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Was ist das für ein großes und altersweises Werk, und doch mit der Leichtigkeit eines Mannes geschrieben, der mit fast heiterer Gelassenheit auf sein Leben zurückblickt. Uwe Timms "All meine Geister" gleicht einer Unterhaltung mit sich selbst, es ist ein meisterliches und äußerst vergnüglich zu lesendes Buch. - Fotos: Jutta Hamberger

FULDA Uwe Timm, Alle meine Geister

Erinnern ist merkwürdiges Vergessen - Literatur im Stadtschloss

24.04.24 - Was ist das für ein großes und altersweises Werk, und doch mit der Leichtigkeit eines Mannes geschrieben, der mit fast heiterer Gelassenheit auf sein Leben zurückblickt. Uwe Timms "All meine Geister" gleicht einer Unterhaltung mit sich selbst, es ist ein meisterliches und äußerst vergnüglich zu lesendes Buch.

"Es ist eine Lust, nach Fulda zu kommen!"

Auch an diesem Leseabend vertrat Kulturamtsleiter Dr. Thomas Heiler Oberbürgermeister Dr. Wingenfeld, der verhindert war. Wieder war der Fürstensaal bis fast auf den letzten Platz besetzt. In "All meine Geister" wie überhaupt in seinem Werk schriebe Timm über die Geschichte der jungen Bundesrepublik, so Dr. Heiler, und dabei entstünde ein ganz anderes Bild der Bonner Republik als das gemütliche und leicht behäbige, das wir heute meist vor Augen hätten. Die Zeit sei vom Krieg geprägt gewesen – vom Erleben und Überleben, von den Kriegsschäden, den Kriegserlebnissen und natürlich auch von einer genau darüber schweigenden Elterngeneration.

Kulturamtsleiter Dr. Thomas Heiler begrüßte den Gast, der in seinen Werken die Geschichte ...

Uwe Timm las nicht zum ersten Mal in Fulda– bereits 2014 war er hier. Er fand lobende Worte für die Stadt und diese so ungewöhnliche Lesereihe, die von einem Oberbürgermeister gegründet worden sei. Schließlich sei es nicht eben weit verbreitet, dass Oberbürgermeister läsen, so Timm mit einem Augenzwinkern. Auch dass die Stadtverordnetenvorsteherin Margarete Hartmann da war, empfand er als besonders und außergewöhnlich. Timm erzählte, wie Oberbürgermeister a.D. Dr. Wolfgang Hamberger am Tag nach der Lesung noch eine Stadtführung mit ihm gemacht habe, das sei ihm in sehr guter Erinnerung geblieben. Auch der Fürstensaal begeisterte ihn, und all das gipfelte in seinem Fazit: "Es ist eine Lust nach Fulda zu kommen, und das sage ich nicht leichtfertig so dahin!"

"Kraftstöße"

Für seine Lesung war der heutige Welttag des Buchs genau das richtige Datum. Uwe Timm braucht keine nervig-belehrenden Sinnsprüche über die Tugenden des Lesens. Er macht in unaufgeregter und überzeugender Weise mit Person und Werk klar, welch ansteckende, anstiftende und befreiende Kraft im Lesen (und im Schreiben) liegt. "Kraftstöße" nannte Timm das an diesem Abend. Er machte auch deutlich, wie bedeutsam es ist, Literaturvermittlern zu begegnen – Freunden, Kollegen, Lehrern. Denn ein Buch gewinnt an Bedeutung durch die Menschen, die es in das eigene Leben bringen.

Ohne die Sponsoren der Reihe wäre es nicht möglich, sie kostenlos anzubieten – ...

Uwe Timm wurde weder das Lesen noch das Schreiben auf einem Silbertablett gereicht – er musste sich beides hart erarbeiten. Und mit ‚hart‘ meine ich hart, denn Lesen und Schreiben waren keine Talente, die ihm in die Wiege gelegt wurden. Wegen seiner Rechtschreibschwäche durfte Uwe Timm nicht aufs Gymnasium. Der Vater zieht einen ordentlichen Volksschulabschluss und einen Ausbildungsplatz einem möglichen Scheitern am Gymnasium vor. Der Sohn hilft sich selbst und liest heimlich im Sortierraum, in den die Kürschner-Lehrlinge gesteckt werden. Von Anfang an ist seine Lust am Erzählen da.

Handwerk und Literatur

Welche Genauigkeit im Beruf des Kürschners gebraucht wird, wie viele unterschiedliche Tätigkeiten und Fähigkeiten es braucht, damit aus Fellen Pelzmäntel werden, zeichnet Uwe Timm mit großer Präzision und noch viel mehr Zuneigung nach. Seine Hochachtung des Handwerks ist ansteckend. Heute ist dieser Beruf so gut wie ausgestorben. Die Quälerei der Pelztiere in sog. Zuchtfarmen und die damit einhergehende Massenfellproduktion war für Timm der Grund, mit dem Gewerbe aufzuhören. Das aber ändert nichts an seiner Wertschätzung für die Meister und Meisterinnen dieses Fachs, von denen er gelernt hat. Beim Lesen lernen wir viel über die Kunst der Kürschnerei, die im Florenz des 13. Jahrhunderts zu den sieben großen Gilden und Zünften gehörte, eben weil sie so viel Kunstfertigkeit erforderte.

In Fulda ist die Begeisterung der hohen Politik für Literatur nicht ungewöhnlich. ...

Dr. Thomas Heiler, Rainer Klitsch und OB a.D. Gerhard Möller im Gespräch ...

Ehrenringträger Helmut Sorg und seine Frau Traudl sind regelmäßige Gäste der ...

Beim Lesen dürfen wir nacherleben, welches Erweckungserlebnis das Lesen für den jungen Uwe Timm war. Sein Erwachsenwerden und Erwachen – politisch, literarisch, erotisch, menschlich – zeigt aufs Wunderbarste, dass man Leser gewesen sein muss, bevor man Autor werden kann. Immer wieder schildert er prägende Leseerlebnisse, und auch, dass er nicht unbedingt bei allen Werken schon beim ersten Mal alle Tiefen und Untiefen erfasst habe. Noch eines macht er deutlich: Manche Bücher braucht man in sehr jungen Jahren, weil sie dann ihre größte Wirkung entfalten. Bei ihm war das Salingers "Fänger im Roggen".

Tiefen Eindruck hinterlassen aber auch Eugen Kogons "Der SS-Staat", das lyrische Werk von Benn und Rilke ebenso wie Dostojewski und die russische Literatur, Brehms Tierleben und Humboldts Naturbeschreibungen, Amundsens und Shackletons Expeditionen zum Nordpol und durch die Antarktis, Goethes Wilhelm Meister, Kafka und Henry Miller.

Die Geister, die ich rief

Sie sehen an diesen Beispielen: Die Bücher, die Timm liest, sind verwoben mit den Menschen, die sie ihm geben. Er hat nie einen ‚Kanon‘ abgearbeitet, er hat sich nie von Verbotsschildern leiten lassen. Er hat sich – wie er selbst erzählt – immer verführen lassen von Worten und Geschichten. So ist sein autobiographisches Erinnerungsbuch die Geschichte von einem, der über sich hinauswuchs und sein Leben samt allen Erinnerungen bewahren will. Fast schwerelos gleitet der Autor durch sein eigenes Leben, erinnert sich an Menschen, Bücher, Gespräche und Begegnungen. Das entfaltet eine Magie, der man sich weder entziehen kann noch will. Fast verlegen wehrt Uwe Timm am Ende den tosenden Beifall ab, den ihm Fuldas Lesebegeisterte spenden – die sich gewiss wünschen, Uwe Timm möge auch noch ein drittes Mal nach Fulda kommen. (Jutta Hamberger) +++

Gerhard Möller und Rainer Klitsch fachsimpeln über den Autor des heutigen Abends ...

Wie immer hatte Parzellers einen Büchertisch vorbereitet


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