein Zugverkehr zwischen Alsfeld und Gießen ist (ach so!) und auf dem eine Telefonnummer für ein Kundenservice-Telefon steht: 0800 44 33 700. Rettung naht? Nein – Warteschleife. Offenbar nutzen zu viele Menschen den Telefonservice oder dieser ist einfach nicht besetzt. So fühlt sich der hilfesuchende Fahrgast wenigstes so, als ob es einen Kundenservice gäbe. Vielen Dank!

Also braucht man einen neuen Plan! Am Bahnhofsvorplatz wartet ein Taxi. Die Fahrt nach Gießen kostet schlappe 140 Euro in einem Großraumtaxi für sechs Mitfahrer, also etwas über 23 Euro pro Nase. Na gut, egal! Das Geld kann man sich später sicher von der Bahn (DB oder HLB, egal!) erstatten lassen. Genügend Mitfahrer lassen sich sicher finden. Aber: Auch hier ist der Fahrradtransport nicht möglich. Also auch keine Alternative.

Vielleicht mit einem anderen Expressbus von Alsfeld nach Kirchhain und von dort mit dem RE Richtung Frankfurt nach Gießen. Man ist ja flexibel. Aber: Im Expressbus, man ahnt es, ist die Fahrradmitnahme nicht möglich.

Langsam erwächst im Vater der Gedanke, ob es wohl besser sei, sich in Alsfeld ein Hotelzimmer zu nehmen und am nächsten Tag die Reise fortzusetzen in der Hoffnung, dass es dann besser wäre. Alleine eine Garantie dafür gibt es kaum.

Der Expressbus nach Gießen

Doch dann gegen 15.10 Uhr – der Expressbus nach Gießen trifft ein. Manche Reisende hatten den Glauben bereits aufgegeben, einige applaudieren innerlich und der Vater meint, bei dem ein oder anderen sogar Freudentränchen in den Augen sehen zu können. Der Fahrer des Buses gibt gelangweilt einer Reisenden Auskunft über die Reiseroute, die diese dann laut den anderen Reisenden verkündet. Leider ist eine Radmitnahme in diesem Reisebus auch nicht möglich. Der Hinweis des Vaters an den Fahrer, dass das teure Rennrad unmöglich am Bahnhof gelassen werden könne und wenn der Vater in Alsfeld bleibe, dann die kleine Tochter allein reisen müsse sowie ein trauriger Augenaufschlag des Kindes, erweichen das Herz des Busfahrers schließlich doch. Er öffnet betont gelangweilt eine Klappe zu einem riesigen Kofferraum unter dem Bus – wie gesagt, es handelt sich ja um einen Reisebus. Dort findet das Rad dann auch einen guten Platz. Gegen 15.15 Uhr geht es dann los – sicherheitshalber 5 Minuten, bevor der nächste Zug in Alsfeld mit weiteren Fahrgästen stranden wird, die dann auch den SEV nutzen möchten. Leider entzieht sich ihr Schicksal der Kenntnis des Autors. "Es war vorhin auch sehr chaotisch" wird der Servicemann in der Servicezentrale von RMV und VGO sicher sagen, und dass er nichts tun könne usw. (s. o.)!

Namen der Haltestelle durch den Bus "gebrüllt"

Die Busfahrt verläuft weitgehend unspektakulär. In Ehringshausen hält der Bus, die Mitreisende brüllt den Namen der Haltestelle durch den Bus, der Fahrer ist schließlich Fahrer und nicht Brüller! In Mücke das gleiche Spiel. Hier treffen wir auch den Bus, der alle Haltestellen abgeklappert hat, wieder. Beide Busfahrer freuen sich sehr über das Wiedersehen. Sie sind sicher alte Freunde und haben sich lange nicht gesehen und haben sich daher viel zu erzählen. Sie machen deshalb erst einmal eine Zigarettenpause. Der Vater nutzt die gewonnene Zeit, um einer Frau ihren großen Koffer die Stufen in den Bus hochzuzerren. Der Fahrer ist ja schließlich Fahrer und kein Zerrer! Irgendwann haben sich die alten Freunde ausgesprochen und es geht weiter. Gegen 16.50 Uhr erreicht man Gießen. Die Reisenden verlassen den Bus. Der Vater trägt den Koffer der Frau nach draußen, öffnet den Kofferraum, holt sein Rad heraus und bedankt sich bei dem Fahrer fürs -genau- Fahren. Grade mal 1,5 Stunden später als geplant, aber dafür haben alle echt viel erlebt. Eine langweilige Bahnfahrt ist was anderes. Und weil der nächste Zug nach Siegen um 17.09 Uhr fährt, hat die Tochter ja nur eine Stunde Verspätung – essen wird überbewertet, einige Apfel- und Möhrenstückchen tuen es auch.

Da es nun schon etwas spät ist für eine dreistündige Radtour Richtung Fulda, fragt der Vater am Servicepunkt in Gießen nach, wie er wohl in diese Richtung komme, Radmitnahme bitte inclusive. Der freundliche Mann sagt, über Alsfeld führe kein Zug mehr – aha, das weiß der Vater, das Stellwerk … . Er könne aber nach Frankfurt und von dort über Hanau nach Fulda gelangen. Auf den Einwand des Vaters, dass doch zwischen Hanau und Fulda auch eine Baustelle sei und dort sicher ein SEV fährt, in dem man kein Rad mitnehmen kann, entgegnet der Servicemann: "Stimmt. Dann geht das nicht." Nach einer weiteren Alternative (z.B. über Marburg und Kassel) fragt der Vater lieber nicht.

Regen: "Dafür kann die Bahn nun also wirklich nichts"

Sicherheitshalber bleibt der Vater am Bahnhof bei seiner Tochter, bis der Zug aus Frankfurt nach Siegen pünktlich einfährt und die Tochter einsteigt. Geschafft! Denkste: bis zur Abfahrt dauert es aber aus dem Autor nicht bekannten Gründen noch 24 Minuten – also doch fast 1,5 Stunden Verspätung in Siegen. Der Vater schwingt sich also gegen 17.30 Uhr auf sein Rad – passend zum ganzen Nachmittag fängt es an zu regnen. Aber dafür kann die Bahn nun also wirklich nichts. Er ist aber gut ausgerüstet: Regenjacke, Wasserflaschen, Regenhülle für den Rucksack, leistungsstarke Beleuchtung und er erreicht glücklich gegen 20.30 Uhr nach einem ereignisreichen Tag sein Zuhause. Wenigstens hatte er unterwegs keinen Plattfuß, es gab kein Gewitter, kein Schneesturm oder kein Erdbeben – schlimmer geht immer!

Daheim angekommen und nach einer warmen Dusche nimmt sich der Vater fest vor, über diese Geschichte die zuständigen Stellen zu informieren. Aber halt, wer ist denn zuständig? Der RMV, bei dem er sein Tagesticket für 37,10 Euro gekauft hat? Die HLB, die im Auftrag des RMVs die Linie betreibt? Die VGO, die für den Busverkehr (und den SEV?) in dieser Region zuständig ist? Das Unternehmen, das mit der Sicherstellung des SEV beauftragt wurde, dessen Namen dem Autor allerdings nicht bekannt ist? Die Bahn, die in ihrer App keine aktuellen Daten anzeigte? Wer ist Schuld an der Entstehung der Situation, an der schlechten Kommunikation? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt? Es ist leider zu befürchten, dass ein Akteur auf den anderen zeigt und sich nichts ändert.

Hoffnung auf Besserung

Leider bewirken Geschichten wie diese, dass immer weniger Menschen die Bahn als Mittel der Mobilität nutzen. Man muss schon hart im Nehmen sein, um Bahn zu fahren und wichtige Termine darf man nicht einhalten müssen. Am kommenden Dienstag hole ich meine Tochter in Siegen wieder ab, mit dem Auto, trotz eines warnenden ökologischen Gewissens. Bis auf Weiteres einen Kunden verloren – leider! In der Hoffnung auf Besserung verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Der Vater." (hhb) +++


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